Branko Mucina stößt zum Team dazu und wird in lockerer Abfolge über einige seiner Lieblingsthemen schreiben. Der gebürtige Slowake lebt schon lange in Österreich, dürfte wohl bald das WSET-Diploma abschließen und teilt in Zukunft mit uns seine Weinbegeisterung. Er startet mit einem ersten Bericht über kühle Weingegenden in Südafrika:
Über südafrikanischen Wein hört man seit Jahren viel Gutes – und das von vielen. Es ist ja auch ein Land, das von vielen bereist wird. Der Tourismus ist zweifellos ein enorm wichtiger Wirtschaftszweig und er ist einer der wenigen, die in Südafrika noch immer jährlich wachsen und gedeihen. Tourismus und Wein gehen in diesem so schönen Teil der Erde eine fruchtbare Symbiose ein und wenn man sich als Weinreisender die zahlreichen cellar doors und die dazugehörigen Restaurants auf den Weingütern ansieht, bekommt man rasch ein Gefühl dafür, wie erfolgreicher wine tourism funktionieren kann. Ich hatte das Glück, nicht nur Weinreisender in Südafrika sein zu dürfen, sondern „dort unten“ auch auf ansässige Familienmitglieder zählen zu können, die ebenso weinbesessen sind wie ich. So konnte ich im Februar dieses Jahres eine ganze Reihe von Weingütern in mehreren Regionen besuchen, eine Handvoll geradezu üppiger Vergleichsproben genießen und dabei meine südafrikanischen Weinkenntnisse auffrischen.
Eine Handvoll hard facts
Südafrika produziert und exportiert bekanntermaßen eine gehörige Menge Wein: von rund 100.000 ha werden ca. 9,5 Mio hl gekeltert, davon allerdings nur 5 Mio als Qualitätswein. Exportiert wird etwa die Hälfte der Produktion und ein nicht unproblematischer Exportanteil geht dabei zu Lasten von bulk wine (ca. 2,5 Mio hl sind bulk, also Tankware). Die größten Abnehmer sind zu gleichen Teilen Großbritannien und Deutschland. Wie weltweit üblich teilen sich diesen „Weinkuchen“ eine Handvoll Big Player. Eben deshalb kommt man nicht umhin, den kleineren, auf Topweine fokussierten Winzern zu ihrem Mut zu gratulieren, immer mehr eigenständige und ihrem Ursprung verpflichtete Weine zu keltern.
Die Weine entstehen aus Cabernet, Merlot und Syrah, natürlich aus dem omnipräsenten Chenin blanc (a.k.a Steen) und auch Chardonnay und Sauvignon blanc fühlt man sich verbunden. Auch wenn dies Sorten sein mögen, die man überall auf der Welt findet, schmecken diese typischerweise rebsortenreinen Exemplare bei den richtig guten Winzern trotzdem keineswegs beliebig. Im Gegenteil, der Trend zu eleganten, behutsamer vinifizierten und individuellen Weinen ist hier längst angekommen, selbst beim früher oft weinbau- und kellertechnisch „misshandeltem“ Pinotage, der auf ca. 7% der Rebfläche steht. Alte Rebflächen, deren Schicksal früher oft die Brandy-Destillation war und die paradoxerweise auch deshalb – weil gleichsam in der Ecke vergessen – von Newcomern oder Überzeugungstätern erworben und gerettet werden konnten, liefern heute faszinierende Old Vines. Für Südafrika gilt: Der Wein war noch nie besser.
Der Kühle auf der Spur
Gewiss verkostet und besucht man als Weinfreak sehr selektiv. So haben wir außer Weingütern in unserer „home base“ Stellenbosch vor allem Winzer in Elgin und Hemel-en-Aarde heimgesucht. Die beiden letztgenannten Gebiete sind eher klein, eher jung und eher kühl. Kühl finde ich gut, kühl macht Pinots, kühl macht (spannende) Chardonnays und nicht zu fette Rote. Doch wie cool kann kühl in Südafrika überhaupt sein? Um das herauszufinden, habe ich zunächst mal gelesen. Theorie ist zwar trocken, aber sie hilft und zur Bestätigung trinken, das kann man hinterher immer noch.
