Wir Österreicher sind auf recht wenigen Gebieten Europa- oder Weltmeister. Fußball gehört irgendwie nicht dazu, schon eher Skifahren, Skispringen und vielleicht noch Wiederholungen von Wahlen. Beim Wein haben wir zwar mengenmäßig auch keine Chance, doch mit der Qualität kommen wir weit über die Gruppenphase hinaus, das ist unbestritten. Warum der Weltmeistervergleich? Weil es hier um eines meiner Lieblingsthemen gehen soll. Um Sprudel. Champion und Anwärter auf den ersten Platz in dieser Disziplin ist sicher Frankreich und obwohl ich Champagner sehr liebe, überlasse ich dieses Gebiet lieber Christoph. Ich mag auch die guten Winzersekte des anderen Weltmeisters Deutschland, der im Schaumweinkonsum ungeschlagen ist. Doch die Auswahl und Verfügbarkeit seiner guten Sekte sind in Wien eher begrenzt, und so trinke ich zumeist österreichischen Sprudel.
Dass die Deutschen weltmeisterlich Schaumwein trinken, ist unter Weinfans ein bekanntes Faktum, und dass es zum überwiegenden Teil würdelose Discount- und Aktionsware ist, die deutsche Grundweine nur vom Hören-Sagen kennt, leider auch. Zahlen sagen, dass in Deutschland ca. 300 Millionen Liter Schaumwein getrunken und 250 Mio. Liter hergestellt werden, doch davon gelten ganze 3 % als Qualitätsschaumweine und die teils wirklich großartigen Winzersekte (Trauben aus den Weingärten des Betriebs, Flaschengärung, min. 9 Monate Hefelager) besetzen eine winzige Nische von 2 % des Volumens. Nicht gerade berauschend und eigentlich recht traurig, dass Schaumweine als eines der prestigeträchtigsten Mitglieder der Weinfamilie so stiefmütterlich behandelt und gehandelt werden. Ob das nun der Markt so will oder der Konsument, diesen Teufelskreis lassen wir hier lieber.
Österreich: Dynamik, die erste
Vergleicht man diese Situation mit Österreich, so sieht es ein wenig anders aus: Der Markt ist natürlich viel kleiner (Volumen von ca. 20 Millionen Flaschen) und die Österreicher trinken auch um die Hälfte weniger Sekt pro Kopf, etwa 3 Flaschen im Jahr. Die Qualität ist indes sehr hoch. Dies ist sicher dem kleineren Maßstab aber auch den Bemühungen der offiziellen Stellen zu verdanken, die derzeit dabei sind, hochqualitative Winzersekte als „Österreichischer Sekt g.U.“ (= geschützte Ursprungsbezeichnung) eng an ihre Herkunft zu binden. Angesichts der derzeitigen Trends zu Regionalität und zum Lokalen ist das bestimmt nicht die schlechteste Idee. Kurz zusammengefasst, wird derzeit eine Art Qualitäts-Pyramide im Weingesetz verankert, die – wenn man sie von Klassik über Reserve bis hin zur Großen Reserve erklimmt – immer strengere Auflagen, immer engere regionale Eingrenzungen und immer längere Hefelagerzeiten definiert; nebst vieler anderer Details. Das dafür zuständige „Sektkomitee“ liefert bei Bedarf weitere Auskünfte.
Achja, große Kellereien gibt es in Österreich natürlich auch (Schlumberger, Szigeti, Kattus etwa), immerhin sind an die 10% der österreichischen Trauben für Sektgrundweine bestimmt. Gut für’s Prestige: Auch hier werden viele Produkte durch traditionelle Flaschengärung veredelt. Schlecht für alle: Eine hirnlose Sektsteuer, die der heimischen Produktion schadet, keinerlei Einkünfte generiert und die Käufer in die Arme billiger Frizzante-Proseccos treibt – also so ähnlich wie beim größeren Nachbarn.
