Am Morgen des zweiten Tages auf dem GR10 kündigt sich gutes Wetter an, hinter dem 900 m hohen La Rhune geht die Sonne auf und Wolken sind keine zu sehen. Die zweite Etappe führt von Olhette über Sare bis Ainhoa. Ca. 20 km Wanderung mit Besuchen in zwei der “Plus Beaux Villages de France“, den schönsten Dörfern Frankreichs. Auch wenn “Les Plus Beaux Villages de France” kein offizielles Gütesiegel ist, so sind beide Dörfer doch tatsächlich zum einen sehr schön und zum anderen sehr typisch für das baskische Hinterland, das Labourd.
Doch zunächst geht es – wie auf allen ersten Etappen des GR10 – bergauf. Knapp mehr als 550 m bis zum Col des Trois Fontaines am Fuße des La Rhune. Während auf dem GR10 überwiegend nichts bis gar nichts los ist, tummeln sich auf dem Col des Trois Fontaines tatsächlich einige Touristen, da hier eine Aufstiegsmöglichkeit zum Gipfel des La Rhune beginnt. Auf den Gipfel kann man von Sare aus mit einer Zahnradbahn fahren. Auch dank des nunmehr weitgehend wolkenfreien Wetters werden die Ausblicke immer besser, die Landschaft ist vor allem grün – grün in allen seinen Schattierungen: grüne Wiesen, grüner Farn, grüne Bäume, grün bewachsene Hügel, man erkennt den Einfluss des atlantischen Klimas mit seinen regelmäßigen Regenfällen.
Nach einem relativ sanften Abstieg bietet sich das Dorf Sare als Lunchstop an. Wie in so gut wie jedem baskischen Dorf ist das Dorfzentrum nicht etwa der Marktplatz oder der Kirchenvorplatz, sondern der Place du Frontón, der Platz auf dem die wichtigen Dinge passieren: baskische Tänze getanzt werden, Tauziehwettbewerbe stattfinden und vor allem Pelote Basque gespielt wird, ein Squashähnlicher Sport. Die drei wohl populärsten Spielarten sind diejenigen, bei denen der Ball mit der Hand geschlagen wird, mit einem Schläger und vor allem Jai Alai, die Variante, bei der die Spieler einen Handschuh mit gebogenem Korb tragen, den Ball auffangen und in der gleichen Bewegung wieder an die Wand werfen. Der Frontón von Sare ist für ein 2.500 Einwohner Dorf stattlich, leider findet zur Mittagszeit gerade kein Spiel statt.
Aus Hendaye ist noch Proviant übrig, dabei könnte man in Sare gut einkaufen und essen. Für einen zukünftigen Besuch muss Zeit sein für ein Mittagessen im Restaurant Arraya, das auch eine tolle Weinkarte mit vielen Irouléguys und gereiften Bordeaux zu bieten hat. Auch ein Museum für den Gateau Basque gibt es in Sare. Und nur ein paar Kilometer nördlich in St. Pée sur Nivelle befindet sich die Auberge Basque, ein bekanntes frisch renoviertes Hotel mit Michelin-Stern-Restaurant. All das muss ausfallen, denn ein paar Kilometer sind es noch bis Ainhoa, dem Endpunkt der zweiten Etappe.
Der zweite Teil der Etappe ist überwiegend flach und extrem entspannend, die Höhenmeter halten sich in Grenzen, es geht immer wieder an der Nivelle entlang oder über diese drüber. Man hört das Wasser mal stärker, mal weniger stark plätschern, die Vögel zwitschern, das Laub raschelt im Wind. Am Nachmittag ist Ainhoa erreicht, das zweite “Plus Beau Village de France” nach Sare. Und auch hier stimmt die Beschreibung, eine erstaunlich große Anzahl an Touristen zeugt davon, dass es hier schön ist. In Ainhoa verbinden sich Landschaft und Architektur zur Ikurrina, der Flagge des Baskenlandes. Die Fachwerkhäuser sind weiß und rot oder weiß und grün und liegen in der wunderbar grünen Landschaft. Warum die Basken weiß, grün und rot als Farben für ihre Flagge gewählt haben, ist gut verständlich.
Auch in Ainhoa gibt es einen relativ großen Frontón im Zentrum des Dorfes, auf dem am Abend mehrere Jungs eine Partie Pelota mit Holzschlägern spielen. Am Place du Frontón befindet sich auch das Restaurant Ithurria, eines von zwei der besseren Restaurants in Ainhoa und seit vielen Jahren mit einem Michelin-Stern ausgezeichnet. Das Gebäude des Restaurants ist ein Bauernhof aus dem 17. Jahrhundert, der in den 1960er Jahren von den Eltern der heutigen Betreiber Xavier und Stéphane Ithurria übernommen wurde. Xavier steht heute in der Küche und sein Bruder macht den Service.
Innen erkennt man gleich, dass man sich an der Grenze zwischen dem Labourde (westliches Baskenland) und dem Basse Navarre (flaches Navarra) befindet. ein geschnitzter Tresen und offene Türen aus dunklem Holz schlagen die Brücke nach Spanien. Der Speisesaal strahlt eine angenehme Mischung aus moderner Eleganz und bäuerlicher Tradition aus. Eingemachte Paprika steht in Gläsern überall im Raum herum, der Kachelboden, all dies wirkt nicht durchgestylt, aber auch nicht wirklich rustikal.
