Die Champagne und das Pariser Becken – ein Blick auf das Wechselspiel von Rebsorten und Böden

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Klassischerweise steht Champagner für eine Komposition. Diese Komposition oder Cuvée kann mehrere Rebsorten, unterschiedliche Weinberge und auch verschiedene Jahrgänge beinhalten. Der Brut, der heute typischste aller Champagner, hat normalerweise von all dem etwas. Er entsteht aus Trauben, die oft in der gesamten Champagne gelesen wurden und deren Grundweine aus verschiedenen Jahren stammen. Neben solchen breit komponierten Champagnern kann es jedoch auch kleingruppiger werden. Sei es, dass nur eine Rebsorte verwendet wird, sei es, dass der Champagner aus lediglich einem Jahrgang (Millésime) stammt, sei es, dass der Wein aus lediglich einem Ort (Mono-Cru) oder Weinberg (Lieu-dit) kommt. Diese Spezialisierung, die ihren Höhepunkt in einem Champagner findet der aus einem Jahr, von einer Rebsorte und sogar aus lediglich einem Weinberg stammt, findet man zunehmend häufiger. Zwar haben einige renommierte Häuser wie Krug mit dem Clos du Mesnil oder Philipponnat mit dem Clos des Goisses mit einem solchen Triple-Single-Champagner schon vor wenigen Jahrzehnten begonnen, doch sind diese Weine eigentlich das Feld der Winzer. Sie sind in den letzten anderthalb Jahrzehnten immer stärker diesen zweiten Weg der Champagne gegangen. Dieser verortet den einzelnen Champagner konsequenter, als es eine Cuvée tut.

Aus diesem Grund macht es Sinn, einmal genauer hinzuschauen, wie die oft so hochgelobten und als einzigartig beschriebenen geologischen Voraussetzungen der Champagne sich überhaupt darstellen. Gibt es das besondere Terroir? Und wenn ja, wie sieht es eigentlich aus? Dazu habe ich in der Champagne-Lounge der Prowein 2015 eine Masterclass gehalten und zusammen mit den Anwesenden anhand von zehn unterschiedlichen Winzer-Champagnern einmal auf das Wechselspiel zwischen Boden und Rebsorten in der Champagne geschaut und fasse das im Folgenden etwas ausführlicher zusammen.

Die Sub-Appellationen der Champagne
Ohne Zweifel gehört die Champagne zu den großen Wein-Terroirs, die Frankreich zu bieten hat. Doch besteht die Champagne natürlich längst nicht nur aus Kalk und Kreide, wie es häufig kolportiert wird. Allein die heute gebräuchliche Unterteilung in Sub-Appellationen deutet schon darauf hin, dass wir es mit einem komplexeren Zusammenspiel von Boden und Mikroklima zu tun haben. Wenn man auf die Karte der angebauten Rebsorten schaut, wird auch schnell klar, dass sich bestimmte, fast reinsortige Zonen gebildet haben. Die wahrscheinlich berühmteste davon ist die Côte des Blancs, in der auf oft reinen Kreideböden zu 95 % Chardonnay wächst. Nicht weit davon entfernt aber, im südöstlichen Teil der Montagne de Reims, findet sich ein ähnlicher Boden, auf dem fast ausschließlich Pinot Noir wächst. Entlang des Vallée de la Marne gen Westen wird der Bestand an Pinot Meunier immer dichter, während ganz unten im Südosten des Gebiets der Pinot Noir wieder deutlich die Oberhand hat. Die Sub-Appellationen Montagne de Reims, Vallée de la Marne, Côte des Blancs und Côte des Bar sowie die kleinen Zonen Montgueux, Vitry-le-Francois, Côte de Sézanne oder auch das Massif de Saint-Thierry geben zwar einen Hinweis auf unterschiedliche Stilistik und Voraussetzungen, die wirklich entscheidenden Bruchkanten innerhalb der Champagne jedoch verlaufen teils woanders.