Dynamik, die zweite
Es tut sich also einiges in der sprudelnden Landschaft des Alpenlandes. Immer öfter zieren beispielsweise Einzellagen die Etiketten der Sektflaschen (Heiligenstein bei Steininger z.B.) oder Winzer entdecken ihre Liebe zu den Schäumern neu (Fred Loimer). Ich habe jedoch den selektiven Eindruck, dass sich gerade besonders viel abseits des kodierten Winzersektes tut. Ich wage sogar zu behaupten, dass Österreich zu den Anwärtern auf den Vizeeuropameister-Titel in der Kategorie Pet Nat (Pétillant Naturel) gehört – nach Meister Frankreich natürlich. Alleine in den letzten zwei Jahren ist hier bestimmt mehr als ein Dutzend dieser sehr handwerklich produzierten, etwas unberechenbaren und daher äußerst individuellen Schaumweine auf den Markt gekommen. Beim Pet Nat wird ja noch gärender Most in Flaschen gefüllt, dabei verabschieden sich also die Erfahrungswerte aus der Vinifikation „herkömmlicher“ Sekte. Der Winzer muss also in einem oft wahrlich überschäumenden Lernprozess (inkl. explodierender Flaschen oder händischem Degorgieren mit entsprechender Sauerei) die richtigen Abfüll-Zeitpunkte und die Beschaffenheit des Mostes einschätzen. Aber es wird. Ich habe eigentlich noch keinen schlechten österreichischen Pet Nat getrunken, und das obwohl die meisten eben erst die erste Runde überstanden haben – um beim sportlichen Vergleich zu bleiben.
Auf anderen Wegen
Viele der bekannten hiesigen Top-Schaumweine kommen aus Niederösterreich, man denke nur an die Langenloiser rund um Bründlmayer, Steininger oder Malat. Doch gibt es in den anderen Regionen ebenso ambitionierte Liebhaber sprudelnder Top-Erzeugnisse. Und obwohl international vielleicht eher für seine Rot- und Süßweine bekannt, gehört das Burgenland ebenfalls dazu. Einige der spannendsten Schäumer kommen meiner Ansicht nach von der umtriebigen und von vielen geschätzten Winzervereinigung Pannobile. Die Namen der aus Gols und Umgebung stammenden Weingüter sind ebenso bekannt wie ihre Rot- und Weißweine: Heinrich, Achs, Preisinger, Nittnaus und Konsorten müssen wohl nicht mehr näher vorgestellt werden. Doch da die meisten Pannobiles biologisch oder biodynamisch arbeiten und so der Natur quasi unvermeidlich nahe sind, findet man bei ihnen jüngst auch Pétillants Naturels und Sekte, bei denen im Sinne des minimal-invasiven „Nichts hinzufügen, nichts wegnehmen“ gearbeitet wurde.
Aber bitte, die Damen zuerst: Obwohl an Jahren gar nicht so alt, gehört Judith Beck zu den alten Häsinnen im Pannobile-Komplott. Ihre Arbeit ist biodynamisch-kompromisslos auf gesunde Trauben in gesunder Umgebung ausgerichtet, Trinkfluss und Bekömmlichkeit sind Anliegen und Konsequenz. Schäumend gibt es bei ihr einen Blaufränkisch Rosé-Sekt Nulldosage, der ganz wunderbar zum Essen tanzt, weil er Fülle mit Frische verbindet. Hinzu gesellt sich – Überraschung, Überraschung – ein köstlicher Pet Nat aus Becks großartiger Bambule-Reihe mit Naturweinen und verlängerten Maischestandzeiten. Muskat Ottonel spielt dabei die (aromatische) Hauptrolle, auf Schwefelzugaben wurde verzichtet und mit 11,5% ist er schneller getrunken als einem manchmal lieb ist.
Die rennersistas sind Schwestern und Töchter, von Helmuth Renner nämlich. Sie sind in der glücklichen Lage, gleich von Beginn an „alles richtig“ machen zu dürfen. 2015 ist und war ihr erster Jahrgang, die Familienflächen werden biologisch bewirtschaftet und Stefanie und Susanne hielten es für überhaupt nicht notwendig, konventionell anmutende Weine zu machen. Lieber machen sie vom Start weg komplett unfiltrierte und mazerierte Welchschrieslinge, Weißburgunder und Chardonnays. Dazu einen Pet Nat aus Pinot Noir. Ganztraubenpressung, spontan vergoren, 7 Monate auf der Hefe, danach wurde händisch degorgiert (dabei ging’s bestimmt feucht-fröhlich zu, immerhin steckt „Orgie“ ja mitten im Wort). Bei einer Flasche wurden 12,5 Gramm Restzucker gemessen, was eher auf der süßeren Seite liegt, aber das Ergebnis ist ein harmonisches und zudem verrät der Name etwas über die Natur seines Subjekts. In a Hell Mood ist eine Anspielung auf die Unberechenbarkeit dieser Sprudel-Kategorie und Vater Hellmuth wird damit auch gedankt.
