2011er Große Gewächse Mosel, Nahe, Rheinhessen und Pfalz – ein kleines Probenfazit

Vorgestern war ich den Nachmittag über beim Verband der Deutschen Prädikatsweingüter, bzw. beim VDP – Verband der Prädikatsweingüter (VDP). Er hatte mir die Chance gegeben, die Großen Gewächse von Mosel, Nahe, Rheinhessen und Pfalz zu probieren. Die eigentliche Probe findet immer im Herbst statt, wenn die Großen Gewächse (GG) gerade abgefüllt sind, aber da konnte ich nicht und dann hat der VDP gesagt, ok, dann laden wir halt noch mal im Januar ein, und ob es im Louis C. Jacob denn recht wäre? Und ich dachte, ja gut, wenn es denn nicht normaler geht und ich nicht immer Angst haben muss, dem Geist von Hendrik Thoma in diesen Heiligen Hallen zu begegnen. Und wenn Sie die Krönung ihres Schaffens im Sterneambiente präsentieren mögen, dann sollen sie es halt tun.

Großes Gewächse sind das Ergebnis einer Idee. Die Idee geht etwa so, dass man mal allen zeigen wollte, dass Deutschland nicht nur süß kann und da Spitze ist, sondern dass es auch trocken geht. Vor allem mit Riesling, seltener mit Bacchus. Vielleicht aber ginge es auch mit Bacchus, denn es gibt natürlich Winzer, die weniger Wert auf die Rebsorte legen denn aufs Trottoir Terroir. Das Terroir bestimmt die Güte des Weins. Natürlich funktioniert Terroir nicht wirklich mit Bacchus. Es sollte schon eine edlere Rebsorte sein. Sonst würde das auch nicht mit dem Louis C. Jacob funktionieren, denn das Louis C. Jacob duldet keinen Bacchus.

Die Großen Gewächse sollen in Deutschland die Spitze einer Qualitätspyramide darstellen, in der es die Basis der Gutsweine gibt, dann die höhere Qualität der Ortsweine und dann die Lagenweine, deren Spitze das Große Gewächs darstellt. Das ist ein bisschen so wie im Burgund. Da gibt es den Burgunder und die Ortslagen und die Premier Cru und die Grand Cru. Ehrlich gesagt, in den unteren Kategorien ist man normalerweise viel besser als im Burgund. Nur oben, da muss man das noch beweisen. Genau deshalb gibt es die Großen Gewächse. Kurz gesagt. Andere können das viel besser erklären, aber fürs Erste reicht es.

Vorgestern also Mosel, Nahe, Rheinhessen und Pfalz und damit die wichtigsten Gebiete für die Großen Riesling Gewächse. Der Rheingau fehlt, aber da heißen die sowieso Erste Gewächse und darüber hinaus gibt es ja böse Zungen die sagen, “kennse einen kennse alle”. Also, ich habe das jetzt nicht gesagt, ich habe ja auch nicht so einen Slang und bevor ich das beurteile, probiere ich erst einmal nächsten Montag, denn dann geht es weiter mit dem VDP und den Großen Gewächsen, dann gibt es auch noch Baden und Franken und die Ahr mit dazu und es wird deutlich mehr Rotwein geben.

Nun also einen ernsthaften Überblick über meine persönlichen Entdeckungen bzw. Bestätigungen. Eine Große Gewächsprobe ist seltener ein Ort, wo man wirklich überrascht wird sondern eher einer, wo man seine vorgefasst Meinung bestätigt oder ein wenig redigiert. Überhaupt ist so eine GG-Probe meist eine intellektuelle Herausforderung. Das sind keine Spaßweine, die dort eingeschenkt werden sondern im besten Fall hochkomplexe Gewächse, die dort von 50 Weingütern angeboten werden. Häufig haben die Weingüter auch noch mehrere Große Gewächse im Angebot, so dass man in einer begrenzten Zeit gerne auf 150 Weine kommt.

Mosel
Die Mosel gehört nicht zu den Gebieten, in denen der Riesling allzu gerne besonders trocken ausgebaut wird, die Schieferlagen unterschiedlicher Couleur mögen den Restzucker und der Restzucker mag den Schiefer. Trotzdem ist dort trockener Riesling möglich und einer, der das am besten hinkriegt, ist Clemens Busch.

Mosel – Kollektion
Die Kollektion des Tages war für mich die von Clemens Busch. Die drei Marienburger Weine aus Rothenpfad, Fahrlay und Falkenlay hauen einem die unterschiedlichen Schieferformationen nur so um die Ohren. Mit den feinen Vertretern eines Haart, Haag oder Prüm haben diese Weine ziemlich wenig zu tun. Extrakt und Mineralität dominieren hier. Und je nach Schiefer wirkt die Frucht und Kräutrigkeit immer wieder anders. Alle Weine sind straff, cremig und kraftvoll.