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Das Pariser Becken
Die Champagne in ihrer heutigen Form ist Teil des Pariser Beckens und somit Teil einer über Millionen Jahre erfolgten Aufschichtung von Sedimenten, die vielfach mit Versteinerungen früher Lebensformen angereichert ist. Diese Sedimentbecken, von denen das Pariser als archetypisch gilt, entstehen, wenn sich rundherum Gebirge auffalten und das Becken organisches Material ansammelt. Im Falle des Pariser Beckens ist es so, dass es sich zum Kanal hin öffnet (auf der anderen Seite des Kanals findet man dann gleiche Kalk- und Kreidevorkommen wie in der Champagne) und auf der abgetrennten südostenglischen Seite fortgeführt wird, während das Massif Armoricain, das Massif Central, der Morvan, die Vogesen, die Ardennen und das rheinische Schiefergebirge die Grenzen bilden. Die tiefsten Schichten der Sedimentbecken liegen 3.000 Meter tief und sind meist die härtesten und am dichtesten zusammengepressten, während die oberen Schichten häufig sandig und schluffig sein können. Im Pariser Becken, dessen tiefste Ausläufer bin an die Obermosel um Perl herum reichen, finden sich mindestens acht Schichten, von denen fünf die Champagne direkt betreffen. Die ältesten Schichten in Luxembourg und Obermosel sind Sandsteinschichten aus dem Trias (245–195 Mio. Jahre), dann folgen die Kalksteinschichten aus dem späten, mittleren und jüngeren Jura (195–135 Mio. Jahre), die von der Mosel bis zum Chablis und Bar-sur-Aube reichen. Die nächste Schicht aus der älteren Kreidezeit (135–96 Mio. Jahre) liegt oberhalb der Côte-des-Bar in jenem Bereich der Champagne, in dem kein Weinbau stattfindet, während die jüngere Kreidezeit (96–65 Mio. Jahre) sich in den Böden von Montgueux über Épernay bis Reims ausdrückt. Westlich von Épernay im Tal der Marne finden sich Ausläufer des Paläozän (65–55 Mio. Jahre), während sich vom Massif-de-Saint-Thierry über die Île de France bis nach Paris die jüngste Schicht, das sogenannte Oligozän (36–24 Mio. Jahre), zieht. Somit befinden sich innerhalb der Champagne fünf Schichten mit vier Bruchkanten, die man in den Böden des Gebietes wiederfindet und zu denen natürlich bestimmte Rebsorten passen, die die Eigenheiten der Böden deutlich widerspiegeln.

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Fünf verschiedene Bruchkanten des Pariser Beckens spielen in der Champagne eine Rolle.

Die Champagne des Paleozän am Massif de Saint Thierry
Im nordwestlichsten Teil der Champagne, rund um die Orte Prouilly, Chenay und Merfy und oberhalb des Flusses Vesle, der auch durch Reims fließt, findet sich ein kleiner geologischer Bereich des Sedimentbeckens, der zur zweitjüngsten Schicht, dem Eozän, gehört. Das Eozän entstand zwischen 56 und 34 Mio. Jahren. Der Beginn dieser Zeitspanne ist geprägt durch einen hohen Temperaturanstieg und durch einen damit verbundenen Anstieg der Kohlendioxid-Konzentration in der Atmosphäre. Es war global so warm, dass die Pole eisfrei waren und es noch eine Landbrücke zwischen Eurasien, Grönland und Nordamerika gab. In dieser Zeit entstand eine große Gruppe an Säugetieren, wie Unpaarhufer, Fledertiere, Nagetiere und Primaten. Entsprechend findet man in dieser Schicht Fossilien von Urpferden, Tapiren, Krokodilen und Riesenlaufvögeln.

Der Kalk liegt hier sehr tief im Untergrund und ist für die Reben kaum erreichbar. Wichtiger ist die Kreide, die an manchen Bruchkanten an die Oberfläche dringt, grundsätzlich aber unter zwei weiteren Schichten liegt. Der Boden hier wird geprägt von Mergel, Ton, Schluff und verschiedene Arten von Kiesel und Sand. Diese obere Schicht sorgt zusammen mit der etwas kühleren Temperatur dafür, dass hier vor allem Meunier angebaut wird und ein wenig Pinot. Stilistisch haben die Weine, die im Prinzip zur Montagne de Reims gehören, nicht viel mit jenen zu tun, die beispielsweise aus Verzy oder gar Bouzy stammen. Die Weine verfügen über deutlich weniger Säure, als es an der Côte des Blancs der Fall ist, sie sind etwas breiter, saftig, manchmal ins Exotische gehend. Dies ließ sich während des Vortrags vor allem in den Weinen von Maxime Blin feststellen. Ich selber empfehle zusätzlich die Weine von Chartogne-Taillet und Francis Boulard & Fille, beide hier ausführlicher erwähnt.