Die Weinkarte im Ithurria ist gut, hat allerdings dasselbe Problem wie sehr viele Weinkarten in der Gegend: von den lokalen Weinen (Irouléguy, Jurançon, Madiran) gibt es fast nur sehr junge Jahrgänge. 2014, 2013, hier und da mal 2012. Wie schon im Maison Eguiazabal in Hendaye hat aber auch das Ithurria eine großartige Auswahl an gereiften Bordeaux zu vernünftigen Preisen. Die Wahl fällt dieses Mal auf einen 1985er Château Mouton Baronne Philippe (heute Château d’Armailhac) aus Pauillac. D’Armailhac, das zu Mouton Rothschild gehört, hat einen etwas angestaubten Ruf, erzeugt aber mit schöner Regelmäßigkeit ganz klassische Pauillacs zu bezahlbaren Preisen. Die Ambition im Hause Rothschild gilt eher dem Mouton, dem Opus One und dem Clerc Milon, dem d’Armailhac weniger, was seinem Stil gut tut. Auch im Ithurria kennt der Sommelier den Wein und rät zum Dekantieren. Das ist in diesem Fall ein sehr guter Tipp, da der Wein noch so jugendlich ist, dass ihm Luft mehr gut tut als schadet. Der 1985er ist ein klassischer Pauillac, der auch die Charakteristik des Jahrgangs hat – klassisch, ausgewogen, harmonisch, moderat in Tannin und Säure, nichts für Freunde von Weinen mit viel Ecken und Kanten. Zum Essen ist das aber genau das Richtige.
Im Restaurant hat man zwei Möglichkeiten – entweder sucht man das Essen aus und einen passenden Wein dazu. Oder man sucht den Wein aus und das passende Essen dazu. Letzteres funktioniert nur mit einer à la carte Bestellung, ist aber als Weinfan ein Muss. Zunächst werden ein paar eher unspektakuläre Snacks gereicht – ein Ossau Iraty Gougère, eine Tomate mit Bayonne-Schinken und etwas von der Forelle. Als Vorspeise kommt eine Piperade, eines der Gerichte des Baskenlandes, das stets die gleichen Zutaten hat, aber in hunderten verschiedenen Variationen zubereitet wird. Zusammengefasst ist Ei drin, Paprika, Zwiebel, Piment d’Espelette und Schinken. Die Piperade im Ithurria ist wirklich herausragend. Das Ei ist schlotzig, allenfalls angewärmt, wie man das entsprechend heiß (wichtig) und trotzdem so schlotzig hinbekommt, bleibt das Geheimnis des Chefs. Dazu gibt es mild scharfe dunkelgrüne Paprika, ziemlich scharfe hellgrüne eingelegte Paprika und 18 Monate gereiften Bayonne-Schinken. Das ist einfach nur großartig, harmoniert allerdings weniger mit dem Bordeaux. Das klappt umso besser bei einem Milchlamm mit Karotten. Auch der Käsewagen ist hier hervorragend, es gibt ausschließlich lokale Käse, nicht viel Auswahl, dafür umso bessere Qualität: Ossau Iraty in zwei verschiedenen Reifegraden, Bleu des Basques, ein Kuh- und ein Ziegenkäse aus dem Baskenland. Das reicht.
Die nächste Etappe beginnt mit einem hervorragenden Frühstück mit den unvergleichlich guten, fetten Kirschen aus der Region, prallem Sonnenschein und sofort einem steilen Aufstieg auf den Col des Trois Croix. Schon um 10 Uhr brennt die Sonne und Schatten ist nach dem Aufstieg absolute Mangelware. Dafür sind die Ausblicke umso schöner und der Weg nach dem Aufstieg leicht zu gehen. Gegen späten Mittag taucht endlich ein schattenspendender Baum auf, bleibt aber für den Rest des Tages mehr oder weniger die einzige kühle Stelle. Nach herrlich entspannenden ca. zwei Stunden auf der Hochebene beginnt der Abstieg und ist durchaus anstrengend mit vielen kleinen Kletterpartien und immer wieder nassen glitschigen Steinen. So steil, wie es bergab geht, kann man sich keinen Ausrutscher erlauben. Am Ende des Abstiegs ist die Etappe leider noch nicht geschafft, der Weg bis Bidarray ist noch lang, aber auch irgendwann bewältigt.
