Es kommt nur selten vor, dass ich beim Probieren neuer Weine von neu entdeckten Weingütern vor Freude aus der Hose springen möchte. Doch manchmal passiert das und interessanterweise passiert mir das überproportional oft mit Weinen von der Loire. In diesem Fall ist es ein Weingut aus Bourgueil, dessen gesamte Kollektion ich zum Niederknien gut finde.
Das Weingut nennt sich Domaine du Bel Air, was leider ein ziemlicher Allerweltsname ist und mich immer automatisch an Bordeaux denken lässt. Die Domaine wird geführt von Pierre, Catherine, Rodolphe und Sophie Gauthier und geht zurück auf den Urgroßvater, der 1880 den ersten Hektar Weinberge erworben hat. Vom Mischbetrieb hat sich das Haus zum 20 Hektar-Weingut entwickelt, das Pierre Gauthier seit 1995 führt und das seit dem Jahr 2000 nach Agriculture Biologique / Ecocert zertifiziert ist.
Die Domaine liegt nicht direkt in Bourgueil sondern im Nachbardorf Benais. Wer sich orientieren will: Direkt um die Ecke steht das Weingut von Jean-Marie Amirault, die Straße rauf das Weingut Domaine de la Noiraie, Christophe Deschamps, die Domaine de la Chevalerie ist nicht weit entfernt, ebenso wenig Catherine & Pierre Breton und die Domaine de la Butte von Jacky Blot.
Bourgueil
Das Anbaugebiet Bourgueil gehört zu jener Handvoll Appellationen, in denen für mich einige der besten Cabernet-Francs überhaupt entstehen. Es liegt in einer Reihe mit Saint-Nicolas-de-Bourgeuil, Chinon, Saumur und Saumur-Champigny. Die seit 1937 bestehende Appellation erstreckt sich über sieben Gemeinden und rund 1.400 Hektar. Am Ufer der Loire findet sich alluviales Schwemmland mit Sand und Kies, nach einem leichten Hanganstieg findet sich unterhalb des Dorfes eine Schicht mit Sand und Mergel, darüber rund um Bourgeuil weiße Kreide mit Tuffstein, darüber den Hang hinauf Kreide mit Glimmerschiefer, dann jüngere Kreide sowie Lehm und Kalkstein. Die besten Lagen verfügen über Tuffstein und Kalk mit einer dünnen Oberschicht aus Ton. Über genau diesen Boden verfügt jener Weinberg, der der ganze Stolz des Weinguts geworden ist: der Clos Nouveau.
Die Hügel rund um Bourgueil werden wohl schon seit der Römerzeit mit Reben bepflanzt, mit dem Jahr 990 aber begann die Phase des modernen Weinbaus, so wie er sich auch im Burgund entwickelt hat. Denn in jenem Jahr wurde die Abtei von Bourgueil gegründet. Das wichtigste Datum in der Geschichte ist vielleicht das Jahr 1152, als die sogenannte Breton-Rebe eingeführt wurde, die wir heute Cabernet Franc nennen. Der Weinbau in Bourgueil richtet sich seit dieser Zeit nach dem Cabernet Franc, der fast zu 100 % die Weinberge bedeckt, unterbrochen hier und das von wenigen Parzellen Cabernet Sauvignon. Rosé spielt in Bourgueil so gut wie keine Rolle. Statt eines Rosé trinkt man dort lieber einen jungen, gekühlten Rotwein.
Die Weine:
Jour de Soif 2017
Genauso ein Wein ist der Jour de Soif, der von jungen Reben auf den Kiesterrassen sowie teilweise vom Lehmboden stammt. Die Trauben dieses violetten Weines werden im Keller vollständig entrappt, es erfolgt eine kühle Vorgärung bevor die Trauben mit eigenen Hefen über acht Tage in Fässern vergären. Der Wein lagert dann bis zum Frühjahr in gebrauchten Fässern und wird dann verkauft. Er kostet knapp über zehn Euro und ist das, was der Name schon ankündigt. Er ist ein Vin de Soif im besten Sinne, ein Saufwein, ein Durstlöscher, den man im Sommer im Wasserkübel kühlt und von dem man zu jeder sich bietenden Gelegenheit ein Glas trinkt. Der Wein duftet erdig und rot, erinnert an Blüten, Veilchen vielleicht, einen Hauch von Lakritze, vor allem aber Johannisbeeren, etwas Pflaume und Tabak. Am Gaumen ist der Wein süffig mit viel frischer Frucht und wenig Tannin. Unkompliziert aber schmackhaft mit einer leicht salzigen Note hinten raus.