Das wunderbare und mittlerweile nur noch in digitaler Form erhältliche Periodikum TONG behandelt in jeder Ausgabe nur ein Thema, ohne Werbung, ohne Bilder, ohne Schnickschnack – dies ist vielleicht einer der Gründe, warum das teure Printprodukt wohl nicht mehr profitabel war… Jedenfalls liefern hier ausgewiesene Experten (MWs, Winzer, u.a.) profunde Einblicke und wertvolle Informationen. In der 14ten Ausgabe war Südafrika dran und Richard Kershaw, Master of Wine und in Elgin eingewanderter Winzer in Personalunion, vergleicht hier anhand von Klimafaktoren kühle Sauvignon blancs und Chardonnays. Kühl ist natürlich nicht gleich kühl und schon gar nicht im weltweiten Vergleich. Zudem spielt – kaum überraschend – ein ganzes Pfauenrad an Faktoren mehr oder minder entscheidende Rollen: Temperatur, Sonnenscheindauer, Exposition der Rebflächen, Meereshöhe, der Breiten- und Längengrad, Wind, Einfluss von Gewässern, usw. Von den Bewirtschaftungsformen und Rebsorten ganz zu schweigen.
Sieht man sich zum Beispiel den Faktor Temperatur und die von Kershaw zitierte heat summation Skala von der UC Davis-Uni an (vereinfacht gesagt definiert diese anhand von addierten Temperaturen über 10°C fünf Regionen von I bis V, also kühl bis heiß), so zeigen Elgin und Hemel-en-Aarde mit 1502 und 1660 Celsius degree days die niedrigsten, also kühlsten Werte des Landes und gehören somit im weltweiten Maßstab zur Region II (cool-warm), wie etwa auch Bordeaux oder das Elsass. Pinot Noir wäre ja eigentlich eher ein Fall für die Region I (Burgund u.a.), doch sind die südafrikanischen II-er Regionen kühler als so manche Einser-Regionen, eben aufgrund der Nähe zum südlichen Ozean mit seinem klirrend kalten Benguela-Strom – verkehrte Welt sozusagen, in vielerlei Hinsicht.
Im Land der Äpfel
Elgin ist ein district und dieser gehört zu einer region (in diesem Fall Cape South Coast). Elgin ist mit ca. 850 ha ein relativ kleines, junges Gebiet, in dem vor allem herrliche Äpfel gedeihen – die nicht selten in unseren Supermärkten landen. die ersten Reben wurden dort 1986 gepflanzt. Etwa 70 km südöstlich von Kapstadt befindet sich dieses hügelige Tal, das mit bis zu 400 m nicht nur über, sondern mit 8 km Entfernung auch ziemlich nahe am Meer liegt. Die Böden sind karg und neben den bereits erwähnten Faktoren Temperatur und Ozean spielen Südwinde und Morgennebel weitere kühlende Rollen. Ideale Bedingungen also für eine längere Vegetationsphase, spätere Erntezeitpunkte und somit für die üblichen cool climate Verdächtigen: Chardonnay, Pinot Noir, etwas Sauvignon, etwas Riesling gar, etwas von fast allem. Wie in der „Neuen“ Welt üblich, darf man auch in Südafrika jede Sorte auspflanzen, ohne Einschränkung. Genug der Theorie, wo bleibt der Wein!?
