Champagne – Vol. 07 – Die Côtes des Blancs in Avize

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Sind wir im gerade noch durch etwas weniger bekannte Orte der Côte de Blancs gefahren, folgen jetzt jene, die das Herz der Côte, ja vielleicht der gesamten Champagne bilden: Avize, Les-Mesnil und Vertus. Hier besitzen natürlich auch die großen Champagner-Häuser Flächen, doch vor allem finden sich einige der feinsten kleinen Häuser und Winzer.

Avize
270 Hektar stehen hier unter Reben, unter Chardonnay, um genau zu sein. Die größte Genossenschaft der Gegend, die unter dem Namen De Saint Gall firmiert findet sich hier ebenso wie wie der Vorreiter, ja der Papst des Winzerchampagners, nennen wir ihn mal so, auch wenn er das selber strikt ablehnen würde. Sein Name ist Anselme Selosse, Inhaber des Hauses Jacques Selosse. Den Einfluss, den er in den letzten Jahrzehnten direkt oder indirekt ausgeübt hat, kann man gar nicht hoch genug bewerten. Auch wenn heute viele ehemalige Adepten nachgezogen haben, seine Weine sind immer noch unvergleichlich. Und darüber hinaus muss er sich an der Spitze nicht mehr so einsam fühlen.

© Anselme & Corinne Selosse

© Anselme & Corinne Selosse

Was ist nun das Besondere an ihm? Anselm Selosse hat im Laufe der Zeit – er ist Ende der Siebziger nach einem Önologiestudium in Beaune in den Betrieb seines Vaters eingestiegen – die Kultur des mono-cru oder lieut-dit etabliert. Das heißt, er macht das, was in den meisten Weinbaugebieten üblich ist, nicht aber in der Champagne. Er vinifiziert Champagner aus Einzellagen. Das ist für Spitzengewächse beispielsweise in Deutschland oder im französischen Burgund üblich. In der Champagne hat man immer auf die assemblage gesetzt, also die Vermengung verschiedenster Lagen und Rebsorten und auch Jahrgänge.  Selosse, durch sein Studium im Beaune geprägt, wollte einen anderen Weg gehen. Er war der Meinung, dass seine Weinberge so eigenständig sind, dass man sie getrennt ausbauen kann. Mittlerweile geht er sogar noch weiter und vinifiziert ähnlich wie beispielsweise Reinhard Löwenstein an der Terrassenmosel einzelne Parzellen oder Teillagen. Um Mono-Crus ausbauen zu können und die entsprechende Qualität zu erhalten, hat Selosse allerdings damals, in den Achtzigern erst einmal seine Weinberge umgestellt. Er ist ganz betont kein Biodynamiker, er mag die Sektiererische daran nicht, doch setzt er einige der Methoden in seinen Weinbergen ein. “Ich mag Goethe lieber als Steiner. Steiner ist mir zu sektiererisch – außerdem hat er Wein immer abgelehnt.”

Wichtig für ihn ist vor allem, dass er die per se unnatürliche Monokultur eines Weinbergs ein wenig aufgebrochen bekommt, in dem er Zwischenpflanzungen setzt. Seine Weinberge haben sich entsprechend schon in den Achtzigern fundamental von dem unterschieden, was um ihn herum in möglichst aseptischer Atmosphäre wuchs. Im Keller werden die Trauben nach der Lese leicht geschwefelt, damit sie nicht zu früh oxidieren. Danach wird normalerweise nicht mehr geschwefelt. Die Trauben vergären immer im Holz, und zwar spontan. Auch das war damals, als er damit angefangen hat, völlig unüblich. Ob der Rebsaft eine malolaktische Gärung durchläuft oder nicht, entscheidet der Wein selbst. Wie es danach weiter geht, entscheidet Selosse immer wieder neu. Beispielsweise, in welchen Gebinden der Wein auf der Feinhefe bleibt. Das kann mal neues Holz sein, mal alte Fässer, mal Akazienholz. Dass er überhaupt Holz verwendet, war damals, als er darauf umgeschwenkt ist, total unüblich. Selten ist auch, dass auch die zweite Gärung in der Flasche mit keller- und weinbergseigenen Hefen abläuft, die Selosse vorher extrahiert hat. Die Flaschengärung dauert bei ihm mindestens fünf Jahre. Notwenig für einen Champagne ohne Jahrgang wären gerade einmal 15 Monate. Anselm Selosse steht heute auf einer Stufe mit den großen Erneuerern der Weinszene hin zu ihrem modernen Anfang. Was meine ich damit? Ich meine, er geht zurück dorthin, wo der moderne Qualitätswein begann, noch ohne Herbizide und Pestizide, noch stärker im Einklang mit den Elementen, mit dem Terroir, auf dem der Winzer und mit dem der Winzer arbeitet. Er ist dabei so wichtig für die Champagne wie es beispielsweise Marcel Deiss für das Elsass war und ist. Ein Vordenker, der das Alte, das Überlieferte mit dem Neuen, mit den neuen Errungenschaften verbindet. Er ist einer, der sich nicht in eine Schublade pressen lässt und schnell rebelliert. Er wehrt sich dabei gegen die radikal Fortschrittsgläubigen und Technikbesessenen genau so wie gegen die Sektierer, zu denen er eben auch Steiner zählt. In einer Gegend, wo Weinerzeugung ultimativ technisch ist – und das ist die Champagne, das war sie vor allem vor Anselm Selosse – war er der Befürworter einer handwerklichen Herangehensweise. Als das findet sich in seinen hochartifiziellen Champagne wieder. Sie sind nicht günstig, aber was ist schon günstig in der Champagne oder überhaupt in der Welt des großen Weins? Im Vergleich zu sehr gutem Bordeaux oder Burgunder ist das, was er abfüllt günstig. Es lohnt sich eigentlich immer, selbst beim Initiale, der Einstiegscuvée des Hauses. Alles darüber hinaus ist in höchstem Mape besonders und erinnert in seiner Machart häufig eher an das Burgund, denn an Champagne.

