Die 2015er Vouvrays von Huet – Alles beim Alten

Veränderungen schaffen Unsicherheit. Man kann sich gegen diese Unsicherheit wehren, aber sie schleicht doch stets wieder in den Kopf hinein. Diese Unsicherheit ist gerade gut zu sehen beim Weingut Vietti im Piemont, das an einen US-amerikanischen Tankstellenmagnaten verkauft wurde. Fans des Weinguts sind verunsichert – kann die Qualität gehalten werden? Werden die Preise ins Unermessliche steigen? Verliert das Piemont insgesamt seinen familiär-traditionellen Charakter?

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Als Noël Pinguet, der Schwiegersohn von Gaston Huet, der die Domaine Huet in Vouvray an der Loire zu einiger Bekanntheit geführt hatte, im Jahr 2003 die Domaine an die Hwang-Familie aus New York verkaufte, schlug das ein paar Wellen, aber keine riesengroßen. Viel größer wurden die Wellen, als Noël Pinguet sich im Jahr 2012 vorzeitig aus der Verantwortung für die Domaine verabschiedete. In der Presse wurde kolportiert, dass sich Pinguet gegängelt fühlte, ihm nicht die an sich versprochene Freiheit bei der Entscheidung über das Sortiment gegeben wurde. Nach allem gründet der Ruhm der Domaine Huet weniger auf seinen trockenen Vouvrays, sondern eher auf den halbtrockenen, süßen und vor allem edelsüßen Vouvrays und es hieß, der Focus solle zukünftig viel stärker auf den trockenen Varianten liegen.

Sarah Hwang hatte es anschließend schwer, die Wogen zu glätten. Dem letzten von Noël Pinguet verantworteten Jahrgang (2011) folgten zwei sehr schwierige Jahrgänge, die beide von starkem Hagel geprägt waren. Die 2012er der Domaine erhielten von zwei einflussreichen englischen Loire-Experten, Jim Budd und Chris Kissack, verhaltene bis negative Kritiken, was ein Jahr später beim Salon des Vins de Loire zum Eklat führte. Sarah Hwang teilte Budd und Kissack mit, dass sie die 2013er Huets wegen ihrer negativen Kritiken der 2012er Weine nicht probieren dürften. Budd und Kissack berichteten darüber natürlich auf ihren Websites. Und anschließend war im world wide web klar, auf wessen Seite die Sympathien lagen.

Die trockenen 2012er und 2013er Huets probierten sich jung tatsächlich relativ schwierig, es fehlte die Brillanz der 2010er und selbst der 2011er. Zu der Zeit kam somit viel zusammen: schlechte Witterungsbedingungen in zwei aufeinanderfolgen Jahrgängen, entsprechend nicht optimale Weine und gut 50% Ernteausfall durch Hagel, der kontroverse Abgang von Noël Pinguet und dann noch schlechte Presse wegen Jim Budd und Chris Kissack. In einer solchen Situation hilft nur eins: gute Weine.

Glücklicherweise kam mit dem 2014er Jahrgang das gute Wetter zurück und die 2014er der Domaine Huet erhielten nach den 2012ern und 2013ern wieder deutlich positivere Bewertungen. Leider konnte ich bislang noch keinen probieren oder trinken. Wohl aber zusammen mit Christoph Raffelt die gerade auf den Markt gebrachten 2015er, und davon die gesamte Palette. Wer die Sorge hatte, dass die Domaine Huet nach dem Abgang von Noël Pinguet das Sortiment vereinfachen und mehr auf trockene Weine hin ausrichten würde, kann aufatmen. Das Sortiment sieht mehr oder weniger wie immer aus. Drei Weinberge und von (fast) allen Weinbergen Weine in trocken (sec), halbtrocken (demi-sec), mittelsüß (moelleux) und edelsüß (moelleux Première Trie). Macht insgesamt, da nicht jeder Weinberg in jeder Geschmacksrichtung vertreten ist, zehn verschiedene Weine.

