Mosel, Saar und Ruwer – Vorsprung durch Klassik

Leicht hatten es die Rieslinge von Mosel, Saar und Ruwer in den letzten 15 Jahren in Deutschland nicht unbedingt. Die restsüßen Kabinette, Spätlesen und Auslesen kamen in Deutschland zwischenzeitlich stark aus der Mode und wurden hauptsächlich durch die Auslandsmärkte gerettet. Die trockenen und fast trocken Rieslinge kamen bei den Profikritikern neben den Großen Gewächsen aus Rheinhessen, der Pfalz und der Nahe lange Jahre auch nur mäßig an – »zu süß«, »zu leicht«, »zu nichtssagend« lautete nicht selten das Urteil.

Und dann kam die neue Qualitätspyramide des VDP (Verband Deutscher Prädikats- und Qualitätsweingüter e. V.), die 2012 beschlossen wurde. Sie wurde vom Großen Ring, dem Regionalverband Mosel, Saar und Ruwer des VDP, mitgetragen, lenkte den Fokus aber fortgesetzt hin zu trockenen Weinen, weg von Prädikatsweinen und hin zum Prestigeobjekt des VDP, dem (zwingend trockenen) Großen Gewächs.

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In der Basis-Pyramide des VDP, die vom Gutswein über den Ortswein zum Großen Gewächs geht, findet sich kein Prädikatswein. Ein etwas bizarr anmutendes Detail, zieht man den Namen des VDP (das „P“ steht in erster Linie für „Prädikatsweingüter“) in Betracht und die Geschichte des Verbandes, der 1910 als Verband Deutscher Naturweinversteigerer e. V. gegründet worden war. »Naturwein« bedeutete damals nicht (wie heute): ökologisch erzeugt, nicht filtriert und geschönt und nur schwach oder gar nicht geschwefelt. Es bedeutete in der Hauptsache, dass Naturweine oder »naturreine« Weine nicht aufgezuckert werden durften und eine klar konkretisierte Herkunft haben mussten. Warum das Aufzuckern heute im VDP selbst für Große Gewächse erlaubt sein soll, obwohl es aufgrund veränderter klimatischer Bedingungen weniger denn je erforderlich ist, bleibt das Geheimnis des VDP. Dieser Punkt ist nicht der wichtigste, gleichwohl ein nicht ganz unerhebliches Detail.

Entscheidender für den Moselriesling dürfte an der neuen Qualitätspyramide des VDP gewesen sein, dass sie für trockene Weine entworfen wurde und restsüße Prädikatsweine in ihr keine Rolle spielen. Die Qualitätspyramide kulminiert im Großen Gewächs als dem Prestigeobjekt des deutschen Weins nach Vorbild der Grand Crus im Burgund, auch wenn an Mosel, Saar und Ruwer andere Weine das weltweite Renommée der Region nach dem zweiten Weltkrieg begründet hatten – neben edelsüßen Spezialitäten wie den Eisweinen, Beerenauslesen und Trockenbeerenauslesen vor allem mild restsüße Kabinette, Spätlesen und Auslesen. Für die restsüßen und edelsüßen Moselweine war in der Klassifikation des VDP natürlich auch Platz, auch wurde für sie (und die trockenen Großen Gewächse) der Begriff „Große Lage“ geschaffen. Gleichwohl übernahm in der medialen Aufmerksamkeit die Präsentation der Großen Gewächse Anfang September in Wiesbaden langsam aber sicher die Vorreiterrolle.

