Fährt man die Strada Provenciale 68 durch den südlichen Teil Siziliens, befindet man sich auf der wahrscheinlich ältesten Weinroute der Insel. Sie schlängelt sich durch das hügelige Gebiet rund um Ragusa und Vittoria. Man kann diesen Weg wählen, um jene Winzerin zu besuchen, die einen ihrer Weine nach eben dieser Route benannt hat: Arianna Occhipinti. Sie gehört zu der kleinen überschaubaren Gruppe von Winzerinnen und Winzern, die den Weinbau auf Sizilien gerade auf eine neue Stufe heben, und ist dabei ihr schönstes Gesicht und ein gern gesehener Gast in den Metropolen, wo den Erzeugern dieser charaktervolle neue, schlanke, frische und oft auch biologisch erzeugte Wein praktisch aus den Händen gerissen wird – allen voran in New York und London. Für Arianna ist das Segen und Fluch zugleich. Ihr wurde zwischenzeitlich derart nachgestellt, dass sie sich eine ganze Zeit lang gar nicht mehr aus Vittoria herausbewegt hat. Gleichzeitig jedoch lenkte sie die Aufmerksamkeit auf eine Weingegend, die den meisten, selbst erfahrenen Weinliebhabern, noch weitgehend unbekannt ist.
Macht man einen Schwenk in die Anfänge und Umbrüche des sizilianischen Weinbaus, muss man eigentlich mit den Phöniziern beginnen; denn die wichtigsten ursprünglichen Rebsorten der Mittelmeerinsel stammen aus deren Siedlungsraum und haben sich dann auf Sizilien weiterentwickelt. Auf Sizilien wird entsprechend seit Jahrtausenden Weinbau betrieben. Der Qualitätsweinbau beginnt allerdings im Wesentlichen erst in den Siebzigern des vergangenen Jahrhunderts. Vorher wurde überwiegend Massenware vornehmlich für den englischen Markt erzeugt: seelenloser Wein, der vor allem in die Produktion von aufgespritetem Süßwein wanderte, dem Marsala, benannt nach der gleichnamigen Stadt im äußersten Westen der Insel. Ein wenig erstaunlich ist das schon, wird Kultur und vor allem Esskultur auf Sizilien doch sehr geschätzt und die Auswahl an frischen Lebensmitteln und Zutaten ist geradezu unvergleichlich. Nur der Wein blieb immer einfach und es gab lange Zeit praktisch niemanden, der sich mit den Möglichkeiten, die die heimischen Rebsorten boten, ernsthaft auseinandergesetzt hätte. Das allerdings änderte sich Ende der Achtziger, als Diego Planeta, seines Zeichens Präsident der Winzergenossenschaft von Settesoli, seine Genossen überzeugen konnte, sich verstärkt den heimischen Rebsorten zu widmen und im Weinberg wie im Keller mehr auf Klasse statt auf Masse zu setzen. Grecanico ist eine dieser Sorten, die übrigens noch im Namen auf das Ursprungsland verweist. Nero d’Avola, die Schwarze aus Avola, ist eine weitere Rebsorte, mit der der Weinbau der Insel Schwung aufgenommen hat und die Winzer von Settesoli erfolgreich wurden. Mit dem Erfolg kam dann auch das Geld. Nicht zuletzt durch die Hilfe von EU-Strukturfonds wurde gefördert und investiert. Zu den ersten, die das taten, gehörten wiederum Planeta, diesmal drei Cousins des Pioniers Diego. Dann kam Cusumano, und wenn man Donnafugata und Feudo Arancio dazunimmt, hat man auch schon fast die komplette Gruppe derer, die mit großen Kellereien und moderner Technik den sizilianischen Weinbau ins 21. Jahrhundert gehievt haben. Diese großen Betriebe haben dabei immer auf autochthone und international bekannte Sorten zugleich gesetzt und so ziemlich alles, was sie produzieren, ist klar und sauber gemacht. Das ist Weinbau auf gekonntem und hohem Niveau, das höchstens noch von den Conti d’Almerita übertroffen wird, einer adeligen Weinbaufamilie, die mittlerweile fünf Weingüter auf Sizilien ihr Eigen nennt. Was diese Weine erfolgreich gemacht hat, ist ihr internationaler Stil, der niemandem so richtig weh tut und einen hier und da durchaus ins Schwärmen geraten lassen kann, vor allem wenn man mal einen gereiften Rosso del Conte von d’Almerita ins Glas bekommt oder einen Süßwein, den Donnafugata auf der kleinen Insel Pantelleria produziert hat, einer Insel, die schon auf dem halben Weg nach Tunesien liegt.
