Es ist schon ein großes Glück, wenn man das nasskalte Oktober-Wetter in Hamburg verlassen kann, um ein paar Tage später im The Farmhouse at Meletos aufzuwachen (auch wenn das schon ein bisschen überdesignt wirkt), sich die Laufschuhe anzuziehen, um durch die Weinberge des Tals zu joggen um dabei ein paar Känguruhs aufzuscheuchen, die dort friedlich grasen und den Morgentau auf dem frischen Grün schätzen. Nach einer längeren Runde erwartet mich dann im angeschlossenen Café ein exzellentes und dank meiner Begleiter:innen auch amüsantes Frühstück. Sehr schöne Erinnerungen! Kurz darauf geht es mit einer zweimotorigen Cessna zusammen mit unserem morgendlichen Gastgebern auf zu einem Rundflug über das gesamte Valley um einen Eindruck davon zu bekommen, wie das Tal funktioniert, wo die Winde herkommen, wo es unterschiedliche geologische Formationen gibt. Man bekommt tatsächlich einen sehr guten Eindruck davon, wie grün das Valley ist und wie nah es an dem ist, was ich aus unseren Breitengraden kenne. Doch mit einer Durchschnittstemperatur von an die 19 °C ist es natürlich deutlich wärmer und gemäßigter als bei uns. Und die Weine wirken entsprechend voller, auch wenn das Yarra Valley nach australischen Maßstäben zu den Cool-Climate-Gebieten zählt.
Punt Road, Rob Dolan Wines, De Bortoli
Unser erstes Tasting hatten wir gemeinsam mit Tim Shand von Punt Road, Rob Dolan von Rob Dolan Wines und mit Sarah Fagan von De Bortoli. Gerade letzteres Weingut war mit immer wieder in London bei verschiedenen Tastings aufgefallen.
Das Weingut Punt Road mit dem zusätzlichen Label Airlie Bank liegt in Coldstream, dessen Name schon suggeriert, dass dort vor allem nachts kühle Winde durch das Tal ziehen. Der Name wird später noch mal auftauchen, denn eines der bekanntesten Weingüter des Tals ist Coldstream Hills. Punt Road ist ein Familienunternehmen mit rund 120 Hektar Landbesitz und 60 Hektar Weinbergen. Die Familie Napoleone ist 1926 aus Italien nach Australien gekommen und hat das ursprüngliche Weingut St. Huberts im Jahr 1978 übernommen. 1987 wurden die ersten neuen Reben gepflanzt und heute sind es vor allem Pinot Gris, Pinot Noir, Gamay und Chardonnay sowie Cabernet Sauvignon, Cabernet Franc und Merlot. Der Weinmacher Tim Shand hat mitterweile 13 Jahrgänge vinifiziert und besitzt – wie ich auch – ein besonderes Faible für Cabernet Franc. Er hat seit 2001 mit der Frucht aus dem Napoleone Vinyard experimentiert. Der Cabernet Franc ist sehr im Loire-Stil gehalten, mit saftiger Zugänglichkeit und einem aromatischen Hauch von grünen Noten. Er arbeitet viel mit Ganztrauben, recht frühen Lesezeitpunkten und einem minimalistischen Ansatz im Keller.
Airlie Bank Yarra Valley Franc 2018
Mit Ganztrauben, angequetscht mit den Füßen, vergoren im Open Top Fermenter und dann in ein paar alte Hogsheads, also Tonneaux gepresst. Sehr schönes Cassis und schwarzen Kirschen mit Blattgrün. Sehr “Franc”, aber vielleicht auch ein wenig unterreif, so grün ist er. Allerdings gibt sich das meist bei ein bisschen Reife.
Rob Dolan hat sein Weingut Rob Dolan Wines 2011 eröffnet, indem er von Hardy’s die Yarra Burn Winery abgekauft hat. Weinberge waren nicht dabei, so dass er zunächst die Frucht von Freunden und Bekannten erworben hat – das übliche Geschäft in Übersee, das einem hierzulande aber immer noch seltsam vorkommt, nicht wahr? Rob Dolan war schon bekannt in der Gegend und hatte gute Verbindungen, da er ab den 1990ern dort an verschiedenen Stellen als Winemaker gearbeitet hat. Robs Geschichte begann als Senior Winemaker auf dem Weingut Yarra Ridge, wo er in den 1990ern den Maßstab für Chardonnay und Pinot Noir gelegt hat. Zudem hat er damals die gesamte südviktorianische Weinherstellung für Mildara Blass (Fosters) verantwortet. Anschließend half Rob, soweit ich das erinnere, dabei mit, Punt Road aufzubauen. Seine Weine waren für meinen Geschmack sehr Mainstream, sehr gut gemacht, aber recht glatt. Am besten gefallen hat mir tatsächlich der Pinot Gris aus der Kollektion.