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All das sollte dem Image des Moselweins allerdings nicht schaden. Die Region schuf sich ihre eigenen Veranstaltungen – neben den lange etablierten Trierer Versteigerungen den Saar Riesling Sommer und Mythos Mosel, zwei Veranstaltungen, die sich einer enormen Beliebtheit bei den Besuchern erfreuen. Hinzu kam in den letzten Jahren eine Renaissance des restsüßen und feinherben Riesling Kabinetts, eines Weintyps, der lange Jahre maßgeblich durch die Nachfrage aus dem Ausland gerettet wurde und in Deutschland mit der Popularität der trockenen Rieslinge nicht mithalten konnte. Heute gehören Klassiker wie der Wehlener Sonnenuhr Kabinett von Joh. Jos. Prüm, der Graacher Domprobst Kabinett von Willi Schaefer oder der Scharzhofberger Kabinett von Egon Müller zu den weltweiten Klassikern, für die der deutsche Wein insgesamt nicht nur international, sondern auch im Inland berühmt ist.

Und schließlich brachten einige Neuankömmlinge und Generationswechsel frischen Wind in die Flusstäler an Mosel, Saar und Ruwer: Roman Niewodniczanski, der das Weingut Van Volxem wiederbelebte, Gernot Kollmann, der dies für das Enkircher Weingut Immich-Batterieberg übernommen hat, Günther Jauch als neuer Eigentümer und auch auf Veranstaltungen wie der Mainzer Weinbörse oder der Trierer Weinversteigerung des Großen Rings präsenter Botschafter für das Weingut von Othegraven in Kanzem sind die drei bekanntesten. Aber auch jungen Weingütern und Winzern wie Weiser-Künstler, Daniel Vollenweider, A.J. Adam oder Julian Haart gelang es, sich innerhalb von wenigen Jahren in der Spitze der Region zu etablieren. Und das zum Teil mit wenig berühmten und nahezu vergessenen Lagen wie der Enkircher Ellergrub, der Wolfer Goldgrube, dem Dhroner Hofberg oder dem Wintricher Ohligsberg.

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Heute stehen Mosel, Saar und Ruwer nicht mehr nur für restsüße Prädikatsweine, sondern für eine atemberaubende Vielfalt an Rieslingstilen und eine große Dynamik von allen Seiten, die nur diese eher kühle Region mit ihren Steillagen und ihren Schieferböden bieten kann. Spielte die Musik zwischenzeitlich mehr in Rheinhessen oder der Nordpfalz mit ihren zahlreichen jungen Winzern mit den wahlweise besonders bunten oder besonders aufgeräumten Etiketten, konnten sich die Mosel, Saar und Ruwer Rieslinge mit ihren seit Jahrzehnten nicht mehr geänderten Etiketten, den Lagennamen auf dem Etikett und der Kleinteiligkeit des Sortiments, die der VDP eigentlich eindämmen wollte, durchaus medial wieder stärker durchsetzen.

Die diesjährige Weinversteigerung des Großen Rings in Trier und die „Meisterwerke der Mosel“ Probe einen Tag vorher bot eine hervorragende Gelegenheit, sich ein Bild über diese Rieslingvielfalt zu machen. Dabei zeigten sich diverse teilweise neue, teilweise schon seit ein paar Jahrgängen angelegte Entwicklungen, über die es sich lohnt, zu berichten

Das Prädikat zählt wieder was.
Einige Jahre lang schienen sich nicht wenige Winzer von den neuen Möglichkeiten, die der Klimawandel ihnen bot, verführen zu lassen, und die Prädikate Kabinett, Spätlese und Auslese stark zu dehnen. So entstanden in reifen Jahrgängen wie 2005 oder 2007 einige Kabinette, die auch als Auslese durchgehen würden, oder Spätlesen im hohen Auslese-Oechsle und Süße-Bereich. Im Handel wurden solche Weine häufig als Super-Schnäppchen angepriesen (Kabinett zahlen, Auslese bekommen).

Diese Zeiten scheinen weitgehend vorbei. Auch wenn weiter sehr viele Kabinette von den Oechsle-Graden auch als Spätlese verkauft werden könnten, viele Spätlesen als Auslesen und einige Auslesen auch als Beerenauslesen, scheinen die meisten Winzer sich alle Mühe zu geben, den klassischen Geschmack, der mit den drei unteren Prädikaten assoziiert wird, im jeweiligen Prädikat widerzuspiegeln und Süße- und Reifeexzesse zu vermeiden.

