Genusswandern – ein Wort, das schnell mit “Best Agern” assoziiert wird, mit etwas Alibibewegung vor dem allabendlichen Gelage. Tatsächlich gibt es aber kaum eine bessere Möglichkeit, eine Region landschaftlich, kulturell und kulinarisch kennenzulernen. Wechselnde Natur, Weitblicke, Vegetation, die lokalen Tiere und Pflanzen, all das lässt sich am besten erfahren, wenn man sich langsam und auf ein paar Höhenmetern fortbewegt. Ganz einfach ist es aber nicht, eine Wanderstrecke zu finden, die sowohl den Körper etwas mehr beansprucht als beim Spazierengehen als auch kulinarisch mehr bietet als improvisierte Gerichte auf dem Campingkocher und zusätzlich ein Weinanbaugebiet streift.
Gleich zwei Weinanbaugebiete streift der Grande Randonée 10 (GR10), einer der bekanntesten und beliebtesten Fernwanderwege Frankreichs. Er verbindet Hendaye am Atlantik mit Banyuls sur Mer am Mittelmeer, verläuft an der Nordseite der Pyrenäen auf 866 km und verlangt dem Wanderfreund insgesamt fast 50.000 Höhenmeter ab. Im Westen verläuft er entlang der Weinberge der AOC Irouléguy und kommt im Osten bei den knorrigen Reben der AOC Banyuls, bekannt für seine gespriteten Rotweine, an. Eineinhalb bis zwei Monate dauert der gesamte GR10 auf 45-50 Etappen, zum Glück kann man den GR10 aber auch in kleineren Portionen abwandern. Und jede der ersten fünf Etappen endet in einem kleinen Ort mit meist mindestens einem guten Restaurant. Im Baskenland, nicht nur in Spanien, sondern auch in Frankreich einer der kulinarisch interessantesten Gegenden überhaupt.
Die klobigen Wanderboots geschnürt, fünfeinhalb Kilo im Handgepäckrucksack verstaut (inklusive ordentlicher Kleidung für den Abend) und mit der Hoffnung auf eine blasenfreie Woche ging es also von Hamburg über Paris nach Biarritz und von dort mit dem Bus weiter nach Hendaye. Es ist der in einer Bucht gelegene Grenzort zu Spanien, von dem man mit etwas Kondition von Frankreich nach Spanien (Hondarribia) rüberschwimmen kann. Der Tag der Ankunft dient zum Reinkommen, beginnt mit einem kleinen Spaziergang zum Startpunkt des GR10 am Strand beim eher hässlichen Casino.
Das Highlight am Startpunkt ist eher der Wochenmarkt, auf dem sich gleich guter Proviant einkaufen lässt – Ossau Iraty, der AOC Brebis (Schafskäse) aus den Tälern von Ossau und Iraty, Bayonne-Schinken (der nicht aus Bayonne kommt, sondern von den Ausläufern der Pyrenäen, und nur in Bayonne verarbeitet wird), rote und schwarze Kirschen und der berühmte Gateau Basque, gefüllt mit Pudding oder Kirschmarmelade.
Kulinarisch ist Hondarribia, der spanische Grenzort am Atlantik Hendaye, der französischen Grenzseite, überlegen. Mit dem Alameda gibt es ein Michelin-Stern-Restaurant, die New York Times titelte vor sechs Jahren “A Dining Explosion in a Tiny Basque Town” und anders als auf der französischen Seite gibt es in Hondarribia auch diverse interessante Lokale für Pintxos, die baskische Variante der Tapas. Auch Hendaye hat für vinophile Freunde der Kulinarik allerdings ein Highlight zu bieten – das Maison Eguiazabal, unweit des Bahnhofs und der Grenze gelegen. Auch über dem Maison Eguiazabal schien noch bis vor ein paar Jahren ein Michelin-Stern, der seinerzeit völlig überraschend kam und eine Michelin-Stern-Premiere für ein Tapas-Restaurant darstellte. Als Küchenchef Vivien Durand ins Le Prince Noir in die Nähe von Bordeaux weiterzog, ging auch der Michelin-Stern verloren. Das macht das Maison Eguiazabal aber nicht weniger attraktiv.
Im Eguiazabal kann man gepflegt für das Wochenende “vorglühen”, was auch nicht wenige junge Franzosen und Spanier machen. Es kommt eine Flasche Wein und eine Platte Tapas nach der anderen. Links hat das Eguiazabal einen Weinladen, in der Mitte eine kleine Bar, an der es Wein, Cidre, Bier, Cocktails und Tapas gibt, und rechts ist auch noch ein kleines Restaurant, ebenfalls mit einem Tapas-ähnlichen Konzept. Der Star im Eguiazabal ist neben dem Essen (dazu gleich mehr) die Weinkarte. Sie hat mehr oder weniger alles zu bieten, was der Weinnerd sich wünscht – Champagner von Egly Ouriet, Jerome Prévost, George Laval, usw., Jura-Weine von Jean Macle und Pierre Overnoy, Burgunder von Trapet, Romanée-Conti, Lafon und anderen, mehr oder weniger alle Weingüter aus dem Südwesten Frankreichs und vor allem viel Bordeaux – gereiften Bordeaux zu sehr attraktiven Preisen. Bordeaux ist hier nach allem noch ein lokaler Wein – neben Txakoli, Rioja, Irouléguy, Jurançon und vielleicht noch Madiran.
