Bevor Ende August die Vorpremiere der Großen Gewächse des VDP in Wiesbaden ihren Lauf nahm, war ich zu Gast bei Johannes Hasselbach im Weingut Gunderloch. Das Weingut gehört zu den großen klassischen Betrieben am Roten Hang und befindet sich in Nackenheim. Die Paradelage des Weinguts ist der Rothenberg, dessen Name – wie der des gesamten Hangs – auf die roten Böden verweist, die hier typisch sind. Dieser rote Boden wird meist als Tonschiefer bezeichnet, was irreführend ist, da es sich nicht um Schiefer handelt. Vielmehr sind es vor allem Ton-, Schluff- und Sandsteine, die in der Zeit des Rotliegend entstanden sind. Sie erinnern an Schiefer, weil der Roteisenstein in Platten gepresst wurde. Der Rothenberg hat dabei ein massiveres Gestein als beispielsweise der Pettenthal, bei dem man die Platten mit der Hand zerschlagen oder zerkrümeln kann. Beim Hipping ist der Tonschiefer noch weicher, dafür gibt es mehr Kalk im Boden. Das ist beim Rothenberg eigentlich nicht möglich.
Der Nackenheimer Rothenberg umfasst rund 16 Hektar, die sich zu großen Teilen im Besitz des Weinguts Gunderloch befinden. Bevor dort die Flurbereinigung in den 1970ern stattgefunden hat, waren es eigentlich zwei Lagen: Rothenberg und Fenchelberg. Den Fenchelberg gibt es mittlerweile ebenfalls wieder im Weingut Gunderloch, ist aber als Versteigerungswein sehr rar. Das Große Gewächs aus dem Rothenberg stammt aus den besten Parzellen des Weinbergs, der vom Rhein von 10 % Hangneigung am flacheren Hangfuß bis 80 % Hangneigung in den steilsten Teilen tendiert. Das Problem der Böden des roten Hanges ist es, dass diese ehemalige versteinerte Wüste wieder zur Wüstenbildung tendiert und wenig Wasser aufnehmen kann. Das Ziel der Winzer ist es daher, vor allem in Zeiten des Klimawandels mit Trockenheit auf der einen Seite und Starkregen auf der anderen, das Wasser zu gut wie möglich im Hang zu behalten. Nicht zuletzt deshalb stehen Gräser und Kräuter in den Rebzeilen. Nicht zuletzt deshalb hat Johannes den Betrieb kurz nach seiner Rückkehr 2012 auf ökologische Bewirtschaftung umgestellt, um das Bodenleben im Weinberg deutlich zu stärken. Hinzu kommen Maßnahmen, um die Biodiversität im gesamten Weinberg zu verbessern und er hat damit begonnen, Teile des Hanges wieder in Terrassenform anzulegen, so wie es vor der Flurbereinigung üblich war. Wurde früher nur ein Klon gepflanzt, ist es heute eine Massenselektion, die genutzt wird, um zu alten Stämme zu ersetzen. Die Unterlagsreben werden heute eher so gewählt, dass sie starkwüchsiger sind, so dass man unabhängiger wird von Bewässerungen. Den Wuchs bekommt man dabei schnell eingebremst, aber die Reben sind kräftiger, um mehr Wasser und Mineralien aus dem Boden ziehen zu können. Gelesen wird meist mit 45 hl/ha.
Die Trauben werden alle im Weinberg selektiert und nicht mehr im Weingut. Sie kommen alle in 500kg-Ernteboxen und werden dann ins Weingut gebracht. Dort werden die Ganztrauben eingemaischt per Walze oder gestampft. Danach bleibt die Maische bis zu drei Tage stehen und kommt dann in die Presse. Der Saft wird dann trüb mit einer Pied de Cuve vergoren. Der Wein kommt dann mit der Vollhefe ins Stückfass. 2013 wurde das erste Stückfass von Hösch angeschafft. Seitdem gibt’s jedes Jahr ein neues. Damit ist der Holzanteil im Laufe der Zeit auf 100 % gestiegen, wobei das Holz erst ab dem zweiten Jahr für den Wein genutzt wird. Teilweise machen die Weine BSA.