Le Vingt Lieux Dits 2015
Dieser Wein stammt von der ersten Anhöhe unterhalb des Dorfes mit Kiesel und Mergel. Die Reben sind im Durchschnitt rund 40 Jahre alt, also im Prinzip schon Vieille Vigne. Im Keller werden die Trauben zunächst entrappt, dann noch mal sortiert und erfahren eine kühle Vorvergärung, sprich, sie werden ein paar Tage im Keller zur Seite gestellt. Im Fermenter beginnt dann die Gärung mit weinbergs- und kellereigenen Hefen und dauert rund 30 Tage. Dabei wird immer mal wieder umgepumpt und der Tresterhut wird untergestoßen. Danach wird der Wein in Fuder und Demi-Muids mit einem kleinen Anteil neuer Fässer gefüllt. Im Tuffsteinkeller lagern die Weine dann über 12 Monate, bevor sie ohne Filtration abgefüllt werden.
Der Vingt Lieux Dits ist mit € 12,90 nur unwesentlich teurer als der Jour de Soif aber ein absolut seriöser Wein, der bei der letzten Verkostung von Cabernet Francs in der Revue du Vin de France einen Spitzenplatz der Appellation belegt hat. Kein Wunder, würde ich mal sagen. Während der Jour de Soif violett schimmert scheint Le Vingt Lieux Dits in sattem rubinrot. Was für ein herrlicher Duft: rote Früchte, schwarze Früchte, vor allem rote und schwarze Johannisbeeren samt ihren Stilen, etwas Zwetschge, Erde, altes Holz und ein wenig Hefezopf und nasser Stein. Am Gaumen zeigt der Wein viel saftige Frucht, die immer kühl und fest bleibt. Auch hier gibt es leicht säurebetonte Beerenfrucht, dazu einen roten Apfel, etwas Tabak und Stein. Der Wein hat Zug, ist druckvoll, dabei intensiv aber das Gegenteil von schwer und immer ein bisschen salzig, floral und sehr lebendig – Trinkspaß mit Anspruch durch und durch.
Les Marsaules 2012
Den Hang hinauf oberhalb von Bourgueil liegt Les Marsaules auf Glimmerschiefer, Sand und Tuff. Das Durchschnittsalter der Reben liegt bei satten 60 Jahren. Dieser Wein wird im Keller zunächst genauso behandelt wie Le Vingt Lieux Dits. Der Unterschied ist, dass der Neuholzanteil geringfügig höher war und der Wein nach 24 Monaten im Holz noch ein paar Jahre auf der Flasche gereift ist. So präsentieren die Gauthiers nun einen 2012er für ein Preis von € 19,90. Im Glas zeigt sich ein völlig anderer Wein als beim Vorgänger. Nur die typischen Cabernet-Franc-Marker aus Veilchen, Ribisel, etwas Tabak und einer ganz leichten grünen Note sind vorhanden. Ansonsten ist der Wein würziger, dunkler, riecht mehr nach Wald und ist – und das ist nicht despektierlich gemeint – dreckiger, erdiger, rauchiger. Einerseits also etwas bäuerlicher, darüber aber liegt auch eine feine, duftige, fast burgundischen Attitüde. Das ist gar nicht so einfach zu fassen, macht aber viel Lust auf den ersten Schluck. Und der bestätigt das Spannungsfeld aus Bodenständigkeit und Eleganz. Der Wein schwebt irgendwo dazwischen mit zwei Seelen. Doch diese Spannung zerreißt den Wein nicht etwa, sondern macht ihn interessant. Der 2012er hat schon eine leichte Reifenote in der Frucht die springt einen nicht mehr so direkt an, das Aroma am Gaumen erinnert auch ein wenig an rohes Fleisch, einen Hauch von Teer und Tinte, der Wein bleibt immer kühl, fest gewirkt, würzig und ausgestattet mit einem feinen Tannin. Das macht viel Vergnügen.
Grand-Mont 2014
Grand Mont ist Grand Vin, das wird beim ersten Schnuppern klar. Der Wein stammt von der Spitze des Plateaus mit Böden aus Lehm und Kalkstein, in denen rund 70 Jahre alte Cabernet-Franc-Rebstöcke mit einer 5.000er Pflanzdichte stehen. Auch hier wird der Wein nach der Lese vollständig entrappt, nochmal sortiert und zur kühlen Vorvergärung zur Seite gestellt. Die Vergärung erfolgt wie bei allen anderen Weinen (außerdem dem Soif), ebenso der Ausbau. Offensichtlich ist hier, das mehr mit jüngeren Fässern gearbeitet wird und der Wein länger, nämlich 24 Monate lang ausgebaut wird. Entsprechend dunkel und intensiv ist das rot. Hält man die Nase ins Glas, und lässt das Zusammenspiel von Frucht und Holz auf sich wirken, könnte man kurz auf den Gedanken kommen, man habe einen sehr guten Saint-Émilion im Glas. Dann aber findet sich ein kühler Zug, der so bei einem Wein des rechten Gironde-Ufern nur noch sehr selten zu finden ist – vielleicht in 2017, aber niemals in den zehn Jahren davor. Zurück zum Wein … Der Grand-Mont wird dominiert von roten Johannisbeeren, Brombeeren, Blaubeeren, etwa Granatapfel, feinen indischen Gewürzen und noch feinerem Holz inklusive einem Hauch von Zedernholz und Grafit. Vor allem das lässt an Bordeaux denken und auch an den Holzeinsatz der Foucault-Brüder auf Clos Rougeard. Die haben übrigens – mal ganz nebenbei gesagt – dem Weinhändler Bernd Kreis eben diese Domaine du Bel Air ans Herz gelegt. Am Gaumen ist der Wein pures Glück, wenn auch das Holz natürlich noch nicht voll integriert ist, dafür ist der 2014er noch zu jung. Aber was für ein – Entschuldigung – geiles Wechselspiel ist das aus satter reifer roter Frucht, unbändiger Frische, dieser Basis aus feinem Holz und diesem mineralisch lebendigen Zug am Gaumen? Dazu kommt das reife aber samtige Tannin und eine hervorragende Länge. € 31,90 kostet der Wein, aber der hat definitiv Cru-Niveau und ein großes Potential. Geht es noch besser bei Bel Air?