Die Wahl fällt bei der Weinkarte wirklich schwer, aber an einem 1978er Pauillac des Château Pichon Longueville-Baron für 80 Euro lässt sich nur schwer vorbeigehen. Gut gekühlt wird die Flasche gebracht, nicht dekantiert, der Sommelier kennt den Wein und weiß, dass er fragil ist. Lieber verbessert sich ein Wein über den Abend hinweg als dass er mit einem Feuerwerk beginnt, am Ende des Abends aber abbaut. Der Wein ist grandios – sehr oldschool Bordeaux, ledrig, streng, unsüß, schlank und leicht zu trinken. Sicher ist er bereits im letzten Viertel seines Lebens angelangt, aber typische Altweinnoten wie Liebstöckel oder Bratensauce sucht man hier vergebens.
Auch mit dem Essen harmoniert der Longueville Baron hervorragend. Im Maison Eguiazabal sind alle Gerichte in einer halben (zwischen 6 und 8 Euro) und in einer ganzen Portion (zwischen 12 und 16 Euro) bestellbar, dazu gibt es noch diverse Gerichte für zwei, z.B. ein Côte de Boeuf des Lieferanten Guikar. Das Essen hier boxt deutlich oberhalb seiner Gewichstklasse. Ein Yakitori vom Huhn mit thailändisch gewürztem Kohl (8 Euro) ist sehr fein abgeschmeckt und tappt nicht in die gesichtslose Asia-Falle. Noch besser ist die geschmorte Rinderbacke mit niedrigtemperaturgegartem Ei und Kartoffel sowie einem sehr tief schmeckenden Rinderjus (6 Euro). Der Spieß mit Guikar Rind (8 Euro) ist perfekt gesalzen, so dass die zusätzlich gereichte Sauce Béarnaise leider unangetastet bleiben muss. Vor allem zu dem Hühner-Yakitori passt der Bordeaux gut, so leicht, wie er sich trinkt, hat er aber mit keinem Gang Probleme. Im Maison Eguiazabal kann man Stunden verbringen, sich einmal durch die Karte probieren, ohne eine Riesen-Rechnung aufzuhäufen, und die Weinkarte leertrinken. Da aber am nächsten Morgen die erste Etappe ansteht, muss ein längeres Essen auf den nächsten Besuch warten.
Die erste Etappe des GR10 beginnt relativ unspektakulär, die Bucht von Hendaye könnte schöner sein und wirkt etwas industriell geprägt, obwohl sie das gar nicht ist. Durch Wohngebiete am Rande der Stadt entfernt man sich langsam von Hendaye, die ersten schönen Blicke von oben auf die Bucht entfalten sich, über den noch sanften Hügeln sind die ersten Geier sichtbar. Und recht bald stehen auch die ersten Pottok-Ponys auf dem Weg, die aber so mit Essen beschäftigt sind, dass sie von Wanderern keine Notiz nehmen. Die Steigungen auf der ersten Etappe sind noch moderat, sie summieren sich mit der Zeit aber auf. Das Wetter könnte besser sein, dichte Wolken versperren die Weitsicht, zum Wandern ist das Wetter trotz einiger weniger Regentropfen aber perfekt. Etwas bizarr wirkt nach der Hälfte der Etappe der Col d’Ibardin, ein Grenzhügel zwischen Spanien und Frankreich, auf dem ca. 20 Geschäfte billige alkoholische Getränke, Tabak, etc. verkaufen. An einem Sonntag ist es hier tatsächlich proppenvoll.
In einem sehr idyllischen Flusstal entlang des Intsolako Erreka endet die erste Etappe, die ersten 20 km sind geschafft. In Olhette fällt – insbesondere an einem Sonntagabend – leider der kulinarische Teil des GR10 aus. Die Hotelbesitzerin kann, obwohl das Restaurant geschlossen ist, immerhin noch ein passables Axoa de Veau, ein baskisches Gericht aus kleingehacktem Fleisch mit Paprika, Zwiebel und Piment d’Espelette, auf den Tisch zaubern, insgesamt sind aber in Olhette auch kaum bis keine kulinarischen Alternativen ersichtlich, die am Sonntag geöffnet sind. Da am nächsten Abend ein gutes Essen am Ende der Etappe wartet, ist das verschmerzbar. Und die noch etwas ungewohnt beanspruchten Muskeln können ebenfalls ein frühes Ende des Abends gut gebrauchen. Vom Fenster aus ist schon der höchste Gipfel der ganz westlichen Pyrenäenausläufer zu sehen – La Rhune. Der wird in Teil 2 des kulinarischen GR10 allerdings nur gestreift.
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