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Die Champagne des Oligozän in der Montagne de Reims und dem Vallée de la Marne
Geologisch gesehen, ist die D951/N51 eine interessante Straße innerhalb der Champagne; denn östlich dieser Straße, die vom Reims nach Épernay führt, ändert sich das geologische Gefüge hin zu deutlich kalkreicheren Böden und entsprechend ändern sich die Pflanzungen von Pinot Meunier zu Pinot Noir. Bleiben wir auf der westlichen Seite der D951/N51, so wird die Montagne de Reims in Orten wie Gueux, Vrigny oder Chamery vor allem durch das Oligozän bestimmt. Dieses definiert den Zeitraum 34 bis 23 Mio. Jahre. In dieser Zeit wurde es wieder deutlicher kühler (zunächst 5°C im Jahresmittel weltweit, später noch deutlich kälter). Die Polkappen begannen zu vereisen und es bildete sich der zirkumpolare Meeresstrom. Das Anwachsen vor allem der polaren Gletscher führte zu einem Absinken der Meere um zunächst ca. 30 m bis später 150 m. Dadurch entstanden diverse neue Landverbindungen und somit konnten auch nach Mitteleuropa neue Tierarten z. B. von Asien aus eindringen.

Auf der bereits erwähnten Ton- und Lehmschicht liegt hier der jüngere Mergel, durchzogen von sogenanntem Mühlstein, einem dichten, teils porösen Stein aus Kalk und Silit, der in Paris gerne zum Bauen verwendet wird.

Aus der gleichen Zeit stammt ein großer Teil der westlich gelegenen Weinberge im Tal der Marne. Zwar hat der Fluss Teile davon weggewaschen, sodass nahe am Wasser Böden der Kreidezeit zu sehen sind, doch wird das gesamte Gebiet durch Lehm, Ton und Sand geprägt. Teils ist der Boden so sandig, dass man dort noch einige nicht veredelte Rebstöcke antrifft, meist aber ist es Lehm, auf dem zu 80 % Pinot Meunier zu finden ist. Apropos Tarlant… Tarlant ist einer der Winzerbetriebe, wo man diese unterschiedlichen Schichtungen sehr genau untersucht hat und auch in den Weinen abbildet.

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Exemplarisch: Champagne Tarlant
Die Cuvée Louis ist ein Blend von 50 % Chardonnay und 50 % Pinot Noir, die beide von der Lage „Les Crayons“ in Œuilly stammen. Wie der Name schon sagt, ist dies eine kleine Kreidelage an der Marne. Hier findet sich pure Kreidezeit. Der Vigne d’Antan ist ein reinsortiger Chardonnay von wurzelechten Rebstöcken, die in der Lage Les Sables stehen – ebenfalls in Œuilly. Dies ist Eozän, 45 Mio. Jahre alt und so sandig, dass es kein Problem mit Rebläusen gibt. La Vigne d’Or ist 100 % Pinot Meunier von alten Reben, die in der Lage „Pierre de Bellevue“ in Œuilly stehen, und repräsentiert eine Zeitspanne innerhalb es Eozän, wo sich Kreide in einem Mix mit Tonerde befindet (ausgehendes Paläozän bis Eozän, etwa 56 Mio. Jahre). Schließlich gibt es einen ersten Jahrgang des reinsortigen Pinot Noir La Vigne Royale aus dem Weinberg „Mocque Tonneau“ in Celles-lès-Condé, weiter westlich von Œuilly gelegen und aus hartem Kalkstein geformt.

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Wie sollten diese unterschiedlichen Böden auch nur annähernd einen gleichen Wein hervorbringen? Foto Copyright: Champagne Tarlant

Bei Tarlant findet man also eine ganze Reihe verschiedener Schichten und entsprechend unterschiedlich sind die Weine, die an sich ganz ähnlich ausgebaut werden, wenn auch die drei rebsortenreinen Weine auch Jahrgangschampagner sind, während die Cuvée Louis mit 15% Reserveweinen aufgefüllt wird. Die Weine werden alle im neuen Holz ausgebaut und es gibt niemals biologischen Säureabbau. Die Dosage liegt bei 0 bis 3 Gramm.