Rob Dolan, Pinot Gris Yarra Valley 2018
Gequetscht und über Nacht in der Presse stehen gelassen, um Farbe und Aroma zu extrahieren, dann mit einer Kulturhefe im Tank vergoren. Ein deutliches Lachsrot zeigt, die Farbe der Traubenhäute. Auf der volleren, üppigen Seite mit Nashi-Birne und Gewürzen. Recht komplex am Gaumen mit typisch weicher Säure und Extrakten.
Was sich in unseren Ohren eher wie eine Nudelsaucenmarke anhört, ist in Australien ein ernstzunehmendes Weingut mit italienischen Wurzeln: De Bortoli. Der Erfolg des Weinguts, das ein recht großes Portfolio aufweist, ist mittlerweile eng verbandelt mit der Weinmacherin Sarah Fagan. Die kam 2003 im letzten Jahr ihres Weinbaustudiums ins Yarra Valley und machte bei Winemaker Steve Webber ein Praktikum. 2004 ging sie nach Kalifornien zu Ted Lemon, dem Mann der als erster Amerikaner die Weine eines burgundischen Weinguts verantwortet hat (Domaine Guy Rulot) und später das Weingut Littorai gegründet hat. Bei ihm blieb sie ein Jahr, um dann zu De Bortoli zurückzukehren. Dort wurde sie Steve Webbers rechte Hand und verantwortete die Weißweine des Weinguts, während der junge William „Bill“ Downie sich um die Rotweine kümmerte – eine echte Talentschmiede also. Seitdem hat sie den Stil des Weinguts deutlich verändert vom typischen Australien-Önologie-Stil mit viel Technik hin zu einem terroirgeprägten Weinmachen. Ihre Chardonnays erlangten direkt viel Aufmerksamkeit.
Die Familie de Bortoli hat Italien zu einer ähnlichen Zeit verlassen wie die Napoleones, nämlich 1924. Laut Familiengeschichte hat Vittorio de Bortoli zu Beginn sein Zuhause unter einem großen Wassertank gefunden, um sein ganzes Geld zu sparen, seine Verlobte Giuseppina nach Australien holen und dann mit ihr 1928 eine rund 20 Hektar große Farm erwerben zu können. Während der erste Erntezeit übernahm er Shiraz-Trauben von Kollegen, die mit den Trauben nichts anfangen konnten und sie lieber am Stock verrotten lassen hätten, als sie zu ernten. Er bekam 15 Tonnen zusammen, machte Wein – das hatte er schon in seiner Heimat Treviso gelernt – und konnte den Wein verkaufen. So ist das Weingut entstanden, das 1987 ins Yarra Valley umgezogen ist. In den 2000ern kam ein Weingut und ein Weinberg im Hunter Valley dazu. Bemerkenswert sind bei De Bortoli die italienischen Sorten wie Fiano, Arneis und Sangiovese. Es gibt aber auch Tempranillo und Touriga Nacional. Insgesamt erstrecken sich die Weinberge weit über Victoria.
De Bortoli Riorret Lusatia Park Chardonnay 2016
Aus Block A des Lusatia Park Vineyard im Upper Yarra. Ganze Trauben gepresst, wild vergoren, malolaktische Gürung, neun Monate in gebrauchten Barriques ausgebaut. Trotz des biologischen Säureabbaus knackig und frisch mit viel hellem Saft und kalkigen Noten. Das Holz spielt nur eine Nebenrolle – sehr angenehm.
Coldstream Hills und Seville Estate
Vom Treffen mit den drei ging es ins Upper Yarra Valley, also dahin, wo man die besten Chardonnay und Pinots findet, weil es signifikant kühler ist. Wir trafen uns zum Essen mit Dylan McMahon, dessen Familie den Seville Estate gegründet, aber irgendwann verkauft hat und trotzdem von Dylan geleitet wird. Mit dabei war Andrew Fleming, der Weinmacher von Coldstream Hills.
