So ist das manchmal: In der FAZ empfehle ich deutsche Weine zum Fest, und zwei Stunden, nachdem ich die letzten Weine für den Artikel probiert habe haut mich die Grippe nachhaltig um. So werden meine Weinachtstage eher Teenachtstage – man möge mir dieses reichlich verquaste stilistische Mittel verzeihen. Glücklicherweise jedoch konnte ich meine persönliche Bescherung, was die Weine angeht, schon vorziehen, denn in der Nacht zum dritten Advent gab es eine Einladung zu einem denkwürdigen Weinabend.
Unser Gastgeber ist tief in seinen Keller gestiegen und hat dort Weine gefunden und zu Paaren zusammengestellt, die uns sehr beeindruckt haben. Manchmal passt es einfach von vorne bis hinten. Und so war es in diesem Fall.
Deutz Blanc de Blancs 2004
Den klassischen Auftakt bildete ein opulenter Jahrgangschampagner von Deutz, der mir direkt die Sinne geschärft hat. Ein harmonisches Zusammenspiel von Hefe- und Fruchtnoten in der Nase – feines Brioche, eine Mandelnote, dazu Orangenschale und etwas Grapefruit. Das alles trifft auf viele Champagner zu, doch hier war es ein ziemlich perfektes Zusammenspiel von Kraft und kreidig-kalkiger Klarheit einerseits – Côte de Blancs eben – und einer deutlichen, rotbeerigen Frucht andererseits – das hatte mich auf eine Cuvée mit Pinot schließen lassen -, von feiner Säure und Mineralik, von leichter Süße und reifen Noten, von aromatischer Breite und substantieller Länge. Ein wirklich ausgezeichnet gereifter Wein von einem der vielen deutschstämmigen Häuser, dass ich bisher nur wahrgenommen habe, dessen Weine ich jedoch nie probiert habe.
Cuilleron, Saint-Joseph 2003
Cuilleron, Condrieu 2003
Manchmal bin ich einfach aufgeschmissen. Ich probiere Weine, und versuche die Struktur und die Aromatik, ja das innere Wesen des Weins zu ergründen und abzugleichen. Es ist natürlich der Spaß unserer Weinrunde, solche Weine blind zu probieren, denn es schärft die Sinne. In diesem Fall jedoch kam ich bei aller Suche nicht zu einem Ergebnis. Dass es französische Weine sein würden, war wahrscheinlich. Mehr nicht. Weiße Bordeaux? Da fehlte die salzige Note. Gereiftes Burgund? Da fehlte die crémige Note. Loire? Da fehlt der immer irgendwo mitschwingende Hauch von Birne. Und auf den Norden der Rhône zu kommen – dafür fehlt mir bei Weißweinen einfach die Erfahrung mit der Region.
Zunächst der Condrieu. Reinsortiger Viognier, neun Jahre gereift, goldgelb stand er im Glas. In der Nase ein Duft von eingelegten Kräutern und Limonenschalen – so ein bisschen wie Gin. Dazu ein gereifter Muskatton, Rauch, etwas Speck habe ich mir notiert. Ein Holzton kam dazu und eine klare Säure. Ein gereifter Tropfen mit einer schönen Substanz und guten Länge und vor allem etwas, was den Horizont erweitert.
So wie der Saint-Joseph – der Wein des gleichen Winzers aus dem gleichen Jahr, ebenfalls an der Nordrhône beheimatet, besteht zu 100% aus Rousanne. Rousanne wird wirklich selten reinsortig ausgebaut, viel eher in Kombination mit Marsanne, zum Beispiel in weißem Hermitage. Hier ist das goldene Gelb schon tiefdunkel. Der Duft ist erfüllt von Buttercrème und Karamell, so wie in England frisches Butterfudge duftet. Dazu Mandeln, leicht geröstet, hinten raus eine leicht bittere Note. Insgesamt breit mit relativ wenig Säure. Ein Wein, der zum richtigen Zeitpunkt getrunken wurde – und zwar mit viel Vergnügen.