Claus Preisinger muss niemandem mehr etwas beweisen und das ist gut so, denn so kann er machen, was er will. Hat er wahrscheinlich ohnehin immer schon. Die Stilistik geht auch in diesem Top-Betrieb in Richtung Trinkspaß, und Leichtigkeit bei vollem Geschmack und Biodynamie ist bei Preisinger eine Selbstverständlichkeit. Bei vielen Weinen und Chargen kommen mittlerweile Amphoren zum Zuge, aus Überzeugung, nicht des Zeitgeistes wegen. Preisingers Pet Nat wurde Ancestral getauft, was zugleich lehrreich ist, denn so heißt die Methode seiner Herstellung nun mal im französischen Ursprungsland. Er ist im gebrauchten Barrique vergoren, bei 8 g Restzucker kam der St. Laurent-Most auf die Flasche, ohne Zusätze, ohne Schwefel. Der Wein ist für mich ein Phänomen. Er besitzt diese hefigen Komponenten und eine schöne rotbeerige Würze, er ist komplex und erfrischend zugleich. Alkohol? 9% vol.! Zudem trägt er die witzigste Kapsel ever.
Der letzte der hier vorgestellten Pannobile-Schäumer trägt ebenfalls einen schönen Namen: er heißt Quell und stammt von den Gsellmanns aus Gols. Auch hier ist mit Andreas eine junge Generation am Werk und diese Werke umfassen unter anderem einige der schönsten maischevergorenen Weine Österreichs – der Traminer etwa ist exemplarisch gut. Der Quell ist ausnahmsweise kein Pet Nat, sondern ein „klassischer“ Sekt. Aus Pinot Noir und St. Laurent, im großen Holzfass ausgebaut, traditionell flaschenvergoren und gänzlich ohne Schwefel und Dosage vollendet ist dieser Schaumwein ein Paradebeispiel für geringe Intervention. Das Ergebnis ist staubtrocken, erfrischend herb und schmeckt nach mürben Äpfeln und Pinot-typischen roten Beeren. Passt wunderbar – irgendwie zu allem.
Außergewöhnliche Schäumer scheinen ein Trend zu sein. Wie gesagt, allein aus der Pet Nat-Kategorie könnte ich ein gutes Dutzend aus Österreich aufzählen und ich bin mir sicher, dass sich die deutschen Exemplare – zumal von qualitätsverrückten Individualisten – ebenfalls (werden) sehen lassen können. Und auch wenn Schaumweine per se Produkte sind, die im Allgemeinen relativ viel Intervention verlangen, bin ich überzeugt, dass geringe Schwefelgaben und der Verzicht auf Dosage der Reinheit und Frische auf Basis toller Grundweine gut zu Gesicht stehen – sei es beim Winzersekt, Sekt g.U. oder im Falle der Pétillants Naturels.
Danke, dass meine Geburtsort Langenlois hier kurz Erwähnung findet. Ja, die Sekte von Lisa Steininger sind sensationell und können meiner Meinung international ganz locker mit allem mithalten, was es in dem Bereich gibt.
Was die Pet Nats betrifft ist das Gute auch nicht so weit weg von Langenlois. Christoph Hoch aus Hollenburg macht mit seinem Kalkspitz hier einen tollen Job, der sich sehen lassen kann.
Hallo Jürgen!
Du hast völlig recht, Langenlois selbst ist sogar eine richtige Hochburg der Pet Nats, allein Jurtschitschs haben 5 verschiedene! Auch Geyerhofs “360°” wird unweit produziert, in Oberfuchs im Kremstal. Ich wollte mich hier auf die Pannobiles beschränken, nur deshalb werden nicht alle erwähnt :). Liebe Grüße, Branko