Coldstream Hills ist Teil der Treasury Wine Estates, zu denen ja auch Wolf Blass und Penfolds sowie mehrere Dutzend andere Weingüter vom Massenweinerzeuger bis zur Edelschmiede gehören. Coldstream Hills ist mehr Edelschmiede und hat eine interessante Geschichte. Sie beginnt im Jahr 1985, aber eigentlich schon etwas früher, nämlich Ende der 1970er Jahre. Damals hatte ein gewisser James Halliday – der wie Robert Parker, dem Beruf als Anwalt nachging – die ersten Pinots der Weingüter Mount Mary und Seville Estate (!) bei einem der legendären wine lunches am Bulletin Palce in Sydney probiert und war mehr als angetan. James Halliday – er bringt Australiens berühmtesten Weinführer heraus– arbeitete damals gerade an dem Buch The Wines and Wineries of Victoria und besuchte dann das Yarra Valley, um sich einen ersten Eindruck zu verschaffen. Er kam, und wollte bleiben: „Es war Liebe auf den ersten Blick. Ich wusste, dass ich eines Tages irgendwie im Yarra Valley landen würde.« 1983 eröffnete James zusammen mit seiner Frau Suzanne einen Ableger seiner Anwaltskanzlei in Melbourne. 1985 kam ein 40-Hektar großes Hanggrundstück mit einem markanten Haus auf den Markt und ein Termin für eine Auktion wurde festgelegt. Die beiden hatten sich das Haus schon häufiger angeschaut, wenn sie in der Gegend unterwegs waren. Vier Tage später hatten sie es gekauft und noch im Dezember 1985 pflanzten sie den ersten Hektar Coldstream Hills. Im Laufe der Jahre wurden Grundstücke dazu erworben. 1996 verkaufte er das Weingut an Southcorp (später Treasury), blieb aber Consultant. Der Weinmacher ist heute Andrew Fleming. Die Weine sind ausgesprochen elegant. Sie stammen vornehmlich aus kühlen Lagen, der Holzeinsatz ist sehr gelungen. Sie wirken vielleicht ein bisschen zu poliert und so vinifiziert, wie man es gerade gerne trinkt, also mit leichter Reduktion und Knallplättchen-Aromatik … aber es ist sehr gut, vor allem der Deerfarm Chardonnay.
Coldstream Hills Deerfarm Chardonnay 2018
Der Chardonnay ist schlank, straff und komplex. Er wirkt zunächst fast leicht, dann wird er mit Luft immer tiefer. Länge und Säurestruktur wirken sehr gelungen. Man findet viele Zitrusfrüchte, gelbe Birnen, ein wenig Steinobst und Mandel und dazu die erwähnten Knallplättchen, leichte Röstaromen, etwas Zigarrenbox.
Der Seville Estate wurden in meinem Geburtsjahr 1972 von Peter McMahon im Upper Yarra gegründet. Er gehört mit zu Avantgarde des Tals und begründete eine neue Ära. Witzigerweise hat Seville Estate seine größten Erfolge damals schon mit einem Shiraz gefeiert, obwohl das kühle Tal ja eher für Pinot, Chardonnay und Cabernet bekannt ist. Peter hat das Weingut 1996 verkauft, als er in Pension ging. Sein Sohn hatte kein so großes Interesse am Weingut. Wohl ab er der Enkel, Dylan McMahon, der im Jahr 2000 auf das Weingut zurückgekehrt ist und 2004 die Leitung übernahm. Es muss ein seltsames Gefühl sein, dass das Weingut in dieser Zeit mehrfach verkauft wurde. Das Weingut, das eigentlich das der Familie ist. Dylan hat jedenfalls alles daran gelegt, den exzellenten Namen, den sein Großvater aufgebaut hat, neu zu beleben und zu bestätigen. 2019 ist Seville Estate bei James Halliday Winery of the Year geworden. Ich kann das sehr gut nachvollziehen. Auf dem Weingut wird nicht mit Rebsorten (Riesling, Chardonnay, Pinot, Cabernet, Shiraz) experimentiert. Man bleibt klassisch. Dafür aber versucht man mit aufwendiger Weinbergsarbeit – verantwortlich ist Andrew Peggie – und mit recht wenig Intervention im Keller zu arbeiten. Chardonnay und Riesling werden im Fass vergoren. Je nach Stil und Jahrgang werden unterschiedliche Mengen an neuem Eichenholz für den Estate Chardonnay und Reserve Chardonnay genutzt, vor allem größere Fässer. Die Weine werden vor und während der Gärung eher oxidativ behandelt, um eine gesunde Gärung zu gewährleisten. Nach der Gärung werden die Weine geschwefelt und in einer reduktiven Umgebung gelagert. Pinot und Cabernet werden zu einem geringen Prozentsatz in neuem Eichenholz ausgebaut, für den Shiraz werden nur ältere 500-Liter-Puncheons verwendet. So entstehen sehr elegante, frische und klare Weine.