Georg Breuer, Berg Schlossberg 2002
Keller, Hubacker Max 2000
Im Allgemeinen bin ich kein großer Fan Breuerscher Weine. Im Besonderen aber war das ein genialer Wein: Crémig, mit leichter, sehr dezenter Süße, in der Nase ein Hauch von Gummi, leicht salzig, dazu Aprikose, Kräuter, Feuerstein und etwas Firniss. Am Gaumen straight, fokussiert, klar, keine Schwere oder Breite, dafür jedoch lang und komplex mit einer wunderbaren Note von trockenen Kräutern und Süßholz. Das war ein kleines Gesamtkunstwerk, das für sich genommen wohl noch heller gestrahlt hätte, wenn ihm der Hubacker Max nicht ein wenig die Schau gestohlen hätte. Der ist rheinhessisch dichter und opulenter, hat von allem mehr. Das macht ihn sehr verführerisch. Da sticht die Rampensau den Pantominen aus, doch beide brillieren in ihrem Fach. Der Hubacker: ungemein frisch, mit Grapefruit und Limetten, dazu Mango, Maracuja und Steinobst. Das alles zusammengeworfen und mit Kräutern und Würze vom Stein abgeschmeckt. Alles fügt sich hier ineinander. Es ist von allem viel, ich sagte es schon, doch nie zu viel. Der Max ist rund und harmonisch, dicht und lang, fein in seiner Exaltiertheit – und hat noch viele gute Jahre vor sich.
Domaine de Chevalier, Grand Cru Classé de Graves 2000
Château Laville Haut-Brion Cru Classé de Graves 1979
Und dann kam Bordeaux. Und das Erste, was mir beim Schnuppern des Chevalier in den Sinn kam war: Leider geil! Ein ganz selten genossener Duft, der mich an Reisgrütze erinnert hat, verbunden mit einer leichten Süße. Dazu ein Hauch von nassem Holz und Mandeln. Dann Pilze und Kalk. Mir kam in den Sinn: Ein calvinistisch strenger Wein von seltener Schönheit – sehr tief, sehr klar, kein bisschen verspielt. Neben all der Pilzrisotto-Aromatik gab es dann doch noch einen Hauch von Frucht: eine oxydierte Birne schaute vorbei und bei zunehmender Zeit im Glas zeigte sich immer mehr Mineralik.
Der 1979er Haut-Brion hatte leider etwas Kork. Das war nicht sehr störend, veränderte jedoch den Wein. Ich verweise mal auf diesen Artikel, wo ich den Wein schon mal besprochen habe, denn es gab ihn schon mal in vertrauter Runde.
Cantina del Glicine, 1998 Curà Barbaresco
Gaja, 1982 Sori’ Tildin Barbareso
Beim ersten Rotwein-Paar war es wieder die Annäherung an etwas Unbekanntes. Ich habe noch wenig Erfahrung mit gereiftem Piemont. Ausserdem nähern sich die Weine an, je älter sie werden. Wenn die Primärfrucht schwindet, verliert der Wein damit auch einige typische Identifikationsmerkmale. Es wird schwieriger. Im ersten Moment war ich bei den beiden Weinen im Bordeaux, dann hatte ich tatsächlich eine Idee von Piemont, um dann im Burgund zu landen – was die Mehrheitsmeinung am Tisch war und ich konnte meine Piemont-Ahnung nicht wirklich begründen. Der Wein der Curà ist mir nicht wirklich in Erinnerung geblieben. Er wirkte ein wenig müde. Leicht röstige, warme Frucht, hier fehlte das Säurekorsett.
Der Sori’ Tildin dagegen ist in Würde gealtert. Beeindruckend. Punkt. Wenn ich nicht irre, ist es das Flaggschiff aus dem Hause Gaja – was den Barbaresco angeht – und aktuelle Weine gehen Richtung 300 Euro die Flasche. Der 1982er ist gar nicht mehr zu finden. 1982 war ein Spitzenjahr im Piemont und das merkte man dem Wein an. Viel Stoff und Substanz war hier noch vorhanden: In der Nase Paprika und Pfeffer, eine leichte Parfum-Note, die ich nicht genauer identifizieren konnte. Dazu etwas Kräutrig-Medizinisches, als hätte Magenbitter in alten Fässern gelegen. Ausgesprochen weiches Tannin und eine feine Säure rundete den Wein ab – eine echte Freude.