Die Cuvée Louis präsentiert sich mineralisch säurebetont und gleichzeitig voll, generös, dunkel, würzig, aber ebenso cremig mit Anklängen an Honig, Haselnuss und kandierte Früchte. La Vigne d’Antan dagegen ist meilenweit von einem Blanc de Blancs entfernt, wie man ihn in kreidebetonten Gegenden findet. Der Wein zeigt sich viel seidiger und statt der Zitrusaromen, die man gerne in den typischen Chardonnays an der Côte des Blancs hat, dominieren hier Akazienblüten und Äpfel. La Vigne d’Or bringt Meunier und den passenden Boden zusammen. Die Säure gibt sich zurückhaltender, dafür erinnert der Wein an exotischen Fruchtsalat mit Mango, Ananas, Litschies und Maracuja. La Vigne Royale schließlich zeigt das Zusammenspiel von Pinot Noir und hartem Kalkstein aus dem jüngeren Jura, wie wir ihn hier eigentlich sonst nur tief im Untergrund finden oder eben an der Oberfläche der Côte des Bars weiter im Südosten. Tarlant ist also ein gutes Beispiel dafür, dass man auch in einer von Mergel, Ton und Meunier geprägten Gegend zwischendrin auch mal die andere Champagne findet.

Eine weitere Besonderheit des Marne-Tals ist übrigens der sogenannte Tuffeau de Damery, benannt nach dem Ort, den man auf der rechten Seite der Marne unweit von Épernay findet. In den höchsten Weinbergen entlang des Flusses findet man eine Bedeckung aus 45 Mio. Jahre altem Tuffstein des Eozän, in dem sich eine enorme Fülle an hervorragend erhaltenen Muschel-Fossilien angesammelt hat.

Die östliche Montagne de Reims und der Übergang vom Eozän zur Kreidezeit
Biegt man unterhalb von Reims, die D951 Richtung Épernay entlangfahrend, bei Villers-Allerand auf die D26 ab, erreicht man schnell die wichtigen Orte dieses Abschnitts der Montagne. Rilly-la-Montagne, Ludes, Verzenay, Verzy sind noch vom Eozän geprägt, doch schimmert hier in den unteren Teilen der Hügel die Kreide immer stärker durch. Fährt man den Bogen weiter, erreicht man Trépail, Ambonnay und Bouzy, wo man, geologisch gesehen, schon fast an der Côte des Blancs angekommen ist. Eigentlich könnten diese Orte schon genauso komplett mit Chardonnay bestockt sein wie Vertus oder Le Mesnil-sur-Oger. Diese Sorte findet man auch in Trépail, doch in Bouzy und Ambonnay wird traditionell schon seit Jahrhunderten Pinot Noir angebaut – und zwar der vielleicht beste der gesamten Champagne.

Die Weinberge der genannten Orte unterscheiden sich dabei von Ort zu Ort, doch für den nördlichen Teil der östlichen Hügel rund um Verzenay – der Ort mit Leuchtturm und Mühle – kann man festhalten, dass sich die an die Hügel geschmiegten Weinbergslagen quer durch Kreidezeit, Paläozän und Eozän bis Oligozän ziehen. Auch wenn die Rebstöcke vor allem im Kreidekalk der Kreidezeit und des Paläozän stehen und nur die oberen Reihen in Ton und Mergel, werden die Lagen doch deutlich von den darüber liegenden Schichten beeinflusst, denn Silit, mit Fossilien angereicherter Mergel, Sand, Ton und der ganz oben liegende, metallreiche Ton sind mit mineralreicher Braunkohle durchmischt. Die cendres oder terre noire reichern seit Jahrhunderten die darunterliegenden Weinberge an.

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Verzy, wo der Teil mit Baumbestand verdeckte obere Teil der Hügel den unteren Teil mit speziellen Mineralen versorgt.

Wenn man nach typischen Weinen für diesen kleinen Bereich sucht, dann sollte man zum Beispiel bei François Secondé in Sillery vorbeischauen, das zugegebenermaßen nicht direkt an der D26 liegt, sondern an der größeren E50, der Autouroute de l’Est. Sillery war neben Aÿ lange der berühmteste Weinort rund um Reims und es gab bis ins 19. Jahrhundert Etiketten, die nicht mit Champagne, sondern mit Sillery Mousseux gelabelt waren. Bei Secondé lohnt es sich, den Blanc de Noirs La Loge zu probieren, denn es ist ein reinsortiger Pinot Noir aus Sillery aus fünfzig Jahre alten Reben, der in einer Solera ausgebaut wird. Eine weitere Empfehlung wäre die noch junge Unternehmung Penet-Chardonnet. Alexandre Penet hat 2009 seinen ersten Jahrgang gemacht, ist aber ein versierter Weinmacher mit einer klaren, terroirbetonten Ausrichtung. Die Familie, die es bereits seit 400 Jahren in Verzy gibt, hat 40 Parzellen in Verzy und dem benachbarten Verzenay. Die Champagner bilden sehr klar die Bodenstrukturen mit ihrem hohen Maß an mineralischem Gehalt ab.