Mosel – Einzelweine
Faszinierend fand ich die Erdener Weine von Dr. Loosen, Treppchen und Prälat, die jeweils in Halbliter-Flaschen ausgeschenkt werden. Viel Schieferwürze findet sich hier, dabei sind die Weine weich und dicht. Bei von Othergraven gefiel mir der Kanzemer Altenberg, bei S.A. Prüm vor allem der Domprost „Prevot“ und die Sonnenuhr „Devon“ und da speziell die aus 2010.

Nahe
Was an der Nahe passiert, ist begeisternd. Nicht nur bei jenen, die dort vorgestern standen. Gerade auch bei vielen Winzern, die dem VDP gar nicht angehören. Der VDP ist ja der kleine Verein der Weinelite, der Scull & Bones Club der deutschen Winzerszene, gewissermaßen. Und wenn dort sieben oder acht Winzer stehen, dann stehen da natürlich Dutzende nicht. Von diesen sieben oder acht gehören aber mindestens vier zu den besten Winzern Deutschlands.

Nahe – Kollektion
Die Kollektion des Tages fand ich bei Diel. Auch wenn der Ausschenker eigentlich gar keine Zeit für mich hatte, weil er mit seinen Kumpels beschäftigt war, muss ich gestehen: Alle vier angestellten Weine waren zum Niederknien (was ich mir verkniffen habe), speziell der Schlossberg in seiner grapefruitlastigen, etwas exotischen Aromatik und der Burgberg in seiner herbwürzigen, kräutrigen Dichte. Ein Wein kurz vor Erreichen der Buddha-Natur.

Nahe – Einzelweine
Dann Dönnhoff, gut wie immer bei den Großen Gewächsen, Felsentürmchen, Dellchen, Hermannshöhle, die Expressivität und Eleganz schraubt sich Wein für Wein hoch. Bei der Hermannshöhle ist dies alles fein gewoben, lang, charmant, einer der besten Weine, die ich gestern getrunken habe. Auf ähnlichem Niveau bewegt sich das Frühlingsplätzchen von Emrich-Schönleber. Eine Espresso-Nase überrumpelt mich, dann kommen Kräuter, ein Hauch Vanille, Stein und alles cremig und rund, dabei fein und tänzelnd. Bei Schäfer-Fröhlich gab es „nur noch“ Felsenberg und Felseneck. Was für ein Unterschied zu Dönnhoff und Schönleber. Der Felsenberg wirkt so, als habe er die Kraft, sein eigenes Porphyr-Gestein sprengen zu können (und zu wollen). Ein elektrisierender, fordernder Wein voll gelber und exotischer Früchte, allerdings auch mit einem kleinen Böckser.

Rheinhessen
Der ehemalige Massenweinproduzent brilliert schon seit Jahren beim VDP. Rheinhessen ist für mich das quirligste Gebiet in Deutschland. So unfassbar konservativ es wirkt, wenn man durch die Dörfer fährt, in denen selten mal der Bürgerstein heruntergeklappt zu sein scheint, so fortschrittlich sind die Winzer. Auch hier gilt, dass die, die beim VDP stehen nur die minimale Spitze eines Eisbergs bilden, dessen Sockel an hervorragenden Weinen sehr breit geworden ist.

Rheinhessen – Kollektion
Wer die bemerkenswerteste Kollektion mitgebracht hat, ist für mich leicht zu beantworten. H.O. Spanier hatte Pettenthal und Ölberg (beide Kühling-Gillot) auf dem Tisch stehen, dazu Battenfeld-Spaniers Kirchenstück, Frauenberg und Zellerweg am schwarzen Herrgott. Die Rieslinge werden im Prinzip alle gleich ausgebaut, trotzdem sind Pettenthal und Ölberg so grundverschieden zu den anderen drei Weinen. Das hier sind fünf pure Terroir-Weine. Fünf große Weine. Wobei Pettenthal und Zellertal mich sprachlos zurücklassen, der erste wegen seines warmen, fruchtbetonten Farbenspiels, der andere wegen seiner kühlen, mineralisch-extraktreichen Noten.

Rheinhessen – Einzelweine
Mich hatte es nicht gewundert, aber Daniel Wagners Höllberg und Heerkretz sind wieder ganz vorne mit dabei, der erste offen, unkompliziert schön saftig und rund, letzterer dichter, massiver, verschlossener, aber trotzdem voll, dicht, harmonisch mit viel Grip – auch hier bestimmt der Porphyr die Aromatik.