Fritz Waßmer Pinot Noir 2003
Domaine Doudet-Naudin, Musigny 1967
Beim Fritz Waßmer habe ich nicht lange gezögert, den Wein als deutschen Pinot einzustufen. Zu klar die deutsche Spätburgunder-Aromatik, dazu etwas viel Würze, wie ich sie auch sonst schon bei Fritz Waßmers Weinen bemängelt habe. Ein Würze wie Würzkonzentrat. Also in der Nase Erdbeere, Himbeere, Vanillequark, dazu Mokka. Am Gaumen etwas schlicht mit Erdbeer-Vanille-Marmelade als Aromabombe. Das ist dann einfach zu simpel, wenn man einen solch erstaunlichen Sidekick hat.
Ich dachte ja, der Kollege wäre vielleicht 5, 6 Jahre älter als der Waßmer. Und ich konnte mich nicht recht entscheiden, ob das jetzt Burgund war oder vielleicht Oregon. Der Wein erschien mir für Burgund einen Ticken zu süß und zu konzentriert, allerdings war der Alkohol zurückhaltend. Auf jeden Fall wurde dieser Wein ganz klar von einer französischen Pinot-Frucht beherrscht, unterlegt mit Holz und etwas Tabak. Dass er aus dem Jahr 1967 stammt ist eigentlich sensationell und ich frage mich bis jetzt, in welchem Paralleluniversum diese Flasche Jahrzehnte lang gesteckt haben mag. Der Jahrgang war jetzt nicht so besonders uns da stand ein Wein vor uns, der zwar gereift war, aber eben eher so, als käme er aus den Neunzigern.
Château Pichon Longueville Baron, 2ème Cru Classé Pauillac, 1961
Château Cheval Blanc, 1er Grand Cru Classé de St. Emilion, 1971
Das Paar war sicher das Highlight des Abends. Es war klar, wir hatten zwei gereifte Bordeaux im Glas. Aber älter, als Mitte der achtziger hätte ich die beiden Weine nicht eingeschätzt. Der Pichon beeindruckte durch eine noch deutlich wahrnehmbare Note von Cassis, unterlegt mit Salz, mit Paprika und Tomatenessenz. Ein typischer gereifter Cabernet, dessen medizinale Noten durch etwas Metallisches ergänzt wurden. Ein feiner Geschmack im Mund, harmonisch, leichtfüssig, auch hier das Medizinische, Jod, leichtes Süße…
Der Cheval Blanc?. Ich hätte ihn gar nicht trinken müssen. Schnuppern hätte gereicht. Der Duft schon war so komplex, gar nicht zu beschreiben. Ein Wein wie eine Meditationsgrundlage. Kraft und Finesse in der Nase, Finesse und ein schlanker Körper am Gaumen. Alles passt: der Pfeffer, die Tomatenessenz, die Frucht, das Tannin. Wenn ich hin und wieder einen solchen Wein trinken darf, möchte ich auf fast alles andere an Weinen verzichten.
Markus Molitor, Zeltinger Sonnenuhr Auslese** 1993
Fritz Haag, Brauneberger Juffer Sonnenuhr Auslese 1993
Natürlich gab es noch süßen Wein, schon um die Geschmacksnerven zu beruhigen. Zwei brillante, klare, mit jugendlicher Frische beeindruckende Rieslinge, die die nächtliche Runde irgendwann beendeten. Ich muss gestehen, meine Zunge war etwas müde und sie ist auch irgendwie beim Cheval Blanc zurück geblieben. Und doch, der Haag: Rieslingfrucht und Gummi in der Nase, dazu eine leichte, spürbare Süße, deutliche Orangenzesten. Am Gaumen leicht, frisch, klar, strukturiert mit feiner Schieferwürze. Der Molitor dagegen war etwas crémiger, buttriger, etwas süffiger mit einem schönen Spiel von Orangenfrucht, frisch und kandiert.
Jetzt, jetzt würde ich diese beiden Weine noch lieber trinken. An so einem Sonntag, wo der Schnee vom Regen in den Matsch gedrückt wird und Der kleine Lord im Fernsehen läuft. Da würde ich solche Auslesen gerne noch mal verkosten – wenn ich denn was schmecken würde. So bleibt mir nur die lebhafte Erinnerung.
Und es bleibt mir, Euch schöne Weihnachten zu wünschen, hoffentlich mit einem guten Wein zum Festtagsbraten!
Eine Erkältung gerade zur Festzeit ist schon bitter. Dann gute Besserung und vielen Dank für die stimmungsvollen Weihnachts-Beiträge.