Seville Estate Old Vine Reserve Yarra Valley Cabernet Sauvignon 2017
Ein superpräziser, klarer Cabernet mit viel Cassis- und Kirschfrucht. Nicht warm, eher kühl und klar und doch reif. Das Tannin ist angenehm markant und strukturiert der Wein, der lebendig du mineralisch wirkt.
Seville Estate Reserve Chardonnay 2018
Neben dem Coldstream Hills Deerfarm Chardonnay hatte es der Reserve Chardonnay von Seville Estate gar nicht so einfach, aber hat das Spiel aufgenommen. Ganztraubenpressung, Spontanvergärung und Ausbau auf der Hefe im Tonneaux und Barrique (Puncheon und Hogshead). Viel Säuredruck, zitrisch, vor allem mit Grapefruit und Schalen, dann eine seidig sanfte Steinobstfrucht dazu, die die Säure balanciert. Es ist schon beeindruckend, wie sehr sich der Blick auf den Chardonnay auch in Australien gewandelt hat.
Seville Estate Dr McMahon Shiraz 2017
Das Shiraz-Flaggschiff des Hauses, benannt nach dem Weingutsgründer. Satte rote Beerenfrüchte treffen auf süße Gewürze und Pfeffer. 100 % Ganztrauben offen vergoren in zwei neuen französischen Tonneaux, 60 Tage auf den Schalen. Die Eiche ist dank der Fassgärung ziemlich offensichtlich aber gut integriert. Das ist schon eine Aussie-Shiraz, kraftvoll und fruchtsüß, aber gleichzeitig mit deutlicher Frische und Lebendigkeit, konzentriert, aber nicht zu extrahiert. Insgesamt sehr gekonnt gemacht.
Luke Lambert & Denton Wine
Noch am selben Tag haben wir Luke Lambert bei Denton Wine besucht. Denton Wine wurde vom John und Simon Denton gegründet. John ist einer der führenden Architekten des Landes und Partner bei Denton Corker Marshall. Wenn man auf den Single Vineyard View Hill von Denton Wine zufährt, wird schnell klar, welchen Stil John Denton mag; denn auf dem einzigartigen Hügel, den man schnell als eine kleine Vulkankuppe identifizieren kann, steht ein besonderes Haus, das John Denton als Wochenend-Villa nutzt. Simon, sein Sohn ist in der Melbourner Gastroszene aktiv und betreibt dort ein paar angesagte Läden wie das Isakaya Den. Luke Lambert wiederum ist der Weinmacher der beiden und macht auch eigene Weine, die er unter eigenem Namen vertreibt. Da sind kleine Mengen, die furchtbar schnell ausverkauft sind, die mir aber besser gefallen, als die etwas glatteren Denton Weine.
Luke vinifiziert für sich einen Sparkling, einen Chardonnay und Shiraz und einen ausgezeichneten Nebbiolo. Vielleicht den besten Nebbiolo, den ich in Australien getrunken habe. Und überhaupt den besten außerhalb des Piemont. Das ist nicht wirklich schwierig; denn die Sorte findet man ausserhalb des Piemont kaum, aber sie könnte im Yarra Valley eine eigene Zukunft haben. Lambert hat sein Geld eine Zeit lang in Barolo bei Giacomo Brezza und Cordero di Montezemolo verdient. Er weiß also durchaus, was er tut. Und tatsächlich gehört er wohl zu den wenigen Menschen, die mit 14 schon Weinmacher werden wollten, obwohl sie nicht aus einer Weinbaufamilie stammen. Er ist früh nach Frankreich und Italien gereist, um mehr über Wein und Essen zu erfahren, was er zuhause schon bei seinen Eltern kennengelernt hatte. Schließlich ist er dann im Piemont gelandet und hat sich in den Nebbiolo verliebt. Luke ist ein sehr zurückhaltender, reflektierter Weinmacher, der wirklich komplett hands on arbeitet und komplett spontan ohne Temperaturkontrolle vergärt, keine neue Eiche benutzt, nicht schönt, nicht filtriert. Vor ein paar Jahren hat er einen besonderen Ort in Yea gefunden, etwas nördlich des eigentlichen Yarra. Diese 15 Hektar große Fläche liegt auf einem steilen, nach Nordosten ausgerichteten Hang. Dort hat er 2,5 Hektar ausschließlich mit Nebbiolo bepflanzt.