Jeder der drei Weinberge der Domaine Huet hat ein eigenes Profil. Das Herzstück der Domaine ist die Lage Le Haut Lieu, mit der das Weingut 1928 begründet wurde. Hier findet sich ein relativ kompakter Lehmboden. Der Weinberg in der Lage Clos du Bourg wurde 1953 dazu erworben. Im durch Mauern eingerahmten Clos du Bourg ist der Boden steiniger, der Oberboden aus Kalkmergel ist dünn, darunter findet sich der für die mittlere Loire typische Tuffstein. 1957 erwarb die Domaine eine Parzelle in der Lage Le Mont dazu, die mittlerweile die bekannteste Lage der Domaine sein dürfte. Auch im Le Mont besteht der Unterboden aus Tuffstein, darüber befindet sich ein kieseliger Lehmboden mit Silexanteilen. So viel zur Theorie.

Die Praxis zeigt nicht nur bei den 2015er Huets, sondern auch bei den alten Weinen der Domaine, ein klares geschmackliches Profil der Weine aus jedem einzelnen Weinberg. Das zieht sich von den trockenen Weinen bis zu den edelsüßen Weinen wie ein roter Faden durch. Aufs Wesentliche heruntergebrochen sind die Weine aus der Lage Le Haut Lieu – jedenfalls jung – immer die leichtesten, zugänglichsten, aromatisch transparentesten und fruchtbetontesten Weine. Am anderen Ende stehen die Weine aus der Lage Le Mont, die nahezu immer die komplexesten, festesten, mysteriösesten Weine aus dem Huet Programm sind, für die zudem eine ingwerartige pikante Note und eine ausgeprägte Mineralität charakteristisch sind. Die Weine aus der Lage Clos du Bourg sind am schwierigsten einzuschätzen, sie schmecken besonders erdig und würzig, etwas orientalisch angehaucht, sie sind im Zweifel die muskulösesten Weine im Huet Programm.

Sec
In trocken (sec) gibt es bei Huet aus 2015 „nur“ den Le Haut Lieu und den Le Mont. Welchen man lieber mag, hängt von persönlichen Präferenzen ab und ob man die Geduld hat, auf den Le Mont zu warten. Letzterer wirkt jung wie aus dem Stein gemeißelt und noch sehr verhalten, aber die Anlagen sind klar zu erkennen. Le Haut Lieu sec ist dagegen sehr offen und zugänglich, fruchtbetont (Quitte und rote Johannisbeere), frisch und freundlich.

demi-sec
In halbtrocken (demi-sec) hat man die Wahl zwischen den Weinen aus allen drei Weinbergen. Am leichtesten zugänglich ist auch hier Le Haut Lieu, der seine dezente Süße (ca. 20 g/l Huet_Clos_du_Bourg_demi_sec_2015Restsüße) hinter einer frischen Säure zu verstecken weiß, so dass er quasi trocken schmeckt. Le Mont ist in halbtrocken enorm spannend und komplex. Tabak, Garam Masala, Ingwer, Chicorée und kräftige Bitternoten, purer Extrakt sind hier die Elemente, die die Süße ausgleichen. So jung ist das noch etwas überwältigend, in sechs bis acht Jahren sollte hier aber ein grandioser Le Mont demi-sec herangereift sein. Mein Favorit in demi-sec ist mit knappem Vorsprung vor Le Mont aber Clos du Bourg, der zunächst mit seiner säurearmen und cremigen Art den Schafspelz vortäuscht, um dann aber hinten raus sein Wolfsgesicht zu zeigen mit einer nur schwer zu begreifenden Pikanz, die von Säure und Würze getragen ist.

moelleux
In mittelsüß (moelleux) stehen sich wieder Le Haut Lieu und Le Mont gegenüber. Le Haut Lieu punktet in dieser Kategorie mit einer hinreißenden exotischen Frucht und einer geradezu tänzerischen Leichtigkeit. Le Mont moelleux ist vom Charakter ein komplett anderer Wein, zwar Huet_le_haut_lieu_moeulleux_2015findet sich bei ihm auch etwas exotische Frucht, sehr prägnant sind aber auch leicht rauchige Noten in der Nase und eine ausgeprägte Adstringenz im Mund. Auch wenn beide Weine gemessen an ihren Zuckerwerten ganz eindeutig süß sind, schmecken sie nicht sehr süß. Das liegt beim Le Haut Lieu auch im moelleux Bereich an der Säure und beim Le Mont am Extrakt. Da sich Weintrinker, die Süßweine nicht zur Foie Gras oder zum Dessert trinken, gelegentlich wahlweise als zuckersüchtig oder dem Kitsch zugeneigt beschimpfen lassen müssen, ist das Trinken restsüßer Weine zum Essen etwas aus der Mode gekommen. Dabei lassen sich Weine wie Vouvray Moelleux zu allen möglichen Gerichten hervorragend kombinieren. Unvergessen ist die Kombination eines 1961 Le Mont Moelleux zu einer Rinder-Consommé von vor ein paar Jahren. Daneben ist aber auch an Wildgerichte zu denken, die Küche Nordafrikas, die Küche Nord- und Westindiens, die etwas aus der Mode gekommenen Pacific Rim Gerichte.