Die obere Kreide: Von Ambonnay und Bouzy über die Côte des Blancs bis nach Montgueux
Je weiter man von Ambonnay und Bouzy über Aÿ und Épernay an die eigentliche Côte des Blancs kommt, desto dünner wird die Auflage auf der Kreide des Campaniums (84 bis 72 Mio. Jahre). In den oberen Teilen der Hügel findet man zusätzlich Tertiär-Kalkstein mit hohem Tonanteil. Der Boden, den man hier in teils reiner Form bis zur Oberfläche findet (vor allem in Le Mesnil) und der dort oft nur von etwas Staub oder einer dünnen Grasnarbe bedeckt ist, bildet die Seele des Gebietes. Er besteht aus den Überresten unzähliger kalkhaltiger Algen und den brüchigen Schalen kleinster Meereslebewesen, die in riesigen Mengen die Urzeitmeere der Kreidezeit bevölkerten und, wenn sie starben, wie Pulverschnee hinabsanken – und das für Millionen von Jahren. Heute bildet die Schicht einen basischen Schwamm, der jeden Tropfen Wasser aufsaugt, an dem sich dann die Rebe bedienen kann. Das kommt den Reben sehr zugute, denn der Niederschlag in diesem Gebiet ist mit 660 mm im Jahresmittel nicht besonders hoch.

Fährt man von Verzy über Trepail nach Bouzy, dann merkt man, dass es in den Weinbergslagen wärmer wird, was nicht zuletzt daran liegt, dass die besten eine klare Südausrichtung haben. Bouzy und Ambonnay sind nicht nur bekannt für Champagner, sondern auch für stillen Pinot, sogenannten Coteaux Champenois. In Ambonnay kommt die Kreide schon bis an die Oberfläche durch und liegt in dichten Schichten unter den Weinbergen – Les Crayères, der vielleicht bekannteste Lieu-dit führt diesen Boden schon im Namen. Die Pinots aus diesen Orten bilden entsprechend der Bodenstruktur eine rotes Pendant zu den Chardonnays von der Côte des Blancs, sie sind üppig und sinnlich und dabei von einer enorm rassigen und mineralischen Säure getragen. Es ist kein Wunder, dass Krug sich als Pendant zum Clos de Mesnil für einen kleinen alten Weinberg ausgerechnet in Ambonnay entschieden hat, um neben reinsortigem Jahrgangs-Einzellagen-Chardonnay das Gleiche auch in einer Pinot-Noir-Variante anzubieten.

Empfehlungen für diese Orte sind ganz klar Paul Bara, Benoît Lahaye und Pierre Paillard für Bouzy und Egly-Ouriet, Éric Rodez und Marie-Noëlle Ledru für Ambonnay.

© Michel Guillard, CIVC: An der Côte ist es die Kreide, die zählt.

© Michel Guillard, CIVC: An der Côte ist es die Kreide, die zählt.

Die Côte des Blancs unterhalb der Marne, von Épernay kommend, beginnt mit Cuis, Cramant und Chouilly und schon hier wird klar, dass die Hügel etwas steiler sind. Vor allem Cramant beeindruckt mit einem Amphitheater von östlicher über südöstlicher bis südlicher Ausrichtung. Hier gibt es noch eine bemerkenswerte Lehm-Kalkstein-Lage aus dem Tertiär, die über der Oberkreide liegt und die man auch noch in Avize findet. Die reinste Form an Côte-des-Blancs-Champagner findet man vielleicht in Le Mesnil sur Oger, und zwar vor allem in den nach Vertus hin liegenden Lagen wie Mouli-à-Vent, Musettes, Champs Alouette oder Rougemonts oder Les Chétillons, die zur Bodenstruktur noch das Glück haben, in südlicher Ausrichtung viel Sonne einzufangen. Daran schließen sich einige Weinberge von Vertus an. In der größten Gemeinde an der Côte des Blancs gibt es allerdings einen Bruch, sodass die Weinberge Richtung Mont Aimé und Côte de Sézanne fetter werden und langsam die nächste Bruchkante spürbar wird. Eine Ausnahme im Meer der Zuckerrüben, das sich an die Côte de Sézanne anschließt, ist Montgueux bei Troyes, wo sich ein Hügel erhebt, der feinste Belemnit-Kreide aufweist und wiederum on top of the hill über tertiäre Schichten verfügt, die seit langer Zeit die darunterliegenden Hänge mit Mineralien versorgt.