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Bei Weingütern wie Fritz Haag oder Schloss Lieser beispielsweise schmeckten Kabinette und Spätlesen in der Vergangenheit auch schon kraftvoller und süßer, was ihrer Rolle als Tischwein nicht unbedingt entgegenkam. Ein wirklich substanzieller Teil der probierten 2015er Kabinette und Spätlesen (und teilweise auch Auslesen) dürfte sich mit einem guten Jahrzehnt Flaschenreife ganz hervorragend als Essensbegleiter eignen. Hervorzuheben seien hier neben den bereits erwähnten Fritz Haag und Schloss Lieser auch Willi Schaefer, Joh. Jos. Prüm und Maximin Grünhaus, die allesamt sehr dezente und subtile und nur moderat süß schmeckende 2015er Kabinette und Spätlesen aus Weinberg und Keller gezaubert haben. Der Trend, einen Kabinett wie einen Kabinett und eine Spätlese wie eine Spätlese schmecken zu lassen, kann nicht genug begrüßt werden

Der Egon Müller Scharzhofberger Kabinett als Trendsetter
Anknüpfend an Punkt 1 müssen ein paar Worte über den neuen Egon Müller Versteigerungsrekord verloren werden. Für 160 Euro die Flasche kamen 1.200 Flaschen seines Scharzhofberger Riesling Kabinett Alte Reben in der Trierer Versteigerung unter den Hammer. Zuzüglich Kommission und MwSt. liegt der Endverbraucherpreis somit bei nur wenigen Cent unter 200 Euro. Das ist ein neuer Preisrekord im Kabinett-Bereich und viel Geld für einen Kabinett.

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Die drei Worte „für einen Kabinett“ sind allerdings in diesem Fall durchaus irreführend. Denn warum soll ein Kabinett weniger »wert« sein als eine Spätlese oder sogar Auslese. Der weltweite Trinktrend, jedenfalls bei vielen Opinion Leaders, geht hin zum Leichtwein. Bei einigen Weingütern wie Maximin Grünhaus oder Joh. Jos. Prüm zeigt sich das auch in der Preisgestaltung, in der zwischen dem Kabinett und der »normalen« Auslese (d.h. ohne Fuder-Nr. oder Goldkapsel) nur moderate Preissprünge liegen. Das wertet weniger die Auslese ab als vielmehr den Kabinett auf. War es an Mosel, Saar und Ruwer noch bis in die 80er Jahre in vielen kühlen und nassen Jahrgängen gar nicht einfach, Spätlese oder Auslese Mostgewichte in größeren Mengen zu erzeugen, besteht heute die Kunst darin, hohe Kabinett- bzw. niedrige Spätlese Oechsles bei trotzdem ausreichender geschmacklicher Traubenreife auf die Mostwaage zu bringen.

Egon Müllers Versteigerungs-Kabinett mag von den Oechsle-Graden auch eine Spätlese gewesen sein, geschmacklich handelt es sich um einen Kabinett wie er im Buche steht. Schlank, straff und leicht trotz extremer aromatischer Dichte und Konzentration, sensorisch eher feinherb als restsüß, was allerdings dem Stil des Scharzhofberger Kabinetts in vielen Jahren entspricht, tief mineralisch und sehr dezent in der Frucht. Ein Wein, den man nicht zelebrieren muss, sondern der seine Klasse in der Nebensächlichkeit zeigt, der sich alles andere als aufdrängt. An sich wäre dies ein Wein wie ein Meursault von Roulot oder ein Chablis von Raveneau, der ein Riesenvergnügen zu einem guten Essen mit netten Gesprächen bereitet und bei dem einem erst am nächsten Morgen auffällt, wie verdammt gut doch der Wein war. Angesichts des doch stolzen Preises des Versteigerungs-Kabinetts muss hierfür eventuell allerdings doch der „normale“ Scharzhofberger Kabinett dienen, der auch ca. vier Mal so viel kostet wie die besten Kabinette anderer hervorragender Weingüter, der aber den Stil des Versteigerungs-Kabinetts ebenfalls schön zeigt.