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Das zweite Haus, das ich vorstellen will ist de Sousa & Fils.  Das hört sich eher portugiesisch an, und in der Tat ist der Vorfahr als Soldat im ersten Weltkrieg in die Champagne gekommen, die damals ein wenig romantischer Ort war. Allerdings waren die wirtschaftlichen Verhältnisse in Portugal noch übler, und so hat sich de Souza mit Frau und Kind in Avize niedergelassen. Das Haus, das seit 1986 von Erick de Souza geleitet wird, besitzt heute knapp 10 Hektar, vornehmlich mit Chardonnay bestockt und weitestgehend in Avize, Oger, Cramant und Le Mesnil gelegen. Durch Zufall gehören diese Weine zu meinen frühesten Champagne-Erfahrungen. Der Betrieb arbeitet seit langer Zeit biodynamisch im Weinberg und mit einem ganz eigenen Stil im Keller. Die Weine werden weitestgehend im Edelstahl ausgebaut, bis auf die Top-Weine, die kommen ins Holz, teils auch ins neue Holz. Die Weine erfahren durchweg eine malolaktische Gärung. So weit so gut. Was mir persönlich, und das ist tatsächlich rein persönlich, gerade bei den teureren Produkten ein wenig missfällt ist, dass de Souza sowohl bâtonnage betreibt, als auch poignetage. Das heißt, er rührt die Weine, die auf der Feinhefe bleiben und dort ausgebaut werden, immer wieder um, so dass die Feinhefe verwirbelt wird (bâtonnage) und er schüttelt die Flaschen, in denen sich ja ebenfalls ein Hefe-Depot absetzt, in den Jahren der Flaschenreifung immer wieder durch (poignetage). Das führt dazu, dass die Weine sehr breit und dicht werden, rich, wie der Engländer sagt. Der Champagne kann das ab. Der Chardonnay aus der Gegend hat so viel Kraft, die Säure ist immer gut eingebunden, das passt schon alles. Aber ich mag es etwas schlanker lieber. Beim Brut Réserve Grand Cru Blanc de Blancs hält sich das in einer Grenze, die ich gerne mag und dieser Wein ist (auch vom Preis-Genuss-Gefüge) meine deutliche Empfehlung.

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Der Winzer, dessen Weine ich neben denen von de Souza mittlerweile am besten kenne ist Agrapart & Fils. Und wenn ich heute eine Empfehlung für einen der drei Champagne mit dem besten Preis-Leistungs-Verhältnis geben sollte, wäre immer der 7 Crus von Pascal Agrapart und seinem Bruder Fabrice dabei. Beginnend mit diesem Blanc de Blancs aus sieben verschiedenen Cru Lagen findet man hier äußerst gelungene, kraftvolle, typisch kreidige und särebetonte, gleichzeitig elegante und charaktervolle Weine, deren Größe sich vor allem in den Jahrgangsweinen Mineral, L’Avizoise und Vénus zeigt. Die Weine kann man meiner Ansicht nach durch die Bank weg blind kaufen und sie beginnen in Frankreich bei unter € 20,-, für den 7 Crus.