Es gibt in diesem Bereich so viele Weinempfehlungen, dass es schwierig ist, einzelne herauszupicken. Leicht fällt es für Montgueux, da bildet Lassaigne das Terroir hervorragend ab, an der Côte de Sézanne ist es Ulysse Collin, in Vertus präferiere ich Pascal Douquet, Larmandier-Bernier und Veuve Fourny, in Mesnil ist es (bezahlbar) Pierre Péters, in Avize Agrapart, in Cramant sind es Diebolt-Vallois und Suenen, in Chouilly Legras und Vazart-Conquart und in Cuis ist es Pierre Gimmonet. Aber bitte, viel genauer habe ich es hier und hier beschrieben.

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Die untere Kreide: Kein Weinbau möglich
Das Gebiet der unteren Kreidezeit-Schicht, die sich zwischen 135 und 96 Mio. Jahren gebildet hat, ist keines, wo Weinbau sinnvoll möglich wäre. Die Böden sind eher die einer Börde, sind eher fett und geeignet für den Anbau von Weizen und vor allem Zuckerrüben.

Die Côtes des Bar, das Chablis und das obere Jura
Die älteste Schicht des Pariser Beckens, die für die Champagne eine Rolle spielt, ist die des oberen Jura. Sie ist schmal und beeinflusst sowohl die Côte des Bars als auch das Chablis (und übrigens auch wesentlich Sancerre und Pouilly). Entstanden ist sie zwischen 140 und 157 Mio. Jahren und setzt sich zusammen aus Tithonium (Portlandian), Kimmeridge und Oxfordium. Der Name Jura wurde von Alexander von Humboldt bezüglich der Gesteinsschichten des Juragebirges eingeführt. Die wichtigsten Fossilien aus dieser Zeit sind die Ammoniten und Belemniten, die beide entfernte Verwandte der Tintenfische sind. Das Jura war gleichzeitig die erste Hochphase der Dinosaurier. Das Klima war warm und zu Beginn des Jura war der Vorläufer von Europa mit Wasser bedeckt. Zum Ende, im oberen Jura dann, hatten sich Teile der Landmassen schon erhoben. Die Bodenschichten des Oberen Jura kann man in Reinform auch im süddeutschen Solnhofen bewundern, wo man in den Plattenkalken unter anderem Exemplare des Archaeopteryx gefunden hat.

Entscheidend für den Weinbau an der Aube ist aber nicht die obere Schicht des Oberen Jura, das Tithonium oder Portlandium, benannt nach der englischen Isle of Portland. Es ist der Kalkmergel, der ebenfalls nach einem englischen Ort benannt wurde: Kimmeridge. Er ist Teil der Jura-Küste im Süden Englands und er prägt die Weinberge des Chablis wie auch die von Sancerre und Pouilly-Fumé.

Auf diesem Kalkgestein, das weniger hart ist als der Portlandstein, liefern Chardonnay und vor allem Pinot einen höchst lebendigen, ja oft duftigen und frischen Wein mit feinem Nussgeschmack, der sich deutlich von Pinots der Montagne oder gar dem Tal der Marne unterscheidet. Die Säurestruktur ist eine ganz andere, weil der Boden weniger basisch ist als die reine Kreide. Natürlich ist auch der Wasserhaushalt ein ganz anderer und zum Schluss auch die mineralische Komponente der Böden. Die Weine gehören, geologisch gesehen, viel eher zur Bourgogne als zur klassischen Champagne und waren deshalb dort auch weniger beliebt. 1908 schließlich hat man die Aube-Winzer aus der Champagne herausgedrängt, musste sie aber 1911 nach heftigen Protesten wieder aufnehmen. Grand-Cru-Status gibt es dort allerdings nicht und auch heute noch sind die Winzer benachteiligt, denn sie bekommen deutlich weniger Geld für ihre Trauben. Glücklicherweise hat sich das Preisniveau insgesamt in den letzten beiden Jahrzehnten auf einem so hohen Niveau etabliert, dass auch diese Winzer davon gut leben können. Die Weinberge an der Aube sind heute vor allem die Spielwiese der Winzer und wer Weine weit abseits des Mainstreams sucht, ist hier wunderbar aufgehoben. Auf dem Kalksteinboden fühlen sich vor allem die Winzer wohl, die eigentlich mehr in Richtung Bourgogne schielen statt nach Épernay oder Reims. Olivier Horiot ist so einer. Er hat seine Weinberge in Les Riceys, einer großen, aus drei Orten bestehenden Gemeinde, die seit langer Zeit bekannt ist für ihre stillen Rosé-Weine aus Pinot, von denen er einen der besten macht. Auch seinem Champagner merkt man den besonderen reichen Bodentypus an, der sehr fruchtigen Pinot bei zurückhaltender Säure hervorbringt. Es ist auch kein Wunder, dass man hier an der Aube ab und zu über einen reinsortigen Pinot-Blanc-Champagner stolpert – diese Rebsorte fühlt sich auf den Kalkböden (eigentlich mit Kreide durchsetzte Mergel- und Kalkböden) wohler als auf reiner Kreide. Der Chardonnay ähnelt hier mehr den Weinen aus dem Chablis als denen der Côte des Blancs.

