Es ist eine umfassende Reihe geworden, die virtuelle Reise durch die Champagne. Auch wenn der Überblick nicht vollständig ist, dürfte er doch einen ganz guten Ist-Zustand des Teils der Champagne abgeben, der vielen noch relativ unbekannt sein dürfte – die Champagne der kleinen, unabhängigen Häuser und Winzer. diese Champagne unterscheidet sich fundamental von dem, was wir normalerweise unter Champagne verstehen und wodurch sich diese auszeichnet. Assemblage beispielsweise, die Kunst der Vermählung von Rebsorten, Lagen und Jahrgängen, spielt eine wesentlich geringere Rolle. Es ist eine andere, eine weniger gefällige und auch ein weniger glatte Champagne. Es ist eine, die purer und individueller ist, als die bekannte. Hier nähert sich Champagne immer mehr dem an, was im Bereich des hochwertigen Stillweins ganz normal ist.
Das beginnt beim Anbau, wo es viele Möglichkeiten gibt, aber unter den besten und individuellsten Produzenten zumindest ein Grundkonsens herrscht: Der Boden muss leben, Der Weinberg muss leben. Und dieses Bodenleben erreiche ich nicht mit Stickstoff und auch nicht mit einer Menge Herbizide und Pestizide. Ob ich dann naturnah arbeite (ich muss jedes Mal schmunzeln, wenn ich diesen Begriff lese oder schreibe), biologisch oder biodynamisch, ist eine zweite Frage. In den Artikeln wurde zudem deutlich, wie viele Optionen man darüber hinaus im Keller hat. Zwei Entscheidungen prägen dabei den späteren Wein besonders: Führe ich eine malolaktische Gärung durch oder nicht und baue ich den Wein im Holz, in Emaille oder im Edelstahl aus. Dies sind individuelle Entscheidungen, die in der unterschiedlichen Kombination natürlich den Stil eines Winzers mit prägen. Darüber hinaus dürften im Gegensatz zu den Big Playern bei den meisten der genannten Winzer Enzyme tabu sein, oftmals wird spontan vergoren, nicht geschönt und nicht filtriert. Auf andere technische oder weinrechtliche Möglichkeiten wird oft bewusst verzichtet, beispielsweise auf Chaptalisation oder auch auf Kältestabilisation.
Befindet sie die Chamapgne deshalb in einem Umbruchprozess? Ja und nein, würde ich sagen. Der Umbruch findet statt, aber, machen wir uns nichts vor, er findet in einer Nische statt. Auch wenn diese immer größer werden mag, bleibt es eine Nische im einstelligen Prozentbereich. Herrschen tun hier weiterhin die großen Häuser, die Cooperativen mit den klingenden Namen und die Luxusgüterkonzerne und Kapitalgeber. Das ist schon lange so und dürfte sich auf absehbare Zeit nicht ändern. Sie haben aus der Champagne ein Business gemacht. Und sie haben dies mit einer Strategie erreicht, die bis heute aufgeht, auch wenn es eigentlich heiße Luft ist. Zu Beginn, also in der Historie der Champagne war der hohe Preis gerechtfertigt denn da waren die Produktionskosten sehr hoch. Später hat sich der Preis geregelt weil die Kundschaft wirtschaftlich höchst potent war. Doch wollte man mehr, man wollte eine breitere Oberschicht und gerne auch die Mittelschicht erreichen und trotzdem den exorbitanten Preis halten, wenn nicht sogar ausbauen. Dafür brauchte man eine Strategie und hat diese gefunden. Zunächst einmal wurden alle weggebissen, die auch nur entfernt als Schaumweinproduzenten den Begriff Champagne verwendet haben. Das ist in gewissem Maße nachvollziehbar. Warum beispielsweise sollte ein Schaumwein aus Deutschland nach methode champenois gemacht sein? Darauf kann man zugunsten des Markenrechts gerne verzichten und es methode traditionelle nennen. Aber muss tatsächlich die alte Sorte der Champagnerbratbirne wirklich unbenannt werden, nur weil man aus ihr ein paar Flaschen Birnenschaumwein machen kann?