Was mir bei Denton allerdings gefallen hat, waren die Weine, die damals noch nicht auf Flasche gefüllt waren. Es waren Fassmuster namens Denton Yellow und Denton Orange. Der Yellow Chardonnay vom Granit mit einem Anteil Whole Bunch, wurde zwei Jahre im Fass ausgebaut, ohne dass das Fass aufgefüllt worden wäre, so dass sich dort ein bisschen der Jura-Style durchgesetzt hat. Noch krasser das Ganze beim Orange Chardonnay, wo 100 % Ganztrauben über 14 Tage mit vergoren wurden. Danach ebenfalls Ausbau unter einer Florschicht. Beides abgefüllt ohne Schwefel.
Luke Lambert, Nebbiolo, Yarra Valley, Victoria, 2016
Kirschen, getrocknete Kirschen, Rosenblüten, rote Johannisbeeren und Cranberry zusammen mit Tamarinde, Moos, Erde und Unterholz. Am Gaumen straff und mit einem Tannin wie Talkumpuder.
»Das Yarra Valley ist mit vielen Mikroklimata und drei bis vier verschiedenen Bodentypen gesegnet, die es uns ermöglichen, klassische Sorten wie Chardonnay, Pinot Noir, Shiraz und Cabernet auf Weltniveau zu keltern. Was mich hier am meisten fasziniert ist die kollaborative und experimentelle Denkweise der Winzer und Farmer. Das macht das Valley zu der vielleicht aufregendsten Weinregion in Australien.«
Syd Bradford
Journey Wines, Thick as Thieves, Santolin Wines
Schließlich endete der Parforce-Ritt im Healesville Hotel, wo wir Damian North von Journey Wines, Syd Bradford von Thick as Thieves und Adrian Santolin von Santolin Wines trafen.
Damian North’ Reise in die Welt des Weins begann mit der Arbeit als Sommelier in bedeutenden Restaurants in Sydney wie dem originalen Tetsuya’s in Rozelle und dem Pier at Rose Bay. Die Arbeit mit Wein im Restaurant hat ihm jedoch schnell nicht mehr gereicht. Er hatte so Blut geleckt, dasss er mehr wollte. Also beschloss er, Weinbau zu studieren und danach ins ins Yarra Valley zu ziehen, wo er einige Jahre als Assistent-Winemaker im TarraWarra Estate arbeitete. Der Pinot Noir und der Chardonnay haben ihn am meisten gekickt, weshalb er davon noch ein bisschen mehr kennenlernen wollte. Also zog er mit Sack und Pack, Frau und zwei kleinen Kindern nach Oregon in die USA um sich bei Benton-Lane drei Jahre lang ausschließlich um Pinot Noir zu kümmern. Dann ergab sich die Gelegenheit, bei Leeuwin in Margaret River als Winemaker anzuheuern. Leeuwin, das ist top notch in Australien, vor allem was Chardonnay und Cabernet angeht. Fünf Jahre hat er dort gearbeitet, wo ich eine Woche nach dem Treffen mit ihm sein würde. Dann wollte die Familie zurück in Yarra Valley weil Damian das Gefühl hatte, dass es Zeit sein für sein eigenes Weingut. Oder sagen wir mal, mit einem eigenen Label, denn Journey Wines verfügte zunächst einmal über keine eigene Kellerei und erst recht nicht über Weinberge. Aber das ist Übersee. Man kann dort Wein machen, wenn man Kumpels hat oder sich auskennt. Allerdings muss man ihn auch verkaufen können, das ist klar. Und das macht er, soweit ich das sehe, mir Erfolg und mit einem mit einem guten Talent. Dazu tragen die schönen Linolschnitte von Shana James bei, die Damian North’ Reise als Etiketten bebildert hat.