Das einzige größere Haus, das an der Côte des Bar beheimatet ist, ist Drappier. Es hat sich in den letzten Jahren immer mehr den Winzern angeschlossen und ist höchst experimentierfreudig. Winzer sind hier in großer Vielzahl zu empfehlen und ich verweise entsprechend auf diesen und diesen Artikel.

 

Auswirkungen des Klimas
Nicht vergessen werden sollte das Klima der Region, das sich in mindestens ebenso viele Mikroklimata auffächert, wie es besondere geologische Formationen gibt. Dass das Gebiet das nördlichste und gleichzeitig kühlste Weinbaugebiet Frankreichs ist, ist bekannt. Der Weinbau an 49° nördlicher Breite führt zu einem langsameren Vegetationsverlauf, der dazu führt, das die Rebsorten Pinot Noir, Meunier und Chardonnay selten üppig reif werden, sondern eher höhere Säure- als Zuckergrade aufweisen. Dieser Umstand ist für die Erzeugung von Champagner natürlich genauso wichtig wie die Bodenbeschaffenheit. Das Gebiet unterliegt, auch wenn es 200 Kilometer von der Küste entfernt ist, sowohl atlantischen Einflüssen als auch kontinentalen. Auch wenn der Atlantik also mäßigend einwirkt, sorgt das kontinentale Klima für kalte Winter und gemäßigte Wärme im Sommer. In Reims steht die Sonne am längsten Tag des Jahres im Zenit bei nur 65°, was relativ flach ist, sodass man davon ausgehen muss, dass jeder Sonnenstrahl zählt. Wirklich bemerkenswert ist deshalb, dass gerade in der Montagne de Reims viele Weinberge nördlich ausgerichtet sind und der Hangwinkel meist ziemlich flach ist. Um dem kühlen Klima zu trotzen, hat man früher wohl deutlich dichter gepflanzt, als es heute üblich ist. Und es ist gut möglich, dass einer der Gründe für die Tradition der Cuvée aus unterschiedlichen Lagen der ist, dass man so ein gewisses Qualitätsmittel erreicht hat. Auch die übliche Vermischung von Jahrgängen hilft natürlich, eine konstante Qualität zu erreichen, denn gerade in den Zeiten, in denen es noch keinerlei Kellertechnik gab, war die Qualität der Jahrgänge äußerst inhomogen. Beide Besonderheiten, die es in der Champagne bezüglich der Cuvée bzw. des Blendings gibt, dürften also ursächlich ihren Grund in den besonderen Herausforderungen des vor allem kontinental geprägten, kühlen Klimas haben.

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Copyright: Champagne Tarlant