In einigen Gesprächen am Moselwochenende gingen die Meinungen über den Egon Müller Scharzhofberger Kabinett 2015 (Versteigerung und Nicht-Versteigerung) durchaus auseinander. Der Preis spielte dabei natürlich eine Rolle, vor allem aber auch der Stil. Dünn und mager waren zwei Wörter, die dabei fielen. Die Frage kam auf, wie die Kabinette reifen werden, ob sie sich mit den Jahren eher noch verschlanken oder ob sie an Volumen zunehmen werden. Und in der Tat bewegt sich der „normale“ 2015er Egon Müller Scharzhofberger Kabinett durchaus im diskussionswürdigen Bereich des Schlanken. Was für den einen schlank ist, ist für den anderen dünn. Was für den einen subtil ist, ist für den anderen unscheinbar. Diese Diskussionen zeigen jedenfalls eins: beide 2015er Scharzhofberger Kabinette von Egon Müller sind keine alltäglichen Weine, sondern sind spannend und auch durchaus kontrovers.

Ein weiterer Aspekt kommt noch hinzu: der Auktionserfolg des schlanken, eher feinherben als restsüßen und tendenziell wenig fruchtigen Scharzhofberger Alte Reben Versteigerungs-Kabinetts, nicht nur aus dem Jahrgang 2015, könnte sich durchaus als Prototyp des modernen Saar-Kabinetts festsetzen und noch stärker stilbildend wirken als in der Vergangenheit.

Die Vielfalt der Mosel Riesling Großen Gewächs
Erst kürzlich wurde in Wiesbaden, Berlin, Frankfurt und anderen Städten sowie bei vielen Weinhändlern der neue Jahrgang der deutschen Riesling Große Gewächse vorgestellt. Die Mosel kam dabei bei fast allen Verkostern mit Reichweite nahezu durch die Bank gut weg. In der Vergangenheit wurden häufig fehlende Substanz, zu hoher Restzucker und ein etwas diffuses Geschmacksbild kritisiert, im 2015er Jahrgang fielen diese Kritikpunkte deutlich seltener.

Dieses Jahr gab es zahlreiche Empfehlungen für z.B. die Großen Gewächse von Schloss Lieser, Florian Lauer oder Clemens Busch. Tatsächlich lassen sich die Großen Gewächse von der Mosel deutlich weniger einfach einordnen als die Riesling Großen Gewächse aus anderen Regionen wie der Nahe oder Rheinhessen, die stilistisch deutlich homogener sind. Eher kraftvolle Vertreter, wie sie z.B. von Clemens Busch und mit Abstrichen auch Van Volxem und Heymann-Löwenstein erzeugt werden, stehen neben Weinen wie den Großen Gewächsen von Fritz Haag oder (erstmals) Maximin-Grünhaus, die sich dezidiert von anderen Riesling Großen Gewächsen durch ihre Leichtigkeit abheben, ein bis drei Volumenprozent weniger Alkohol haben als die anderen Großen Gewächs und eher tänzerisch als druckvoll daherkommen.

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Einige Große Gewächse des Jahrgangs 2015 lohnen einen näheren Blick. Da sind zum einen die Erstlings-GGs von Maximin Grünhaus, die unglaublich leicht und aromatisch transparent daherkommen und vielleicht im Konzert mit diversen Wuchtbrummen etwas untergehen (oder aber auch besonders positiv auffallen). Es handelt sich um unglaublich typische Grünhäuser mit ihren Aromen von weißer Johannisbeere, floralen Noten (Herrenberg) und dunkelgrünen Kräutern wie Brennnessel oder Minze (Abtsberg). Die Weine wirken fast wie die Fortsetzung der legendären trockenen Auslesen und Spätlesen aus den späten 80ern und frühen 90ern auf dem Weingut – leicht, aber intensiv und vor allem sehr Grünhaus-typisch. Es ist sehr befriedigend, diese Weine zu trinken und festzustellen, dass das Weingut nicht in die Falle getappt ist, die kraftvollen Großes Gewächs Stile anderer Weingüter imitieren zu wollen, sondern sich für einen dezidiert schlanken und leichten Stil entschieden hat.