Syd Bradford hat sein Label Thick as Thieves 2009 gegründet und ist das Ganze ähnlich angegangen wie Damian. Er hat damals die ersten Trauben Arneis aus Hoodle’s Creek erworben und den ersten Aloof Alpaca vinifiziert, den wir an dem Abend auch probiert haben. »Ein kurzer Schalenkontakt mit der ganzen Traube, gefolgt von einer wilden Hefe-Fassgärung – dieselbe Technik, die ich auch jetzt nach 10 Jahren noch anwende!« Er hat sich recht shcnell einen Namen gemacht, all das aber viele Jahre lang nebenerwerblich gemacht, bis es angefangen hat, richtig gut zu laufen. Dann kam ein Weinberg dazu, ein Keller und nach und nach ein Weingut. Ursprünglich kommt er aus Sydney und hat Landschaftsbau an der dortigen University of Technology abgeschlossen. Danach ist er, wie er sagt, von »Bondi Beach nach Beechworth« gezogen um bei Pfeiffer Wines in Rutherglen in der Weinlese zu arbieten. Dann ging es zu Coldstream Hills, Rochford und Domaine Chandon (ja genau, die gibt es auch, Moët & Chandon erzeugt Schaumwein dort, den wir noch am Morgen vor unserem Abflug mit der Cessna probieren konnten), bevor er mehrere Jahre bei Giant Steps an der Seite des im ersten Teil erwähnten Steve Flamsteed arbeitete. Nebenbei hat er dann wie Damian North auch an der Charles Sturt University 2008 ein Önologie-Studium abgeschlossen,. Noch während seiner Zeit bei Giant Steps machte Syd dann die die ersten erwähnten Schritte. Nach dem Arneis kam dann ein Pinot Noir und Chardonnay dazu, sowie ein Gamay, eine »Passetoutgrain«, ein Nebbiolo und ein Fieldblend aus Sylvaner und Gewürztraminer namens Leftfield Blend. Sein Weinberg, der er und seine Frau 2012, als er sich selbständig gemacht hat, erwerben konnten, liegt direkt im beschaulichen Healesville, indem wir den Abend verbringen. Dort hat er Pinot Noir und Gamay gepflanzt. Unter anderem steht dort mittlerweile der Abel Klon aus Neuseeland, den ich hier schon mal erwähnt habe. Hinzu kommen Mencia und Nebbiolo.
Diese Suche nach den richtigen Rebsorten für das Gebiet wurde im Laufe der zwei Tage, die wir dort verbracht haben, immer offensichtlicher. Bei Damian North gab es ja fast nebenbei auch einen Fiano, und bei Adrian Santolin von Santolin Wines dann noch ein paar weitere italienische Rebsorten. Das ist vielleicht auch kein Wunder, kommt doch auch Adrians Familie ursprünglich aus Italien, genauer aus Castelfranco in Venetien. In Yarra leben und arbeiten er und seine Frau seit 2007, Das eigene Weingut nahm 2012 Gestalt an. Er selbst hat schon auf der Farm seiner Großeltern geholfen, dann ein Weinbaustudium absolviert und in Yarra bei Wedgetail Estate, Rochford, De Bortoli, Sticks und Rob Dolan Wines Erfahrung gesammelt. Seine Frau hat im Weinmarketing gearbeitet und das sieht man dem ganzen Auftritt auch an, das ist alles durchdacht, elegant und auffällig. Der Ansatz im Weinkeller ist sehr minimalistisch, alles spontan, keine Zusätze, nur geringe Mengen Schwefel. Mir persönlich waren die Weine dabei gerade im Vergleich mit den anderen beiden Weingütern eine Spur zu glatt und ein wenig zu konzentriert und eher klassisch im australischen Sinne. Da könnte vielleicht noch ein wenig mehr Reibung dran. Trotzdem ist natürlich spannend zu sehen, wie sich beispielsweise eine australische Nero d’Avola-Sangiovese-Cuvée (Cosa Nostra) präsentiert. In diesem Fall aber war es der Pinot-Syrah (Cosa Nostra), den Adrian als Top-Wein präsentiert hat.