Johannes hatte eingeladen, weil vor der Großen Gewächs-Probe eh immer viele JournalistInnen in der Gegend sind, und weil er mal Rückschau halten wollte auf zehn Jahre Rothenberg Große Gewächse, die unter seiner Ägide entstanden sind. Nach dem Genuss eines noch taufrischen 2013er VIRGO Rieslings, den Johannes damals als Experiment komplett in einer Amphore im Rothenberg hat vergären lassen, haben wir uns im Weingut also 11 Jahrgängen gewidmet. Der VIRGO wirkte mit seinen 11 Jahren und 11,5 % Alkohol sehr jung, frisch, animierend und hell mit feinster Frucht und viel Gesteinswürze. Ein ungeschminkter Rothenberg „ohne Netzt und doppelten Boden“. Den VIRGO gibt es immer noch, nur dass es heute der Rothenberg Wurzelecht ist, also ein Rothenberg Großes Gewächs aus der besten Parzelle mit wurzelechten Reben, von der im Jahr etwa 120 Flaschen erzeugt werden. Als Lerneffekt aus diesem Wein verfährt Johannes bei seinen Großen Gewächsen so, dass sie vor der eigentlichen Lese eine Pied de Cuve erstellen, also einen Gäransatz im Weinberg, den sie dann zur eigentlichen Vergärung mit in den Keller nehmen. Beim Rothenberg geht er sogar so weit, dass die Parzellen aus dem unteren, mittleren und oberen Hangstück eigene Gäransätze bekommen, weil sie sich so unterschiedlich entwickeln. Heute wird deutlich trüber vergoren als früher und mit der Pied de Cuve gärt es immer komplett durch, sagt Johannes.
Vom Nackenheimer Rothenberg werden heute in guten Jahren um die 6.000 Flaschen gefüllt, wobei 15 % als Late Release zurückgehalten werden. Früher war die Spätlese aus dem Rothenberg der wichtigste Weine, doch das hat sich geändert. Von der Spätlese gibt es heute noch um die 2.500 Flaschen. Der 2022er Rothenberg ist der erste Jahrgang, der unter DIAM verschlossen und in die Leichtflasche gefüllt wird. Johannes’ Vater hatte so schlechte Erfahrungen gemacht mit Naturkork, dass er sich 1999 dazu entschlossen hatte, nur noch Schraubverschlüsse zu verwenden. Nach mehr als 20 Jahren und vielen Experimenten setzt Johannes nun auf DIAM für die besten Weine. Diese Entscheidung ist gefallen, weil die Schrauber die Weine, die sich eh schon sehr langsam entwickeln, in ihrer Entwicklung noch weiter verzögern und auch nach dem Öffnen noch sehr viel Zeit brauchen, die beispielsweise, so Johannes Hasselbach, gerade in Restaurants nicht immer vorhanden ist. Daher hat er sich für den 10er DIAM entschieden, damit sich der Wein in der Flasche schneller entwickeln kann als unter Schraubverschluss oder unter 30er DIAM, der fast so dicht ist wie ein Schrauben. Die Weine, die wir probiert haben, waren alle am Abend vorher geöffnet worden.
2012er Rothenberg Riesling Großes Gewächs
2012 war der Jahrgang, in dem Johannes zurück ins Weingut gekommen ist und den Wein eher begleitet hat an der Seite seines Vaters. Dieser ist dann erkrankt und so musste Johannes früher Verantwortung übernehmen, als gedacht. Ursprünglich wollte er den Betrieb zusammen mit seiner Schwester Stephanie führen, doch die hat sich dann in einen österreichischen Winzer Alwin Jurtschitsch verliebt und ist von dannen gezogen. All das könnte ihr im Podcast OVP174 nachhören, den ich mit Johannes vor einiger Zeit aufgenommen habe. Damals wurde noch zu 100 % im Edelstahl ausgebaut und es gab keine Maischestandzeit. Es wurde schon spontan vergoren, aber in einem Keller, der viel Reinzuchthefe angereichert hatte und die Weine geprägt hat. Die Lese hat vom Spätsommer bis in den Winter gedauert: „Wir haben in kurzen Hosen begonnen und die letzten Trauben reingeholt, als der erste Schnee fiel.“
Der Wein zeigt sich in einem mittleren Strohgelb und bietet eine gelungene Mischung aus Steinobst, reifem Kernobst, Orangen und Kumquats mit einer floralen, blütenduftigen Kopfnote. Am Gaumen wirkt der Wein würzig, kernig und recht trocken mit einer zestigen Herbe. Textur und Säure präsentieren sich eher weich, der Riesling insgesamt aber ist ein wunderbares Beispiel für einen heute eher klassisch anmutenden trockenen (8 Gramm Restzucker) Riesling vom Roten Hang, bei dem die Trauben viel später gelesen wurde, als es Johannes heute macht. Aber es ist hinreißend, zumal das Würzige des Rothenberg den Wein im Finale wieder sehr gut zusammenschnürt.