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Seit 1984 verantwortet Pascal den Besitz mit insgesamt über 60 einzelnen Parzellen, vornehmlich in Avize, Cramant und Oger. Mit Bio-Labels wird bei Agrapart nicht gearbeitet, auch wenn er sich irgendwo zwischen ökologischer und biodynamischer Wirtschaftsweise ansiedelt. Die Weine werden allesamt sehr reif gelesen, um nicht chaptalisieren zu müssen (mit Zucker anreichern) und später die Dosage so gering wie möglich zu halten. Fermentiert wird mit natürlichen Hefen, biologischer Säureabbau ist üblich und ausgebaut wird der Wein in alten 600 Liter-Fässern, die keine Holznoten mehr abgeben. Darüber hinaus wird nicht stabilisiert, nicht geschönt und nicht filtriert. Das alles ist purer Blanc de Blancs von der Côte de Blancs. Im Gegensatz zu den Chamapgne von de Souza, die viel mehr nach Kellerarbeit schmecken, genießt man hier den Ursprung, vor allem in den teuren Gewächsen wird dieser mehr als deutlich. Neu im Programm ist ein Wein, der mehr ist als reiner Blanc de Blancs, wie man ihn sonst ausschließlich bei Agrapart findet. Im Complantée wurden je 15% Pinot Meunier, Arbanne, Pinot Blanc, Petit Meslier und 25% Chardonnay in einem gemischten Satz gepflanzt und entsprechend zusammen vergoren. Leider hatte ich noch nicht die Chance, diesen Wein zu probieren.

Zum Schluss noch zwei Empfehlungen für weniger bekannte aber unbedingt empfehlenswerte Weingüter in Avize. Das kleine Weingut Champagne Varnier-Fannière verfügt über gerade einmal vier Hektar, die liegen aber jeweils in Grand-Cru-Lagen von Avize, Oiry, Oger und Cramant. Der Chardonnay, der dort steht ist, mindestens 30 Jahre alt. Der Wein wird sehr reif und spät gelesen, im Edelstahl vergoren, jedoch relativ schnell abgefüllt, weil Denis Varnier die Flaschenreife der Tankreife vorzieht. Entsprechend der späten Lese sind die Weine dicht und reif wie bei Agrapart. Der Wein hat eine schöne Tiefe und immer viel Expressivität von dem, was man an der Côte de Blancs sucht: kreidige Mineralität. Zudem sind die Champagne nicht teuer.

Bei Champagne Claude Corbon wiederum geht man anders vor. Agnès Corbon, die das Haus, dass in Avize und im Marne-Tal einige Hektar besitzt, setzt darauf, die Weine lange auf der Hefe zu lassen und bâtonnage durchzuführen. Bei weitem nicht so wie de Souza, aber die Stil ist eben auch wieder anders als bei Varnier. Corbons Weine sind etwas dichter undauch eleganter, ja, finessenreicher. Sie sind eher leise, aber sehr eindringliche Vertreter, und das mag ich persönlich sehr gerne. Im Brut names Prestige treffen sich Avize-Chardonnay und Pinot Meunier und Pinot Noir von der Marne. Der Wein bleibt mindestens fünf Jahre auf der Hefe, was für einen non-vintage-Champagne sehr lange ist und den Anspruch und das Qualitätsbewusstsein unterstreicht, dass die Corbons pflegen. Um die Qualität des L’Autrefois noch weiter zu steigern, findet hier die Flaschenlagerung mittlerweile unter Kork statt unter Kronkork statt. Sieben Jahre bleibt der Blend aus Chardonnay und Pinot Noir auf der Hefe. 50% Reserve-Weine werden hierfür genutzt und die Flasche wird während der Reife alle sechs Monate geschüttelt. Weihnachtswein nennt Agnès Crobon diesen Stil, der in seiner Fülle schon beeindruckend ist. Wie schon bei de Souza gesagt, all zu oft muss ich das nicht haben, aber zur Weihnacht ist das natürlich schon schön. Die anderen Weine, wie beispielsweise der Jahrgangs-Chardonnay sind allerdings nicht so old-fashioned. Er reift acht Jahre auf der Flasche und wird keinem biologischen Säureabbau unterzogen. Dieser Chardonnay aus 100% Avize-Lagen bringt Fülle, Alter, Crème, Säure und Finesse zusammen – und das auf eine exzellente Art und Weise. Die Champagne, die hier bisher kaum zu haben sind, sind definitiv eine Empfehlung.

Ergänzen möchte ich den Artikel durch die genaue Darstellung aller Einzellagen in Avize. Sie sind hier bei weinlagen.org dargestellt.

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Die Artikel der Serie:

Teil 13: Epilog

Teil 12: Côte des Bar von Courteron nach Urville

Teil 11: Côte des Bar von Bar-sur-Seine nach Les Riceys

Teil 10: Von Vertus nach Montgueux

Teil 9: Côte des Blancs in Vertus

Teil 8: Côte des Blancs in Le-Mesnil-sur-Oger

Teil 7: Côte des Blancs in Avize

Teil 6: Côte des Blancs von Épernay nach Cramant

Teil 5: Vallée de la Marne, am linken Ufer zurück nach Épernay

Teil 4: Vallée de la Marne, am rechten Ufer von Dizy nach Crouttes

Teil 3 Vallée de la Marne, rund um Aӱ

Teil 2: Montagne de Reims

Teil 1: Auf der Suche nach einem Mythos

 

In der nächsten Folge geht es über Oger weiter nach Le-Mesnil-sur-Oger.

14 Kommentare

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