moelleux première trie
Selbst die Première Trie Weine sind am Ende noch Essensweine, obwohl sie noch deutlicher süß sind als die „normalen“ Moelleux Weine. Die Première Trie Weine sind das Ergebnis einer rigorosen Traubenauslese. In mehreren Lesegängen werden die besten Trauben hängen gelassen und erst später gelesen. Wegen des gemäßigten Klimas an der mittleren Loire führt das im Idealfall – wie auch in einigen Weinbaugebieten Deutschlands – dazu, dass die Trauben Huet_Clos_du_Bourg_premiere_trie_2015ihre Säure behalten, die Aromen sich aber zunehmend konzentrieren. In manchen Jahrgängen ist dieser Konzentrationsprozess das Ergebnis einsetzender Botrytis, in anderen Jahrgängen das Ergebnis der so genannten Passerillage, das heißt des windbedingten Eintrocknens der Trauben am Stock. Die drei 2015er Première Tries schmecken nicht nach Botrytis, alle drei sind blitzsaubere und glockenklare Weine. Le Haut Lieu ist auch hier wieder der klarste und am leichtesten verständliche Wein der drei, Trockenmango ist hier das Leitaroma. Der Clos du Bourg ist mit seiner nassen Wollnote vielleicht der typischste Chenin Blanc der drei. Der Le Mont zeigt im Abgang sehr interessante Aloe Vera Noten. Was alle drei Weine eint, ist ihre nur schwer zu erfassende Komplexität, ihre Ausdruckskraft und ihre irre, wirklich irre Länge.

Die drei Première Tries von Huet sind das würdige Ende einer phänomenalen Reihe von Weinen aus dem Jahrgang 2015, dem zum Teil Überreife und fehlende Säure vorgeworfen wird. Davon ist hier nichts zu spüren. Was besonders beeindruckt ist, dass bei zehn Weinen keiner dabei ist, der eher mittelmäßig oder sogar enttäuschend ist. Natürlich ist beim Nebeneinandertrinken mehrerer Weine das Bessere stets der Feind des Guten. Und so brillieren die Weine aus der Lage Le Haut Lieu – bis auf die Première Trie – weniger mit Komplexität und Nuanciertheit. Stattdessen sind sie deutlich früher zugänglich, sie sind etwas kräftiger in der Säure, sie sind etwas leichter und sie haben eine wunderbare Frucht. Manchmal ist ein komplexer Wein nicht der richtige Wein für die Situation, z.B. das Essen mit mehreren Freunden, bei dem die Gespräche und nicht der Wein im Vordergrund stehen. In jedem Fall ist von einem Pinguet-Abschieds-Blues bei Huet nichts zu spüren. Spätestens mit dem 2015er Jahrgang ist das Weingut wieder in bester Form.

Alle Weine dieses Beitrages wurden dem Herausgeber des Blogs, Christoph Raffelt, kostenfrei von Vinaturel zur Verfügung gestellt, da er für Vinaturel Verkostungsnotizen erstellt.

2 Kommentare

  1. Stephan

    Die Weine werden zum Teil in 228 l Fässern, zum Teil in 600 l Fässern und zum Teil in großen Edelstahltanks ausgebaut. Welcher Wein in welchen Behältern, weiß ich aber auch nicht. Ganz spannend ist jedenfalls, dass die Weine relativ schnell auf die Flasche gezogen werden, nämlich üblicherweise im April nach der Ernte. Trotzdem sind die besten Weine 100 und mehr Jahre haltbar.

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