2013er Rothenberg Riesling Großes Gewächs
2013 war dann also der Jahrgang, in dem es für ihn so richtig losging, auch erzwungenermaßen, da sein Vater zur Lese und Vergärung ins Krankenhaus musste. Der Wein wurde erstmals im Stückfass von Hoesch ausgebaut und die Trauben bekamen eine Maischestandzeit auf der Presse und kaum Vorklärung. Damit gab es dann auch den ersten Relaunch des Etiketts. 2013 hat nach dem bildschönen 2012er Jahrgang alles auf den Kopf gestellt. Die Trauben wurden kaum reif, zum Herbst wurde es richtig kalt und regnerisch, die Trauben sind lange grün geblieben „und da haben wir dann das erste Mal ‚slow cooking‘ betrieben, also nicht mehr mit heißer Flamme, sondern langsam extrahiert, und erstmals in unserer Geschichte mit Standzeit langsam gepresst“ und alles auf der Vollhefe ausgebaut.
Der Wein erscheint heute goldgelb. Im Duft präsentiert er sich noch leicht rauchig und steinig mit viel Quittensaft, den man auch im Geschmack wiederfindet. Es ist ein kristalliner wirkender Riesling als sein Vorgänger, ist nicht ganz so dicht und man merkt noch ein klein Wenig das Grüne, aber er beeindruckt für die Rahmenbedingungen.
2014er Rothenberg Riesling Großes Gewächs
2014 wurde noch in zwei Kellern gearbeitet, Trauben wurden in Nierstein abgepresst und der Saft dann in Nackenheim per Schwerkraft in den dortigen Keller gebracht. 2014 war dann wieder das Gegenteil mit sehr reifen Trauben und Wetter mit teils tropischem Klima. Die Trauben bekam dann am Stock schon viel Botrytis, was komplett ausgelesen werden musste. Innerhalb von 15 Tagen wurde der gesamte Jahrgang reingeholt und weil keine Zeit war, nachzudenken, wurde alles so gemacht wie 2013. Da gab es dann zum ersten Mal leicht oxydativ und flüchtig. Es mussten ein paar Fässer abgeschrieben werden, „aber für einen so anspruchsvollen Jahrgang ist da dann doch viel drin.“
Der im hellen Goldgelb erscheinende Riesling wirkt in allem noch sehr jung. Er hat am Gaumen sogar noch etwas CO2. Er duftet nach einer Mischung aus Currywürze mit leichten Anklängen von knackigem Steinobst, Kumquats und einer Spur Quitte. Es ist ein frischer, klarer und präziser Vertreter des Jahrgangs.
2015er Rothenberg Riesling Großes Gewächs
2015 war für Johannes der erste Jahrgang, wo er das Gefühl hatte, dass sich die Natur schneller verändert, als man als Winzer Schritt halten kann. Die Weinberge haben unter Trockenheit und Hitze gelitten. Die Trauben war allen gesund und bildschön und man konnte ohne Probleme ernten, aber das Konzept der Pflege der Weinberge musste angepasst werden. Es wurde zum ersten Mal begrünt. Die Reben mussten erst kämpfen, aber dann hat sich das für Johannes ausgezahlt.
Strohgelb ist er, der 2015er, mit Würze von Kräutern und Gestein, die sich mit mürbem Fallobst mischen. Die Quitte ist auch hier wieder vorhanden. Am Gaumen wirkt der Riesling kompakt, saftig und animierend mit viel Spannung. Allerdings wirkt er etwas kurz im Finale.
2016er Rothenberg Riesling Großes Gewächs
2016 war für den Winzer schwierig, weil es ein mengenmäßig sehr kleiner Jahrgang war. Es war nass und das in einem ökologisch bewirtschafteten Steilhang war sehr herausfordernd. Qualitativ war das dann aber sehr gut. Nach dem Jahrgang wurde mehr Weinbergstechnik angeschafft, um nicht nur ökologisch, sondern auch nachhaltig und mitarbeiterschonend zu arbeiten.
Ebenfalls strohgelb, duftet der 2016er ganz anders. Der Wein wirkt fortgeschrittener mit einem Hauch Petrol, weißem Nougat und gelb zitrischen Noten, die sich mit Curry verbinden. Am Gaumen wirkt der Wein reif, mit einigen Marzipan-Noten und etwas trocknendem Gerbstoff, aber auch sehr saftig und lang mit feiner Salzigkeit im Finale.
2017er Rothenberg Riesling Großes Gewächs
In der Farbe etwas güldener, ist das ein Riesling, der intensiv und hell nach Zitronen, Holunderblüten und Cassis duftet. Er wirkt kristallklar, hell, frisch und saftig, druckvoll mit treibender Säure und so schwebend, wie ein trockener Kabinett. Es ist ein Wein, der von innen her zu leuchten scheint, gleichzeitig eine feine Würze präsentiert und viel Zeit hat, um Welle für Welle abzuebben. Einer meiner Favoriten.
2018er Rothenberg Riesling Großes Gewächs
In 2018 haben die Weinberge vollgehangen, es hat nicht geregt, aber Johannes hatte immer ein komisches Gefühl bei dem Jahrgang. Mit dem Wein selbst ist er sehr zufrieden, doch haben die Weinberge unter dem Jahrgang deutlich gelitten.