Thick as Thives, The Aloof Alpaca Arneis, 2018
Dieser Arneis schmeckt reifer und voller als die meisten Arneis, die ich aus dem Piemont kenne. Dafür aber zeigt er gleichzeitig eine lebendige Säure und einen schön Crunch. Viel Salzzitrone, Grapefruit, etwas kandierter Ingwer und Kernobst sind mit dabei. Zudem eine feine Textur von der verlängerten Maischestandzeit.
Thick as Thives, Yarra Valley Pinot Noir, 2017
Eine starker Pinot mit einer Balance aus Wärme und Kühle. Die Noten von Kirschen und Kirschkernen erinnern fast ein wenig an Nebbiolo, auch die Erde und das Unterholz. Aber die Erde ist warm und krümelig. Neben die Kirschen erinnert der Wein am Blutorangen- und an Grantapfelsaft. Entsprechend lebendig präsentiert er sich auch in der Säure. Das Holz spielt eine Rolle (65 % neue Tonneaux), balanciert aber wunderbar die Frucht.
Journey Wines, Yarra Valley Pinot Noir 2017
Im Vergleich zum Thick as Thieves fällt der Journey Wines nicht ab. Das ist Augenhöhe. Sehr präzise und klar, frisch, saftig und doch mit dem Touch Reife und Fülle, die den Charakter eines Yarra Valley Pinots bilden. Das macht diese Weine schon recht früh zugänglich. Trotzdem haben sie gutes Potential, würde ich sagen.
Journey Wines, Heathcote Fiano 2019
Noch mal italienisch weiß, diesmal Fiano, die Sorte aus dem Süden. Auch hier zeigt sich eine reife helle, saftig weiße Frucht aus Kern- und Steinobst mit weißen Blüten und ein bisschen Jasmin und Ginster. Saftig am Gaumen, mit der typisch feinen Säure des Fiano, die zunächst nicht auffällt, aber lange bleibt und dann doch den Wein prägt. Ein Schuss Holz sorgt hier für leicht rauchige Noten.
Santolin, Cosa Nostra »Il Capo« 2017
Hier ist er, der Blend aus 50 % Pinot und 50 % Syrah Ganztrauben, der für 14 Monate im gebrauchten Holz lag. Das Holz ist alt, das Ferment spontan vergoren. Mit 13 % Alkohol ist das vergleichsweise schlang, durch die Ganztraubenvergärung erdig und bissig mit viel wilder dunkler Frucht von Kirschen, Heckenkirschen, Brombeeren und Preiselbeeren. Das Tannin ist schon recht seidig und rund. ebenso die Säure.
Darüber hinaus will ich ein paar Weinmacher erwähnen, die ich nicht getroffen habe, deren Weine ich aber sehr schätze: Timo Mayer, dessen Weine es bei K&U Weinhalle gibt; Garry Mills mit seinem Weingut Jamsheed dessen Weine es leider bisher nicht in Deutschland gibt; William Downie, früher mehr Yarra, jetzt Gippsland, bei Wein am Limit zu erwerben.
Fazit
Das Yarra Valley war ein fantastischer Einstieg in die australische Weinwelt. Was hier ganz ähnlich fasziniert wie vor einigen Jahren in Neuseeland ist das völlig Fehlen von Standesdünkel und die Bereitschaft, über Grenzen hinweg zusammenzuarbeiten. Grenzen, wie groß und klein, mit Konzern und Geldgebern im Hintergrund oder mit einfachsten Mitteln, oder stilistisch zwischen Klassik und Avantgarde.