Wo wäre Rheinhessen ohne Keller und Wittmann? Die beiden haben für das Renomée Rheinhessens unglaublich viel getan und Kellers Kirchspiel und Wittmanns Morstein, vor allem der Morstein, sind Solitäre, Jahre für Jahr, immer wieder faszinierend, auch wenn sie mich kälter lassen als Spaniers und Wagners Weine. Sie sind so hochintellektuell, dass ich sie gerne noch mal mit Ruhe und Zeit verkosten möchte  – in ein paar Jahren. Und, das will ich noch sagen, wenn es um Aulerde oder Kirchspiel geht, dann sollte mehr über das Weingut Groebe geredet werden, denn auch hier gab es die Lagen Aulerde und Kirchspiel und die standen den Wittmannschen Weinen eigentlich nicht nach.

Pfalz
Das Land, in dem die Mittelhaardt die Vorraussetzung für große Weine liefert, passt für mich am besten zur Idee der Großen Gewächse. Allein die Namen der Traditionslagen wie Ungeheuer, Mandelpfad, Reiterpfad oder Hohenmorgen haben etwas Aristokratisches und erinnern mich viel eher an die großen Burgunder-Namen als Dellchen oder Frühlingsplätzchen. Hier kommen neben Riesling auch Weiß- und Spätburgunder ins Spiel.

Pfalz – Kollektion
Leider konnte ich der Pfalz nicht so viel aufmerksam widmen wie den anderen Gebieten, dafür war mal wieder zu wenig Zeit. 50 Weingüter in vier Stunden, und allen gerecht werden, das ist nicht einfach. Trotzdem gab es für mich einen klaren Favoriten, was die Klasse der Gesamtbreite der Kollektion anging. Christmanns Reiterpfad, Langenmorgen, Mandelpfad und Idig sind sooo gut. So unterschiedlich und doch so stimmig in ihrer Gesamtheit. Der eine kräutrig, fast tabakig, der andere mit leichtem Parfum, duftig, leicht, der nächste würzig und mineralisch, der Idig schwebt wie immer ein wenig über den anderen, dabei traut man ihm das Schweben gar nicht zu, so fest gewirkt und dicht, so konzentriert und erdverbunden wirkt er.

Pfalz – Einzelweine
Die Weine von Knipser haben mir wieder ausnehmend gut gefallen, besonders die Weine aus dem Mandelpfad – Riesling und Pinot Noir. Dr. Bürklin-Wolf hatte aus 2011 lediglich den Gaisböhl dabei, aber ich trinke da eh lieber die reiferen Weine (die sie ebenfalls mitgebracht hatten), wie den saftigen 2008er Gaisböhl oder einen brillanten 2007er Hohenmorgen. Beckers Spätburgunder St. Paul würde ich mir gerne in den Keller legen, Siegrists 2008er Sonnenberg Pinot Noir genauso wie den 2007er Sonnenschein Spätburgunder von Rebholz, auch wenn dessen Holz immer noch recht weit vorne steht. Auch Rebholz’ Riesling Im Sonnenschein gehörte bei der Pfalz mit zu meinen Favoriten.  Von Winning hatte ich mir für die letzten Gläser aufgespart, doch bekam ich lediglich die letzte Pfütze aus Kalkofen und Kirchenstück. Das muss ich noch mal in Ruhe auf ein Neues probieren.

Fazit
Auch wenn manch ein Wein jahrgangsbedingt mit einem Zuviel an Alkohol und einem Zuwenig an Säure zu kämpfen hatte, präsentiert sich 2011 als sehr gelungenes, ziemlich homogenes Jahr für die S-Klasse der trockenen deutschen Weine. Sind mir in den vergangenen Jahren noch Weine begegnet, denen ich das GG-Qualitätssiegel nicht zugesprochen hätte, habe ich solche Weine vorgestern kaum erlebt – begeisternde Weine dagegen eine ganze Menge. Das Große Gewächs ist ausdrücklich kein Wein für den schnellen Konsum. Er ist ein Wein für die Sterneküche, ein Wein für eine intellektuelle Auseinandersetzung mit dem Produkt, einer, der dafür prädestiniert ist, in Weinrunden unter Weinfreunden auseinandergenommen, begutachtet und wieder zusammengesetzt zu werden. Er ist schließlich ein Wein, der Zeit braucht, so wie er schon im Keller auf der Hefe mehr Zeit bekommt als die anderen Weine des Hauses. Im besten Fall, zum Beispiel beim Pettenthal von Kühling-Gillot oder beim Heerkretz von Wagner-Stempel oder beim Frühlingsplätzchen von Emrich-Schönleber vereinigt das Große Gewächs pure Trinkfreude mit großer Komplexität und Tiefe. In einem anderen besten Fall, Wittmanns Morstein oder Battenfeld-Spaniers Kirchenstück überrascht der Wein mit einem Ausdruck so puren Terroirs, das einem schon mal die Spucke wegbleiben kann. Schlussendlich glaube ich, dass die Idee des Großen Gewächses auf einem guten Weg ist. Und auch wenn die Preise langsam und stetig weiter anziehen, hat man hier fast immer viel mehr im Glas, als ich es im Burgund auf diesem preislichen Niveau finden kann.