Entscheidend aber war etwas anderes um die Marke eines ganzen Gebietes begehrenswert zu halten: es war das Postulat, dass es hier eine Einzigartigkeit der Kombination aus Terroir und Klima gibt, die räumlich stark begrenzt ist und deshalb zu einem knappen Warenangebot führt – und das auch dann wenn man Champagne in jedem Discounter findet. Diese postulierte Einzigartigkeit findet man in der Champagne tatsächlich – aber sie beschränkt sich auf wenige Teilgebiete mit besonderer Bodenbeschaffenheit. Große Teile der Champagne werden bis heute dazu genutzt, technisch aufgepeppte Massenware zu produzieren, die unbotmäßig überteuert ist. Das wäre ja auch alles kein Problem, wenn diese Preise nicht auch zu sehr hohen Traubenpreisen und extrem hohen Bodenpreisen geführt hätten. So hat sich daraus ein Preisdiktat entwickelt, bei dem der Konsument in die Röhre schaut. Die Land- oder Weinbergsbesitzer dagegen freuen sich. Sie könne gut davon leben und ich will ihnen das nicht neiden. Ich habe es im ersten Teil schon einmal angesprochen. Das Gebiet an der Marne war lange, sehr lange nicht unbedingt begünstigt und vom Glück verwöhnt. Im Gegenteil, hier war man bitterarm – das hat sich glücklicherweise geändert (ich empfehle dazu bedingt das Buch von Don und Petie Kladstrup, Champagner – die dramatische Geschichte des edelsten aller Getränke – ich empfehle es nur bedingt, weil es einige handwerkliche Schwächen hat, aber es gibt trotzdem einen guten historischen Überblick).
Die Höhe der Preise hat allerdings andererseits einige der Winzer, die ich in den letzten Artikeln erwähnt habe überhaupt erst in die Lage versetzt, selber Wein zu produzieren. Insofern hat das Alles natürlich sein Gutes. Andererseits würde ich mir als Konsument wünschen, dass eine Einstiegscuvée, also der übliche Brut des Hauses, und zwar der eines kleinen, guten Produzenten auch für deutlich unter zwanzig Euro zu haben wäre (wenn man in die Champagne fährt, kriegt man solche Weine vor Ort noch immer). Wenn man nicht das ganze Brimborium um die Marke Champagne veranstalten würde, wäre das auch kein Problem, sollte man meinen. So aber kauft man immer zwangsläufig diesen Hauch von Luxus mit, den ich beispielsweise gar nicht haben will. Ich will einfach guten Wein kaufen, Wein aus der Champagne. Das geht im Bordelais und in der Bourgogne ja auch noch. Die Verwerfungen innerhalb der Weingebiete, die von Versicherungen und Luxusgüterkonzernen und anderen Mogulen beherrscht werden, treten allerdings auch im Bordelais deutlich zu Tage und das könnte in zukunft auch im Burgund passieren, denn dort hat sich der Luxusgüterkonzern Lous-Vuitton-Moët-Henessy (LVMH) gerade für eine astronomische Summe ein Burgunder-Weingut gekauft. Wenn das Nachahmer findet, wird die eh schon teure Bourgogne noch teurer. Moët übrigens baut gerade auf der grünen Wiese ein Champagne-Werk mit einem stündlichen Ausstoß von 18.000 Flaschen. Das ist nicht so viel wie bei den großen Brauseherstellern – aber es ist eben auch nicht mehr soweit davon entfernt.
Gibt es also, um für mich zur Frage des ersten Artikels der Reihe zurückzukommen, einen Mythos Champagne? In der Wikipedia heißt es zur Begriffsklärung unter anderem: „In einem weiteren Sinn bezeichnet Mythos auch Personen, Dinge oder Ereignisse von hoher symbolischer Bedeutung oder auch einfach nur eine falsche Vorstellung oder Lüge.“
Was mich angeht, ich würde Champagne gerne unter „falsche Vorstellung“ einsortieren. Ich würde die Marke gerne vom Sockel heben und wieder etwas Irdisches oder besser, Geerdetes daraus machen. In diesem Traum hätten natürlich auch die teuren Champagner ihren Platz – exzellente oder außergewöhnliche Qualität soll ruhig ihren Preis haben. Doch wie schön wäre es, von Cédric Bouchard, von Demarne-Frison oder Tarlant auch mal einfach so eine Flasche öffnen zu können. Bei einem meiner liebsten Erzeuger, Larmandier-Bernier, wäre das vor zehn Jahren noch eher möglich gewesen. Seitdem sind die Preise marktkonform um mindestens 50% angestiegen. Mein Gehalt hat das nicht geschafft, das muss ich zugeben. So bleibt, also für die Normalos nur, sich das Geschäft von außen zu betrachten oder sehr selten mal hier und da fast verschämt eine Flasche zu öffnen und ansonsten fast zwangsläufig Teil eines Mythos zu sein, den kaum einer braucht.