Eine Reihe von bemerkenswerten Winzern arbeitet fleißig daran, den guten Ruf der Weine zu festigen. Wie in jungen Regionen nicht unüblich, finden sich darunter auch einige qualitätsbesessene Quereinsteiger. Der Platzhirsch ist jedoch sicherlich die einheimische Familie Paul Cluver, die neben ausdrucksstarken Pinot Noirs den wohl besten restsüßen Riesling Afrikas macht, eine nervige Spätlese mit 10g Säure, die am Gaumen nur so dahinzischt. Ihr Seven Flags Pinot Noir ist indes exemplarisch für Elgin: eine Selektion der besten Lagen und Fässer, super-charmante rotbeerige Frucht, feines Tannin, tolle Säure und nur 20% neues Holz. Ein weiterer Pionier – wenn auch viel kleiner – etwas weiter im Hinterland ist Iona in der Kogelberg Nature Reserve. Übersteht man die 20 km auf der holprigen Schotterstraße, eröffnet sich einem ein Kleinod von berückender Schönheit. Die Weine kommen so langsam in die Gänge, sagt man mir vor Ort. Der Sauvignon blanc und der Chardonnay sind jedenfalls bestens balanciert, alles andere als fett und mit umgerechnet ca. 6 € für den Sauvignon und ca. € 12 für den Chardonnay zum Kopfschütteln günstig. Mein Liebling auch
hier: der Pinot. Saftig, aromatisch, elegant! Zu beachten ist nicht zuletzt auch Spioenkop, ein Start-Up des belgischen Paares Koen und Lore Roose, die weitgehend biologisch arbeiten sowie auf technische Spielereien verzichten und überhaupt etwas wilder unterwegs sind. Tipps: Riesling, Sauvignon blanc und eine ganz eigene, ungewöhnlich elegante Pinotage-Interpretation. Der Name Spioenkop hat übrigens mit einer der in der südafrikanischen Geschichte so häufigen Schlachten zu tun, in diesem Fall zwischen Buren und Engländern. Was das mit Fußball und Liverpool zu tun hat, ist durchaus lesenswert: www.spioenkopwines.co.za/history.
Ein Himmelreich für…
Hemel-en-Aarde Valley hat auf jeden Fall den beneidenswert schönsten Namen, denn wo sonst können die Winzer „Himmel auf Erden“ als Herkunft auf ihr Etikett schreiben? Das 350 Hektar umfassende Gebiet ist ein ward, also die kleinste wein-geografische Einheit, jene darüber wäre der district Walker Bay. Die Parameter dieses engen Tals sind kühl-klimatisch gesehen ähnlich wie in Elgin. Nähe zum Meer (der Küstenort Hermanus, eines der beliebtesten Urlaubsziele der Südafrikaner, liegt an der Pforte zum Tal), Böden aus verwittertem Granit und mit hohem Kalkanteil sowie genügend Niederschlag schreien geradezu nach Pinot und Chardonnay. Und tatsächlich wird im Hemel-en-Aaarde-Tal der Burgunderrebe ein besonderes Augenmerk geschenkt, wodurch meiner Meinung nach letztlich die schönsten Pinots des Landes entstehen. Newton Johnson, Bouchard Finlayson, Ataraxia, Creation Wines oder der weithin bekannte Spitzenbetrieb Hamilton Russell: Die Pinots geraten hier besonders sinnlich, besonders elegant und fein.
Sehen wir uns exemplarisch meinen Lieblings-Himmel-auf-Erden-Pinot an, den 2015er von Hamilton Russell: 19 hl Ertrag (das Jahr war nicht eben üppig…), 10 Monate in Barriques (42% neu, 43% 2. Befüllung), medium bis light getoastet, 14% Alk., 6 g Säure. Wir haben den Wein keine zwei Wochen nach Füllung getrunken und er ist trotz oder dank seiner Jugend, und vielleicht trotz oder dank seines kurzen Ausbaus eigentlich unwiderstehlich. Dennoch bin ich sicher, dass er bestens reifen wird. Und Chardonnay? Alle oben genannten produzieren tolle Exempel: reif, eher Zitrus denn Ananas, immer mit einer frischen Säureader und bestens integriertem Holz – mineralisch für die Fans dieses Begriffs, anregend, spannend, anders. Mein Favorit war jener von Samantha O’Keefe von Lismore. Das Gut liegt in Greyton, das streng genommen zum district Overberg gehört. Aber es liegt alles nur ein paar Steinwürfe von Elgin entfernt und so streng wollen wir dann doch nicht sein. Winemaking: Ganztraubenpressung, vergoren und 11 Monate ausgebaut in gebrauchten Barriques, 60% BSA, Bâtonnage, 13,5% – 14% Alk, fast 7 g Säure.
War es das? Mitnichten. Südafrika bietet einige weitere kühlere Gebiete – oder zumindest kleinere cool climate Flecken in Regionen, die sonst als warm gelten. Je nachdem, wie sich die Puzzleteilchen zu einem speziellem Mikroklima zusammenfügen. Zu erwähnen wäre etwa Constantia, das mehr oder weniger direkt bei Kapstadt liegt und einige der schönsten Sauvignon blancs produziert. Doch davon vielleicht ein anderes Mal mehr…