Na, und irgendwie war es dann auch egal, dass es im Louis C. Jacob stattgefunden hat, denn die haben nicht mal das Bistro früher geöffnet, so dass wir nicht mal unseren Heißhunger stillen konnten, auch nicht der Thoma, aber da war eh nicht da.

5 Kommentare

  1. Siegfried Lenz

    in den letzten Jahren konnten wir des öfteren solche Veranstaltungen gemeinsam besuchen und haben uns unmittelbar austauschen können, und wie das immer so ist bei einem (zu) großen Angebot und der knappen Zeit die man hat, um wenigstens das für einen persönlich interessanteste zu probieren, funktionierte dies meist im Steno-Format. Umso schöner Deine Notizen nun lesen zu können und mit meinen Eindrücken zu vergleichen.
    Angekommen im Hotel Ernst zu Köln habe ich mich erst auf die Moselaner gestürzt. Busch habe ich ausgelassen und nur wenige Weine dieses Gebietes probiert. Von Loosen hat auch mir das Erdener Treppchen gut gefallen, den Würzgarten allerdings würde ich allen anderen vorziehen.Ich muß sagen das ich alle anderen probierten Moselweine im Vergleich zu den Weinen der anderen Weinbaugebiete als relativ schwach empfand: Othegraven, Haag,Haart,Karthäuserhof.
    Nahe: Einer meiner Treppchenweine, Schönlebers Halenberg:überwältigend, Frühlingsplätzchen: wird für mich immer besser weil zunehmend mineralischer(dieser Analyse meinerseits stimmte Hr. Schönleber entschieden zu)Dönnhoff: gewohnte Größe, für mich etwas schwächer als 2010, Schäfer-Fröhlich: unverwechselbare Spontitöne, Felsenberg: gut, Felseneck:größer,
    Diel, aufgrund der Expressivität der Winzerischen Lichtgestalt ausgelassen.
    Rheinhessen: schön das sich Kühling-Gillot und Spanier ihre Typizität (noch) bewahrt haben. Öhlberg: Öhlig mineralisch, Pettenthal deutlich besser, Spaniers “am schwarzen Herrgott” wird was, Frauenberg der schönste, weil eleganteste Wein. Wagner Stempel: super Stoff, Heerkretz leicht besser. Keller: gab nur noch Hipping weil alle Etikettentrinker die anderen Pullen sofort weggesogen hatten, aber den fand ich ganz großartig. Wiedereinmal ganz oben auf meinem Treppchen: Wittmanns Morstein, hier stimmt einfach alles, Kirchspiel dagegen unauffällig.
    Pfalz: Bürklin-Wolf: auch hier nur den Gaisböhl 11, sonst- beim altern zugucken, interessant, aber meiner Meinung nach fehl am Platz, haben wahrscheinlich noch Millionen von Flaschen älterer Jahrgänge im Keller, die sie noch losschlagen wollen.
    Platz Drei auf meinem Treppchen teilen sich Rebholz Kastanienbusch, den ich in dieser Phase den anderen Weinen des Gutes deutlich überlegen fand, die aber auch sehr, sehr gut sind, mit von Winnings Kirchenstück, den ich gar besser fand als deren Pechstein. Christmann: keine besondere Botschaft an mich. Kuhn: tolle Kollektion, alle stimmig, Kranz: geiler Weißburgunder. Mosbacher/Bassermann-Jordan: och nöh, von Buhl/Acham Magin:hmm.
    Auch wenn die Einzelweine bei mir nicht aufs Treppchen kamen, war für mich Dr. Wehrheim die größte Überraschung. Riesling Kastanienbusch und aus selber Lage der “Köppel” sind große Weine. Der Weißburgunder überragend. An diesem Tag mein Lieblingsweingut.

  2. Christoph

    Lieber Siggi, ich habe den Austausch mit Dir ebenfalls vermisst. Vielen Dank für deine Eindrücke.

  3. …der einzige deutsche Weinblogger, den ich um seine Sprachmacht beneide. Allein für den zweiten Absstz möchte ich Dich küssen.

  4. Christoph

    Das aus der Feder eines Menschen, der selbst so ein angenehmes Sprachgefühl hat, macht ein solches Kompliment noch schöner. Danke, Felix.

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