Bidarray ist ein etwas unübersichtlicher Ort, selbst von weiter weg ist der Ortskern nicht zu sehen. Eigentlich ist eine Taxifahrt in das ca. 6 km vom Ort entfernte Hotel geplant, mangels eines geeigneten Abholpunkts muss aber umdisponiert werden. Zum Glück klappt beim dritten Versuch der ausgestreckte Daumen, jedenfalls bis zum Eingangstor des Hotels. Von dort ist es zwar nochmal ein Kilometer bergauf bis zur Hotelrezeption, aber der eine Kilometer ist immerhin besser als sechs Kilometer. Trotzdem nagen Sonnenbrand, Muskelkater und gute 30 km in den Knochen etwas an der Kondition. Das Hotel, die Auberge Ostapé, entschädigt für die Mühen. In den Hügeln oberhalb von Bidarray steht eine renovierte Farm aus dem 17. Jahrhundert, die von mehreren kleinen Häusern (teilweise neu gebaut) umgeben ist. Es herrscht absolute Ruhe, das Gelände ist so weitläufig (45 ha!), dass man sich mit Golfkarts fortbewegt. Dieses kleine Paradies ist das Werk von Cathérine Peré-Vergé, der Eigentümerin von Cristal d’Arques, einer Glasmarke.
Die Auberge startete allerdings erst einmal mit großen Schwierigkeiten. Zunächst verpachtete Cathérine Peré-Vergé das Gelände und die Gebäude an Alain Ducasse, einen der meistbesternten Köche der Welt. Bereits vor der Eröffnung im Jahre 2004 gab es aber Widerstand aus dem Baskenland und die Explosion einer Gasflasche auf dem Gelände im November 2003. Im April 2004 konnte ein weiteres Attentat verhindert werden. Dann blieb es nach der Eröffnung längere Zeit ruhig. Im Juni 2006 gab es aber erneute Explosionen auf dem Hotelgelände und die Festnahme eines Mitarbeiters des Hotels. Hinter den Anschlägen vermutet wurden baskische Aktivisten, die schon vor dem Umbau gegen die Ducasse-Pläne demonstiert hatten. Im Februar 2007 hatte Alain Ducasse dann genug und gab die Pacht unter Beifall der Batsuna, einer baskischen Aktivitstengruppe, auf. Mme Peré-Vergé ließ sich allerdings nicht kleinkriegen und führte das Hotel und Restaurant auf eigene Faust weiter.
Neben dem Baskenland investierte Mme Peré-Vergé auch im Bordelais, zunächst in das Château Montviel in Pomerol, dann in das bekannte Château Le Gay in Pomerol. Später kam noch Château La Violette, ein teurer Garagenwein in Pomerol dazu, Château Tristan in Pomerol und Château La Gravière in Lalande-de-Pomerol und schließlich zusammen mit Michel Rolland das Projekt Clos de los Siete in Argentinien. Mme Peré-Vergé starb 2013, ihr Sohn Michel Parent führt aber die Weingüter und die Auberge Ostapé weiter. Alle Weine der Vignobles Peré-Vergé stehen im Restaurant der Auberge auf der Karte, und zwar zu mehr als fairen Preisen.
Der Sonnenuntergang auf der Restaurant-Terrasse ist ein Traum, nahezu minütlich wechselt das Licht und damit die weitläufige Landschaft ihren Charakter.
Auch das Essen in der Auberge Ostapé ist hervorragend. Hier kocht Cédric Roubin, der unter Alain Ducasse in Monaco und im Plaza Athénée in Paris lernte und zunächst Sous-Chef unter Ducasse in der Auberge Ostapé war. Roubin übernahm die Küche nach dem Abgang von Alain Ducasse, vereinfachte und regionalisierte sie. Heute gibt es so köstliche Gerichte wie Spargel aus den Landes mit Erbsen, Schafsfrischkäse und Sot-y-Laisse, dünn aufgeschnittene Schweinebacke mit Senfeis, Kapernäpfeln und Sauce Gribiche oder Lamm mit Paprikasauce und mariniertem rohem Gemüse. Das Essen ist genau in der richtigen Mitte zwischen rustikal und fein.
Auch die Weinauswahl lässt sich sehen. Neben vielen Bordeaux gibt es eine schöne Auswahl an Irouléguys, liegt Bidarray doch schon im Gebiet dieser baskischen AOC. Ausnahmsweise gibt es auch diverse gute Weine glasweise. An dem Abend fällt die Wahl zunächst auf ein Glas des nach Lindenblüten duftenden und sehr festen 2014er Irouléguy Blanc Domaine Brana, dann auf ein Glas des 2014er Jurançon Sec Domaine Castera, der noch ätherischer und säurebetonter als der Brana ist, und schließlich auf den 2005er Château Montviel Pomerol aus einer frisch geöffneten halben Flasche. Der Wein ist weniger kräftig im Tannin als der Jahrgang erwarten lässt, bleibt dennoch eher auf der strengen Seite. Ein eher ernsthafter Pomerol, der sich aber hervorragend zum Lamm trinkt. Schöner essen als auf der Terrasse der Auberge Ostapé lässt sich vermutlich im ganzen Baskenland nicht. Auch wenn das Hotel seinen durchaus stolzen Preis hat, lohnt sich hier unbedingt eine Übernachtung. Der nächste Tag verspricht heiß zu werden, aber immerhin kühlt es am Ende des Abends angenehm ab. Auch die Muskeln entspannen sich und der nächste Tag kann kommen. In Teil 3 geht es dann mitten in das Weinbaugebiet Irouléguy.
Zum Teil 1 geht es hier entlang.