Fazit
Es ist noch gar nicht so lange her, da hat man, wenn man über die Champagne nachgedacht hat, selten über das Terroir reflektiert. Champagne, das ist die Kunst der Cuvée, da ist das spezifische Terroir nicht so entscheidend, könnte man meinen. Für den Konsumenten war und ist das auch so, wenn er zum Standard-Brut greift, jener Melange aus unterschiedlichen Gebieten, Jahrgängen und Rebsorten. Der Kellermeister aber hat sich natürlich von Anfang an Gedanken über das Terroir, jene Verbindung von Boden, Mikroklima und seiner eigenen handwerklichen Leistung Gedanken gemacht. Ohne diese Gedanken, ohne dieses Wissen käme ein Brut oder eine andere Cuvée, die ja einen bestimmten Stil repräsentieren soll, gar nicht zustande. Das Wissen um die unterschiedlichen Einflüsse des Bodens und des Mikroklimas auf den Wein, die Art, wie die einzelnen Rebsorten auf Boden und Klima reagieren, ist essentiell für das Verständnis eines Champagners – zumindest für den, der ihn macht. Für uns wird es jedenfalls interessanter, wenn wir uns mit sogenanntem Winzer-Champagner beschäftigen. Er bietet einem das, was man sonst nur erfahren konnte, wenn man vor Ort die Möglichkeit hatte, Grundweine der einzelnen Lagen zu probieren. Die Winzer bauen diese Lagen immer häufiger sortenrein, jahrgangsrein und lagenrein aus. Daher haben wir heute immer öfter die Chance, über dem fertigen Wein die spezifische Herkunft zu entdecken – so wie wir es vom Burgund her kennen, von der Mosel oder vielen anderen Anbaugebieten, wo wir ganz selbstverständlich vom Terroir sprechen. Und so kann man in einem Vergleich unschwer entdecken, dass ein Blanc de Blancs aus der Montagne de Reims und dem Vallée de la Marne, wo die oben genannten Bodenschichten über lange Zeit auf die Kreideschichten eingewirkt haben, sich ganz anders präsentiert als einer von der Côte des Blancs. Man nehme nur mal einen Blanc de Blancs von Ruinart, einer der bekannten Marken der Champagne, der, ganz untypisch, auf Chardonnay aus der Montagne setzt. Dieser Wein präsentiert sich voluminöser und offener, ja generöser und fruchtiger als die puren, in ihrer Jugend ernsten, immer höchst mineralischen Weine der Côte des Blancs. Völlig unterschiedlich präsentieren sich Pinot Noirs aus Ambonnay oder Bouzy gegenüber Pinots von der Côte des Bar, deren Kalkstein-Untergrund nur noch wenig mit dem Kreideuntergrund von Ambonnay zu tun hat. An sogenannten Monocru-Champagnern, die aus Lagen eines Ortes vinifiziert wurden, wird dies deutlich.

So kann man heute von zwei Wegen sprechen, auf denen sich die Produzenten der Champagne bewegen. Es ist der Weg der Cuvée und der Weg der Individualisierung. Beide Produzentengruppen, die großen Häuser wie die Winzer, gehen meist beide Wege, wobei die Häuser generell für die Kunst des Blendings stehen, während die Winzer sich durch die Kunst des Vinifizierens von Einzellagen hervortun. So unterschiedlich die Wege sind, so klar ist doch, dass beide auf ihre Weise Ausdruck des Terroirs der Champagne sind, den man in einer eher allgemeinen, doch nicht zu verwechselnden Art beispielsweise in einem Dom Pérignon ebenso findet oder ihn – ganz anders – in La Bolorée von Cédric Bouchard entdecken kann.

P.S.:
Die drei vorherrschenden Kalksteine in der Champagne

Kalkstein > besteht überwiegend aus Calcit und Aragonit, die wiederum Kristallisationsformen von Calciumcarbonat darstellen. Meist stark verfestigt.

Mergel > Kalkstein mit einem hohen Anteil von Tonmineralen

Kreide > mürber Kalkstein, feine, mikrokristalline Sedimente, entstanden durch Ablagerung fossiler Kleinstlebewesen

 

Weiterführende Literatur:

James E. Wilson Terroir – Schlüssel zum Wein, Hallwag, Ostfildern 2000

Jacques Fanet, Great Wine Terroirs, University of California Press 2004

Charles Frankel, Land and Wine: The French Terroir, University of Chicago Press 2014

 

Weiterführende Artikel hier im Blog aus der Serie, die Champagne der Winzer und unabhängigen Häuser:

Teil 1: Prolog – Auf der Suche nach einem Mythos

Teil 2: Montagne de Reims

Teil 3 Vallée de la Marne, rund um Aӱ

Teil 4: Vallée de la Marne, am rechten Ufer von Dizy nach Crouttes

Teil 5: Vallée de la Marne, am linken Ufer zurück nach Épernay

Teil 6: Côte des Blancs von Épernay nach Cramant

Teil 7: Côte des Blancs in Avize

Teil 8: Côte des Blancs in Le-Mesnil-sur-Oger

Teil 9: Côte des Blancs in Vertus

Teil 10: Von Vertus nach Montgueux

Teil 11: Côte des Bar von Bar-sur-Seine nach Les Riceys

Teil 12: Côte des Bar von Courteron nach Urville

Teil 13: Epilog

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