Der 2018er zeigt ebenfalls Cassis im Duft, wirkt aber deutlich steiniger als der 2017er mit Noten von Grafit und Kräutern. Am Gaumen wirkt er deutlich trocken und intensiv steinig, dafür aber etwas mager. Im fehlt eine gewisse Dichte, bzw. wirkt der Wein gerade eher scheu und zurückgenommen.
2019er Rothenberg Riesling Großes Gewächs
Der Jahrgang wirkt wiederum duftig mit einer Mischung aus Blüten und Beeren. Am Gaumen wird es dann gelbfruchtig und saftig, gleichzeitig bleibt der Wein aber kristallin und präzise. Die Frucht mischt sich mit Kräuter- und Gesteinswürze, die ergänzt wird durch herbe Zesten. Das wirkt druckvoll, pur und tief mit viel Potential. Das war der erste (vergleichsweise kühle) Jahrgang, in dem das GG mit 11,5 % gefüllt wurde. Auch ein Favorit.
2020er Rothenberg Riesling Großes Gewächs
In diesem Jahr ist Heiner Maleton mit ins Team gekommen. Dieser Jahrgang wirkt in der Nase ganz anders als 2019, viel voller und reifer. Man hat hier fast das Gefühl, eine Spätlese im Glas zu haben, wofür auch die volle Farbe spricht. Ich denke an reife gelbe Früchte mit Nougat. Und auch die reife Quitte ist wieder da. Am Gaumen findet sich neben der reifen Frucht eine ordentliche Portion Würze. Der Hang zur Opulenz wirkt durchaus passend, weil stimmig, wenn aktuell auch ein wenig die innere Spannung fehlt.
2021er Rothenberg Riesling Großes Gewächs
Der Jahrgangsverlauf war eher schwierig, aber die Ernte traumhaft. Es wird wieder heller und zitrischer. Es ist ein druckvoller Rothenberg, dessen Noten von weißen Beeren und Cassis in Verbindung mit Gestein und zitrischen Noten durchaus ein wenig an besten Sancerre erinnern. Am Gaumen wirkt der Wein reif und gehaltvoll, dicht, gleichzeitig ätherisch und sehr stimmig. Es ist ein Wein, der in jeder Minute eleganter wirkt. Er spielt sich nicht in den Vordergrund, ist nicht expressiv, sondern es gilt: noblesse oblige. Es ist ein Wein voller Ruhe und mit einer wunderbaren Balance. Der nächste Favorit. Man merkt, dass der Rothenberg tendenziell eher die feuchteren, kühleren Jahrgänge mag.
2022er Rothenberg Riesling Großes Gewächs
In 2022 war der Jahrgangsverlauf genau umgekehrt. Es war es perfekt, wenn auch trocken, dann gab mit dem Beginn des Spätsommers erst Hagel und dann immer wieder Regen. Es wurde erst nach Weihnachten wurde nach der Gärung klar, dass es doch ein guter Jahrgang werden würde, weil Johannes lange der Geschmack in der Traube, also die Aromenreife gefehlt hat. Der Ertrag war insgesamt so gering, dass es erstens keinen Fenchelberg gibt und man zweitens mehr Parzellen zusammenlegen musste, um die Fässer voll zu kriegen.
Der Riesling wirkt würzig und tabakig, zestig und frisch mit Noten von gelbem Curry, Lemoncurd, etwas Apfel und Quitte und den schon so oft erwähnten weißen und dunklen Beeren. Am Gaumen präsentiert sich das Große Gewächs wiederum elegant, saftig und gehaltvoll mit feinem Druck und großer Länge. Dabei wird der Wein mit Luft immer steiniger, tonischer mit feinem Extrakt und entsprechender Textur sowie einer lebendigen, angenehm druckvollen Säure. Der aktuelle Jahrgang dürfte sich ebenfalls in die Reihe der besten Jahrgänge einreihen.
Solche Vertikalen erzählen schon sehr viel über Weine und Weinmacher, die sich ja tendenziell immer mehr als Weinbegleiter sehen. Aber der Stil des Weines, der Charakter wird eben nicht nur vom Weinberg und dem Jahrgangsverlauf geprägt. Das hat sich hier wieder deutlich gezeigt. Trotzdem zieht sich ein klarer (Achtung: Wortwitz!) roter Faden durch den Riesling, der nie laut ist, nie wirklich expressiv, sondern eher auf den zweiten Moment eindringlich wird, fein und oft nobel wirkt. Es ist auf jeden Fall ein Riesling für Weintrinker, die ganz bewusst auf die Nuancen eingehen wollen, statt auf Plakatives setzen.