Die Winzer im Yarra Valley sind auf der Suche. Da ist noch nichts festgefahren. Man hat in den 1970er Jahren im Wesentlichen mit den klassischen französischen Sorten begonnen, doch schon damals gab es welche, die auch anderes im Blick hatten. Gerade Yarra Yerings Gründer Dr. Bailey Carrodus pflanzte schon Touriga Naçional, Tinta Cão, Tinta Roriz, Tinta Amarela und Alvarelhão. Heute nutzt die Winzerin Sarah Crowe die Rebsorten zwar einerseits weiter für den Carodus initiierten Vintage Fortified »Portsorts«, andererseits aber auch für den »Dry Red No.3«. Hinzu kommt eine Mischung aus Touriga und Shiraz. Das ist eine der Antworten auf den Klimawandel, der sich im Yarra Valley natürlich genauso vollzieht wie in allen anderen Landesteilen. Die Veränderung durch den Klimawandel sind vor allem im Lower Yarra zu spüren. Chardonnay und Pinot Noir wandern dort ab und werden eben durch solch portugiesische, spanische oder italienische Mittelmeersorten ersetzt und auch durch Gamay, wie bei De Bortoli. Neben Mencia findet man dann Tempranillo, neben Nero d’Avola steht Sangiovese, Syrah und die Bordeaux-Rebsorten, Grenache, Mourvèdre und Cinsault, Marsanne, Rousanne und Clairette. Grenache sieht man bei Payten & Jones und bei Timo Mayer. Mayer vinifiziert auch längst Nebbiolo und wie ich ja schon erwähnt habe, ist er damit nicht alleine. Chardonnay und Pinot Noir wandern also immer höher ins Upper Yarra
Eine der am höchsten bepflanzte Lage des Yarra ist der Wombat Creek Vineyard in Gladysdale mit 440 Metern. Eigentlich wurde er für die Sekterzeugung bepflanzt und entsprechend finden sich dort auch solche Klone. Aber Giant Steps beispielsweise erzeugt dort schon einen eigenständigen Pinot Noir. Das wird sicher die Zukunft dort sein. Höher, solange es geht, Südexposition (da wir uns auf der Südhalbkugel befinden also eher die kühlere Seite) und ein zunehmend anderes Weinbergmanagement. Was ich weitgehend vermisst habe, sind Öko-Zertifizierungen. Das mag in einer Region, in der so viel an Trauben zugekauft wird auch schwierig sein, aber wünschenswert wäre eine stärkere Fokussierung darauf.
Was mir letztlich sehr gut gefallen hat, waren Pinot Noirs, die ein bisschen Widerstand bieten und ein wenig mehr Tannin, als man das üblicherweise in den Australien-Pinots spürt. Nebbiolo ist sicher eine absolute Diva im Yarra, scheint mir aber ein gutes Potential zu besitzen. Die Chardonnays haben mir gut gefallen, konnten aber mit denen aus dem später besuchten Margaret River nur in Ausnahmefällen wirklich mithalten. Shiraz und Cabernet, die großen beiden alten Sorten Australiens haben, wenn recht kühl im wärmeren Lower Valley gepflanzt, Biss und Struktur.
Was man in Deutschland ja noch sehr selten trifft, sind australische die wirklich mit minimalistischem Ansatz erzeugt werden. Das kann nur eine große Zukunft in diesem Land haben, wo Weine viel zu lange ganz offensichtlich »gemacht« wurden. Um das zu ändern, bedarf es einem anderen Blick auf den Boden, der in Australien ja ähnlich lange ein Stiefkind war, wie beispielsweise in der Champagne. Fragt man den langjährigen Chiefwinemaker von Penfolds, Peter Gago, (hier habe ich mich mal länger mit ihm unterhalten) dann sieht er sein Handwerk auch eher wie das der Chefs des Cavesder Grandes Marques in der Champagne, die die Frucht aus unterschiedlichsten Landesteilen zusammensetzen in einer groß angelegten Assemblage. Dagegen steht die neue Winzergeneration, die sich in Yarra immer mehr Sub-Appellationen beschäftigt und das Spezifische von Orten und Lagen immer deutlicher herausarbeitet.
Darüber hinaus ist das Yarra Valley eine fantastisch entspannte, grüne, hügelige und mit kleinen Ortschaften durchsetzte Region, in der man eine wunderbare Zeit verbringen kann.
- Bundesstaat: Victoria
- 1 Stunde östlich von Melbourne
- Hektar: 2.536 ha
- Anbauhöhe: 17–1.338 m
- Durchschnittlicher Regen: 1.160 mm (200 mm zwischen Oktober und April)
- Durchschnittstemperatur: 18.9 °C
- Wichtigste Rebsorten: Pinot Noir (36 %), Chardonnay (33 %), Shiraz (8 %), Cabernet Sauvignon (6 %), Pinot Gris (5 %)
- Wichtigste Bodenformationen: Norden: grauer bis graubrauner Ton, rotbrauner Lehm mit Gestein, Süden: junge, tiefe, fruchtbare rote Vulkanerde
Die Vertretung der Winzer im Yarra Valley bietet hier viele Informationen und auch Kartenmaterial.
Desclaimer: Die Reise wurde organisiert und finanziert von Wine Australia. Dort gibt es englischsprachig diverse zusätzliche Informationen.
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