Ich arbeite sehr gerne abends. Wenn ich meinen Sohn ins Bett gebracht habe, nachdem wir den Nachmittag zusammen verbracht haben, setze ich mich so gegen acht wieder an den Schreibtisch. Ich kann das tun, da ich im Wesentlichen von zu Hause aus arbeite.
Nun hatte ich mir angewöhnt, des Abends dann auch eine Flasche Wein zu öffnen oder den Rest vom Vortag ins Glas zu schütten. Ich dachte, es ist gemütlicher, es arbeitet sich leichter, ja beschwingter, und wenn man eh kreativ sein soll, baut der Wein Barrieren ab.
Jetzt habe ich das nach den Sommerferien mal sein gelassen. Ich trinke nur noch an den Wochenenden und da auch nicht mehr als vorher. Ich schlafe besser und stehe erfrischter auf. Auch wenn ich abends praktisch nie mehr als zwei Gläser getrunken habe, habe ich mich an dieses Ritual schnell gewöhnt und es hat mir letztlich nicht gut getan. Nun mache ich die Flasche nur am Wochenende auf. Und die darf dann ruhig mal etwas teurer sein.
Ich habe so das Gefühl, dass ich Weine immer besser verstehe und nach 13 Jahren Weininteresse langsam dahin komme, mich ans Auserlesenere zu wagen. Ich habe mir damit Zeit gelassen, bewusst. Ich habe mir lange klare Grenzen gesetzt, was ich für Wein ausgebe und was nicht. Ich bin nun dabei, die Grenzen etwas hoch zu schrauben und zu schauen, was sich in den oberen Preisregionen so bietet, was ich unten nicht finde.
Ich mache mir keine Illusionen. Dort findet sich genauso viel überteuerter Hip-Hop-Wein wie im unteren Preissegment auch. Und es wird gleichzeitig ärgerlicher. Ich habe nur das Gefühl, dass ich es mittlerweile wirklich würdigen kann, wenn ein Wein, der wirklich gut gemacht ist und aus der Masse hervorsticht, dann auch viel kostet. Denn ich weiß, wieviel Arbeit es sein kann, solch einen Wein herzustellen, und wie viel an Zuneigung des Winzers zu seinem Wein es noch zusätzlich bedarf.
Darüber schreibt übrigens Mario Scheuermann in seinem neuen Buch sehr anschaulich. Ich habe erst wenige Kapitel gelesen und mag gerne, was er schreibt. Es ist nicht nur fundiert, sondern leicht, es ist nicht reißerisch, sondern essayistisch. Und es macht mich manchmal traurig, dass letztlich für ihn die großen Weine, also die, an denen sich alles andere orientieren muss, die sind, die ich nie trinken werde.
Aber was soll es. Es gibt auch für meinen Geldbeutel immer wieder etwas Schönes zu endecken. Wie eben kürzlich schon angedeutet, die Rieslinge von Florian Weingart. Oder die neue Generation biodynamisch ausgebauter Rieslinge von Dr. Bürklin-Wolf. Eine Begegnung mit dem ersten Wein der neuen alten Schule, genannt Ruppertsberg Riesling 2003, beschreibt auch Mario Scheuermann im oben erwähnten Buch.
Ach ja, und da war da noch gestern Abend das Gefühl, außer der Reihe doch mal wieder eine Flasche aufmachen zu wollen – mitten in der Woche. Und warum sollte ich diesem Gefühl nicht nachgeben?
Ich habe einen 2005er Allesverloren Shiraz geöffnet und dekantiert. Vorab aber mal direkt einen Schluck ins Glas geschüttet, da ich wissen wollte, wie er sich entwickelt.
Zuerst natürlich sehr verschlossen, eher ruppige Tannine und Holz. Das hatte ich nicht anders erwartet.
Relativ schnell aber öffnet sich dieser rubinrote Tropfen. Er ist weit weniger ein Ungetüm, als ich erwartet hatte. Weder sticht das Holz zu stark heraus, noch wirkt er schwer und undurchschaubar. Nicht schwarzrot wie so mancher Australier, eher ein dunkles Rubin. Auch die Frucht wird mir nicht um die Ohren geknallt und den Alkohol rieche ich kaum heraus, obwohl er 14,5% vol besitzt!
Nach einer halben Stunde Belüftung ist es ein anderer Wein. Schwarzer Pfeffer steigt mir in die Nase und ein klein wenig Johannisbeere. Der Holzton ist fast verschwunden bis auf einen letzten Hauch Vanille. Der Wein jedoch sollte auch gar kein Eichenholzmonster werden. 30 % des Weines sechs Monate in neuen Barriques haben genügt, um diese Struktur zu erreichen.
Und er hat wirklich eine schöne Struktur. Also bin ich vom Schreibtisch aufgestanden, habe mir Mario Scheuermanns Buch genommen und mich in den Sessel gesetzt.
Der Wein ist einer der wirklich schönen Shiraz. Er kommt mir viel eher französisch vor als “Neue Welt”. Die Franzosen sind allerdings meist noch ein bisschen ruppiger, würziger, und wenn es ein guter gemachter Chateauneuf ist oder ein Hermitage, dann ist das noch mal eine Welt für sich. Mir fällt dabei ein, dass ich im letzten Jahr mal einen Hermitage »La Chapelle« von Jaboulet probieren durfte. Und das ist für mich seitdem das Maß der Dinge, was den Syrah angeht.
Aber es ist nicht schlimm, dass der Allesverloren diese Tiefe und diesen Charakter nicht hat. Der Wein schmeichelt, ohne zu gefällig zu sein. Er ist gut strukturiert, vielschichtig und war einfach gut dazu geeignet, meinen Tag ausklingen zu lassen. Und für einen Preis um die 10 bis 12 Euro ist der Wein wirklich ein Schöner.