Besonders überzeugend sind auch die 2015er Großen Gewächse von Heymann-Löwenstein, einem Weingut, deren Weinen ich lange Jahre skeptisch gegenüberstand. Einige gereifte Flaschen aus dem Winninger Uhlen oder dem Winninger Röttgen boten über die Jahre definitiv wunderbare Rieslingerlebnisse. Und letztlich ließ mich nicht eine einzige der zahlreich getrunkenen Heymann-Löwenstein kalt, sondern jede – wirklich jede – Flasche regte zum Nachdenken an. Allerdings entwickelten sich die Weine nur schwer berechenbar, schmeckten manchmal lätschig süß, botrytisgeschwängert und breit. Das richtige Trinkfenster zu erwischen, war nicht immer einfach und erschien mir zum Teil vom Zufall geprägt.

Häufig war in den letzten Jahren von Stilwechseln bei Heymann-Löwenstein die Rede. Trockener sollten die Weine geworden sein, botrytisfrei, schlanker und weniger üppig. Die 2015er Kollektion von Heymann-Löwenstein zeigt: das stimmt zum größten Teil. Botrytisfrei und jedenfalls sensorisch trocken wirkten alle vorgestellten Weine. Gleichwohl bleiben sie dem Weingutsstil im Grundsatz treu. Mit den schlanken Maximin-Grünhaus GGs sind die 2015er Heymann-Löwensteins jedenfalls nicht verwechselbar. Der Winninger Röttgen aus 2015 ist ein sehr typischer Röttgen, verbindet exotische Frucht, Würze und Schiefernoten und ist zwar durchaus üppig, aber sehr fest im Kern. Die beiden Hatzenporter Rieslinge (Kirchberg und Stolzenberg) sind um einiges tighter, gradliniger und schlanker. Der Uhlen Laubach repräsentiert vielleicht am ehesten den Heymann-Löwenstein Stil von früher, nicht ganz trocken schmeckend (obwohl er im Zweifel nicht nur gesetzlich trocken ist, sondern der Restzucker deutlich darunter liegt), eher mild in der Säure, seine Struktur aus dem Extrakt ziehend.

Ein Traumwein ist der 2015er Winninger Uhlen Blaufüßer Lay. Er zeigt eine schwindelerregende Komplexität schon in seiner Jugend mit sehr deutlichen floralen Noten, etwas Aloe Vera, weißlicher Frucht, einer wunderbaren Balance im Mund, die Leichtigkeit und Substanz verbindet, er ist trotz seiner 13% Vol. Alkohol fast schon ein tänzerischer Wein. Eine tiefe Mineralität kitzelt den Gaumen im Finish. Dieser Wein gehört in jeden gut sortierten Keller.

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Zwiespältig sind dagegen die Riesling Großen Gewächse von Dr. Loosen. Das GG aus der Wehlener Sonnenuhr ist sehr schön, zeigt die in den Weinen aus dieser Lage häufig anzutreffenden weiß-floralen Noten, Frühlingskräuter und eine beschwingte Frucht. Das Ürziger Würzgarten GG wirkt dagegen jedenfalls in diesem Stadium etwas unpräzise und schwer zu greifen. Ein durchaus stilbildender, aber auch kontroverser Wein ist der Ürziger Würzgarten Riesling Großes Gewächs »Réserve« 2012, der zwei Jahre im Fass lag und danach noch ein Jahr in der Flasche reifte. 2012 war der zweite Jahrgang, in dem die »Réserve« GGs von Loosen kommerzialisiert wurden. Der Wein weiß durchaus zu beeindrucken, hat die Struktur und Cremigkeit eines weißen Burgunders aus Mitte der 00er Jahre (erinnernd z.B. an Comtes Lafon). Was ihm allerdings fehlt ist das zwingende Gefühl, einen Riesling von der Mosel im Glas zu haben. Interessant wird sein, ob der Wein mit ausreichend Flaschenreife sein dichtes und cremiges Mundgefühl mit einer gewissen Moseltypizität verbinden kann. Das kann durchaus sein, man wird allerdings Geduld haben müssen.

