Jeden Tag ein Buch – The Ethicurean Cookbook

Endlich ist der Sommer eingekehrt und mein tief empfundenes Fernweh klingt gerade ein wenig ab. Jetzt ist es auch hier in Hamburg, an der Elbe und im Umland schön. Die letzten Wochen, nein Monate dagegen waren eine echte Prüfung. Viele Orte kamen mir dann in den Sinn, wenn ich raus in den Regen schaute, wo ich lieber hätte sein wollen. Diese Orte bieten der regnerisch-depressiven Seele natürlich immer etwas, was gerade nicht da ist und sie haben immer mit Genuss zu tun – Genuss fürs Auge, speziell aber für Nase und Gaumen. Einer dieser Orte oder besser gesagt, eine dieser Landschaften, in die ich mich immer wieder wünsche, ist das ländliche England. Ich mag die Idee der Landschaft, die die Engländer haben, die Architektur, die Gärten, die Küche und den Umgang mit Gästen.

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Wo ich gerade Küche schreibe, merke ich, wie ich mich insgeheim immer wieder selbst dabei ertappe, dass ich den Engländern insgeheim unterstelle, dass sie eigentlich keine Kochtradition haben und alles irgendwie fad schmecken muss. In der Tat war das auch mein Eindruck, als ich Ende der Achtziger zum ersten Mal für eine Woche auf der Insel war. Seitdem allerdings weiß ich es besser und konnte das auch – leider viel zu selten – im Selbststudium erfahren. Neben meinen unregelmäßigen Besuchen in London und dem Süden Englands, sind es englische Blogs zum thema, die mich informiert halten und so stolperte ich bei Rocket & Squash vor einigen Wochen über den Bericht eines Aufenthalts im The Epicurean in North Somerset. The Epicurean liegt in einem großen umfriedeten Garten, von dem aus man einen herrlichen Blick in die Landschaft hat. Hier werden auf biologische Art und Weise Lebensmittel angebaut, verarbeitet, verkauft und in einem eigenen Restaurant dargereicht. Die vier jungen Leute, die all das betreiben, verfolgen dabei eine klare idealistische Idee von ethischem Handeln, und von nachhaltiger Produktionsweise. All das, was schnell und gnadenlos naiv und hipsteresk wirken kann, scheint hier jedoch ganz stimmig in das Landleben eingebunden zu sein. Wenn man den Blogbericht verfolgt, tummeln sich im Barley Wood Walled Garden Menschen aus der Gegend, jung wie alt, aus dem Dorf und aus der Stadt, feiern Geburtstage oder Verrentungen. Sie kaufen dort Pflanzen genauso wie Gemüse, nehmen an Kursen teil, die hiesige Künstler und Töpfer etc. innerhalb des Gartens in gemieteten Studios anbieten und kehren ein um mit einfachen oder gehobenen Speisen beglückt zu werden, deren Zutaten jedoch so weit wie möglich aus der Gegend stammen.

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Warum erzähle ich das alles hier? Ich erzähle das, weil die vier Betreiber des The Ethicurean vor einiger Zeit ein Kochbuch veröffentlicht haben. Und das ist das Buch, was ich im Rahmen von Jeden Tag ein Buch – die Blogger-Themenwoche vom 8.-14. Juli vorstellen möchte. Es ist das erste Mal, dass ich hier ein Kochbuch vorstelle. Es liegt jedoch für mich gerade auf der Hand, da ich mich in letzter Zeit wieder mehr dem Kochen widme und Lust habe, mich mit Zutaten und Experimenten auseinanderzusetzen. Das Ethicurean Cookbook ist ein Buch, das ich tatsächlich gerade lese, denn es werden nicht einfach nur banal Rezepte abgedruckt, vielmehr wird jedes Rezept mit einem Text eingeleitet, der die Gedanken und Geschichten zum Hintergrund der Gerichte abbildet. Zudem ist das Buch in Jahreszeiten aufgeteilt und beschäftigt sich je nach Saison mit den Zutaten, die dann reif sind und verwendet werden können. Nebenbei präsentiert es am Rande auch die Zulieferer der Zutaten. So wird Alan vorgestellt, der Jäger, der im Umland des Walled Garden das Wild schießt, dass im Restaurant auf den Tisch kommt. Die nahgelegene Brauerei mit den speziellen Craft Beers wird ebenso erwähnt, wie regionstypische Käsesorten und ihre Erzeuger.

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Was mich immer wieder begeistert und die Küche auch so besonders macht ist zum einen der Umgang mit Kräutern und Gewürzen – England war See-, Handels- und Kolonialmacht und hat natürlich eine lange Gewürztradition. Außerdem ist es die Tradition des Bitters, die hier nicht nur in den Speisen (Bitterstoffe kommen auch in Marmeladen oder Essigen vor) auftaucht, sie ist jedoch vor allem in den Getränken präsent. Neben den Speisen werden im Cookbook auch einige Getränke vorgestellt, die  den Gästen angeboten werden. Das Vermouth-Rezept wäre hervorzuheben, das selbstgemachte Ingwerbier und der Rhabarber Smash sollten nicht unter den Tisch fallen. Dazu kommt das Nichtalkoholische, denn auch die Limonaden haben natürlich viel mit Bitters zu tun und haben eine ebenso lange Tradition auf der Insel. Das Cookbook ist für mich ein kleines Gesamtkunstwerk, in dem ich stöbere, seitdem ich es habe. Die Fotos haben Flair und die Rezepte sind, soweit ich sie bisher nachgekocht habe, stimmig und gut zu kochen. Sie sind vor allem schön beschrieben und es macht Spaß, den Köchen zu folgen.

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“Jack Adair-Bevan is a writer, hunter and mixologist fascinated by the curiosities of food history and community ritual. Paûla Zarate, born in Mexico, is the backbone of The Ethicurean. Her previous career as senior legal counsel provides countless skills to the business and the tenacity needed to support this sustainable venture. Matthew & Iain Pennington are self-taught chefs with well-trained palates. They focus on balancing bold flavours & culinary technique fortified with foraged wild produce.”

Viele der Rezepte sind vegetarisch, das Fleisch, das verwendet wird, ich sagte es bereits, stammt aus dem Umland des Restaurants. Beim verwendeten Fisch handelt es sich praktisch ausschließlich um Süßwasserfisch und Meeresfrüchten, die vor der Küste vorkommen. Die Rezepte sind nicht kompliziert, doch voller Liebe zum Detail und mit einer feinen Prise von Ungewöhnlichem garniert, genau so, dass sie besonders sind. Der Clou dieses Buches sind, so wie ich das bisher einschätzen mag, die Süßspeisen, die den traditionellen Puddings genauso einen neuen Zug geben wie Cakes & Creams. Neben dem Genuss, den ich bei der Zubereitung der Speisen nach diesen Rezepten empfinde, mag ich den unaufgeregten Stil, der zur Detailliebe dazu stößt. Und schließlich lässt mich das buch verharren zwischen neu aufkeimendem Fernweh, dass mich nach England zieht und den Wunsch aufkommen lässt, einfach mal länger dort zu bleiben, und der Realität, in der ich zumindest den Spatz in der Form dieses Buches in der Hand habe und durchaus glücklich bin.

Die Fotos stammen von The Epicurean und dürfen hier veröffentlicht werden. | Photos © The Epicurean

 

 

 

2 Kommentare

  1. Lieber Christoph,
    hab herzlichen Dank für diesen feinen Beitrag!
    Das Buch wird sofort bestellt! Diese Woche wird mich wohl in den Ruin treiben 🙂

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