Clos Noveau 2014
Was für ein Glück muss es sein, in einem Ort wie Benais, der von allen Bourgueil-Lagen die tonreichsten und kalkreichsten Lagen führt, an einen alten Clos zu kommen? Der Weinberg, vielleicht über Jahrhunderte vom nahegelegenen Kloster bewirtschaftet, war verwaist, als die Gauthiers den Weingarten übernahmen. Die Reben wie die Mauern und der Boden waren in einem beklagenswerten Zustand. Doch die Generalüberholung hat sich gelohnt. Der Clos Nouveau dürfte zu den interessantesten Terrains der roten Loire gehören, denn was passt besser zusammen als Ton im Oberboden und dazu Tuff und Kalk? Erstaunlich ist ja, dass man solch ein Terroir überhaupt noch zu einem annehmbaren Preis erwerben kann. Andererseits verwundert es auch nicht vollständig weil die Loire immer noch viel zu sehr off topic ist. Es dürfte auch nur wenige Weininteressierte geben, die an der Loire zehn Winzer aufzählen können. Es ist ein Trauerspiel, wie unterbewertet die Region abseits von Coulée de Serrant, Huët und Clos Rougeard immer noch ist.
Dabei gibt es doch Weine wie diesen 2014er Clos Nouveau, der im Keller im Prinzip wiederum genauso entsteht wie die zuvor besprochenen Weine. Der Wein reift über 24 Monate hinweg in Fässern aus Zweit- und Drittbelegung. Das Holz zeigt sich in diesem Wein ganz anders als beim Grand-Mont. Über dem Glas liegt ein Duft von Rauch und Tabak, dunklen Beeren und dunklen Blüten. Veilchen findet man, aber auch ein wenig Iris, dazu Trockenkräuter und ein Hauch von gegrillter roter Paprika und Gesteinsmehl. Am Gaumen zeigt sich die große, gezügelte Kraft, die den Wein an den Gaumen drückt und gleichzeitig die charmante Seite zeigt in Form eines Tannins, das wie Samt die Zunge einkleidet. Am Gaumen ist der Wein viel heller und rotbeeriger, als sie Nase vorgibt, dabei ist er elegant mit feiner Textur und Balance zwischen leicht wärmender Frucht und frischer Säure und Mineralität. Der Wein befindet sich definitiv noch im Säuglingsalter hat aber jetzt schon einen Charme und eine Länge, die dazu verführt, dass man den Clos Nouveau unbedingt trinken will, wo man ihn doch erst einmal ein paar Jahre weglegen sollte. Der 2014er Jahrgang kostet € 39,50.
Was sagt man nach solchen Weinen abschließend? Es ist eine wunderbare Entdeckung. Es sind Weine, die man sich definitiv in den Keller legen sollte. Und ich danke jedem Händler, der solche Loire-Weingüter mit ins Programm aufnimmt. Bel Air ist lange nicht das einzige Weingut, das an der Loire Rotweine auf hohem Niveau entstehen lässt, aber es ist eines, das gefühlt ein wenig im Stile von Clos Rougeard arbeitet. Die Saumur der anderen Winzer wie Thierry Germain oder Guiberteau sind stilistisch weit von den Foucaults entfernt, ebenso Bernard Baudry in Chinon oder Jack Blot in Bourgeuil. Hier aber meine ich so ein bisschen was zu spüren in der Verbindung von Eleganz und Bodenständigkeit, dem Einsatz des Holzes gerade beim Grand-Mont und auch beim Potential, das in den Weinen steckt.
Die Weine gibt es allesamt bei Bernd Kreis, der mir die Weine freundlicherweise zur Verfügung gestellt hat.
Hier geht es zu weiteren Portraits großer Loire-Winzer:
Zu Gast bei Thierry Germain, Domaine des Roches Neuves gibt es hier.
Zu Gast bei Nady Foucault, Clos Rougeard gibt es hier.
Zu Gast bei Romain Guiberteau gibt es hier.
Zu Gast im Clos Cristal gibt es hier.