Meine eigenen Notizen habe ich mit einigen Quellen abgeglichen, die ebenfalls viel Information rund um das Thema liefern. Da wären, was deutschsprachige Literatur angeht, vor allem Boris Maskow und Gerhard Eichelmann zu nennen. Erster ist ein ausgewiesener und honorierter Fachmann und betreibt die Website sparkling-online.de, deren kurzweilige Weinbeschreibungen einen immer wieder schmunzeln lassen. Letzterer ist bekannter für den Eichelmann, einen Führer für den Deutschen Wein, doch auch Eichelmann ist ein ausgewiesener Kenner der Champagne und hat bereits mehrere Bücher verfasst. Das aktuellste von 2012 heißt schlicht Champagne. Eine exzellente englischsprachige Quelle ist die Website von Peter Liem, champagneguide.net. Die volle Seite kann man allerdings nur dann nutzen, wenn man einen jährlichen Obulus von €65,- zahlt. Darüber hinaus habe ich in die Werke von Richard Juhlin und Michael Edwards geschaut. Das schönste Blog zum Thema betreibt Thomas Iversen, von dem ich auch einige Fotos veröffentlichen durfte. Das Blog Mad about Wine ist jede Zeile wert. Den schönsten Fotostream auf flickr hat übrigens das Haus Tarlant. Wer ein wenig Champagne-Mood tanken will, ist hier gut aufgehoben.
Es macht Spaß und schont den Geldbeutel, wenn man sich selber in die Champagne aufmacht. Darüber hinaus aber gibt es einige sehr engagierte Händler, die diese Chamapgne, die gar nicht so leicht verkäuflich sind wie ihre ungleich bekannteren Pendants von Feuillatte und Co. Zu nennen sind da beispielsweise Vinaturel, Champagne Characters, Wein nach Maß, Sébastien Visentin, Bernd Kreis, K&U Weinhalle oder Wein Wuttke, um nur einige zu nennen.
Die Artikel der Serie:
Teil 13: Epilog
Teil 12: Côte des Bar von Courteron nach Urville
Teil 11: Côte des Bar von Bar-sur-Seine nach Les Riceys
Teil 10: Von Vertus nach Montgueux
Teil 9: Côte des Blancs in Vertus
Teil 8: Côte des Blancs in Le-Mesnil-sur-Oger
Teil 7: Côte des Blancs in Avize
Teil 6: Côte des Blancs von Épernay nach Cramant
Teil 5: Vallée de la Marne, am linken Ufer zurück nach Épernay
Teil 4: Vallée de la Marne, am rechten Ufer von Dizy nach Crouttes
Teil 3 Vallée de la Marne, rund um Aӱ
Teil 2: Montagne de Reims
Teil 1: Auf der Suche nach einem Mythos
Hallo Christoph,
dazu kann man ernstahft ohne sich selber profilieren zu wollen nichts mehr sagen. Absolute Zustimmung in fast (kommt gleich) allen Belangen. Zudem deine grundsätzliche Analyse der Dynamik, der Veränderungen und der Eigenheiten auch auf andere Weinregionen und andere Mythen genau so übertragbar ist. Nur ein so tiefgreifender Einblick und die genaue Kenntnis eines Gebietes, der Produkte und deren Produzenten ermöglicht so etwas. Toll gemacht und alle Hochachtung. Und ab hier nicht weiter lesen, wenn man bei der Sache bleiben will.
Eine Sache nimmt allerdings nach meinen Maßstäben zuviel Rücksicht auf alte Tradition und Werte. Natürlich soll exellente Qualität auch pekunär belohnt werden, aber der Wert bei einem komplexen Produkt besteht nicht nur geschmacklichen Eindrücken.
Gerade bei den auch von Dir erwähnten Einsätzen von Herb-, Pest- und Fungiziden, die über jedes Maß hinaus gehen und wie andere Winzer zeigen, auch nicht nötig sind, stellen für mich einen kriminellen Akt dar, einen bewußt vollzogenen Anschlag auf meine Gesundheit, ohne wie es bei Zigaretten inzwischen üblich ist, auf Gefahren aufmerksam zu machen. Das ist nicht akzeptabel und betrifft nich nur den Trinker. Letztes Beispiel hier waren 5 Schulkinder, die nach einer Spritzsession 50 m vom Schulgebäude entfernt, nachmittags im Krankenhaus waren. Das hier in Frankreich inzwischen eine Krebsform offen als Winzerkrankheit benannt wird, ist da ja völlig belanglos, weil die Idioten sich das ja selbst antun. Deswegen kann von mir keiner Rücksicht verlangen, auch wenn er noch so viel Reputation hat oder sein Wein gut schmeckt (was auch immer das heißen soll).
beste Grüße
Hallo Christoph,
hat Spaß gemacht die Artikel zu lesen. Toll sich die Mühe zum Verfassen der Texte zu machen.
Vielen Dank
Olli
Einfach toller Bericht!
Ganz grossen Dank dafür.
Ich habe lange keinen so tollen Artikel gelesen. Vielen Dank, auch für die Bilder. Sie sind eindrucksvoll 🙂
LG
Clemens