Zum Schluss noch ein paar besonders gelungene Weine
Neben diesen Gedanken muss natürlich auch noch über ein paar weitere Weine berichtet werden, die besonders überzeugend waren, auch wenn letztlich alles beim Alten bleibt. Bei den restsüßen 2015ern gibt es auf Kabinett, Spätlese und Auslese Level fast zu viele Weine, die man erwähnen müsste. Sofern der Keller nicht zu voll werden soll, bleibt einem nichts anderes übrig, als den eigenen stilistischen Vorlieben zu folgen.

Müsste ich mich für fünf restsüße Weine entscheiden, wären es die folgenden:

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Willi Schaefer – Graacher Domprobst Spätlese Versteigerung: von den Oechsle Graden wahrscheinlich eine veritable Auslese, geschmacklich aber eine Spätlese, wie sie im Buche steht. Glasklar, mit Apfel- und Kräuteraromen, einer völlig transparenten Aromatik im Mund, ganz viel Detail und einer nahezu perfekten Balance. Eine sehr subtile und feine Spätlese.

 

Joh. Jos. Prüm – Wehlener Sonnenuhr Kabinett: hier spielen kräutrige und ätherisch-würzige Noten ganz klar die erste Geige, die Frucht ist derzeit im Hintergrund, wird sich mit der Zeit aber ihren Weg bahnen, der Wein ist nur ganz mild süß, schwebend leicht und schon so jung sehr komplex. Der wird zum 1A Essensbegleiter heranreifen.

Maximin Grünhaus – Maximin Grünhäuser Herrenberg Auslese Nr. 31: ein sehr typischer Grünhäuser mit etwas Stachelbeere und weißer Johannisbeere, Verbena und Sauerampfer, einer sehr rassigen, pikanten und animierenden Charakteristik und einer wunderbaren Balance aus Süße und Säure, die miteinander verwoben ist und sich der Süß-Sauer-Falle elegant entzieht.

Schloss Lieser – Brauneberger Juffer Sonnenuhr Spätlese Versteigerung: sehr eigen im Stil mit deutlichen Spontangärnoten, einer silbrigen Frucht, weißen Blüten und etwas beschwingter Kräutrigkeit. Was diesen Wein (wie auch die anderen Lieser Weine) auszeichnet, ist seine Dynamik und Energie und Strahlkraft, der man sich nur schwer entziehen kann. Der Song dazu wäre Electricity von Spiritualized.

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Egon Müller – Scharzhofberger Auslese Goldkapsel Versteigerung: ein teures Vergnügen, der Steigpreis lag bei 1.000 Euro pro Flasche + Kommission und Steuern. Die Goldkapsel Versteigerungsauslese ist aber auch ein fantastischer Wein, der seinen Genießer unvernünftig werden lässt. Allein seine Aromatik ist so eigenständig, dass sie sich jedem Vergleich entzieht. Sternanis, frische Feigen, Zitronenschale, Erde, ölig-schiefrig, leicht ätherisch, dabei aber trotzdem luftig. Eine kaum zu greifende Komplexität. Im Mund ist er trotz Goldkapsel schlank, extrem fein, pikant, dicht mit Aromen von kandierter Zitrone, salzigen und tonischen Anklängen. Das ist göttlicher Stoff.

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