Dieser Stil wird genau dann zum Problem, wenn man im Wein etwas mehr von Sizilien erfahren will. Wenn man den sehr eigenen Charakter typischer sizilianischer Rebsorten tatsächlich kennen lernen will, sollte man sich zumindest drei Namen merken: drei Namen im größten zusammenhängenden Weinbaugebiet Italiens – Veränderungen fangen bekanntlich meist mit einer überschaubaren kleinen Gruppe an. In diesem Falle sind es Frank Cornelissen, Salvo Foti und Giusto Occhipinti, der Onkel der oben erwähnte Arianna. Giusto war 1980 zusammen mit Giambattista Cilia und Cirino Strano der jüngste Weingutsgründer Italiens. Die drei waren um die 20, als sie die Chance hatten, bei Vittoria im Süden Siziliens einen Weinberg zu übernehmen. Die angehenden Architekten ließen sich auf dieses Wagnis ein und haben mit ihrem Weingut COS ziemlich genau zwei Jahrzehnte experimentiert, bis sie den Stil gefunden hatten, der heute ziemlich viele begeistert. Sie arbeiten fast ausschließlich mit regionalen Rebsorten, wo im roten Bereich neben dem Nero d’Avola der Frappato zu nennen wäre, eine duftige, aromatische Sorte – bei weißen Rebsorten sind es Grecanico und Inzolia. Das wirklich Erstaunliche ist, dass bei COS sehr viel mit Amphoren gearbeitet wird und dass die Weine, die im heißen Süden der Insel wachsen, praktisch nie mehr als 12,5 % aufweisen. Das Ergebnis der intensiven Weinbergsarbeit und dem mittlerweile gekonnte Umgang mit Tongefäßen, Zementwannen und gebrauchtem Holz sind zugleich fruchtige und komplexe Weine, die dabei immer leicht und beschwingt wirken. Ein gutes Bespiel für diesen Stil ist der Cerasuolo di Vittoria, der einzige Wein der gesamten Insel, der Italiens höchste Qualitätsstufe DOCG erhalten hat. Dieser Wein besteht zur Hälfte aus Nero d’Avola und zur anderen Hälfte aus Frappatto. Bei Giustos Nichte ist es der SP68, der genau diese Rebsortencuvée enthält und ähnlich begeistert. Ein dritter auch in Deutschland anbietender Erzeuger dieses exzellenten Essensbegleiters ist Manenti.
Dieses kleine Weingut wird von Salvo Foti betreut. Er ist der vielleicht umtriebigste Önologe auf Sizilien und Spezialist für die sogenannte Albarello-Erziehung: Das ist die traditionelle Anbauform, bei der die Rebstöcke wie Büsche gepflanzt werden und entsprechend geschnitten und „erzogen“ werden müssen. Foti setzt wie die Occhipintis ganz klar auf biologischen Anbau und im Keller auf Minimalismus. Was mich bei Salvo Foti vor allem beeindruckt, ist, dass er im Gegensatz zu vielen anderen bekannten Önologen kaum seine eigene Handschrift hinterlässt. Er arbeitet zu Gunsten des Stils, den der jeweilige Winzer bevorzugt (Das er eine eigene ganz klare Handschrift haben kann, zeigt sich allerdings bei seinen eigenen Weinen). So findet sich neben dem frischen Cerasuolo von Manenti ein etwas dichterer und gesetzter des Weinguts Gulfi, einem ebenfalls ausgezeichneten Betrieb des südlichen Siziliens, der sich vor allem mit exzellenten reinsortigen, im Holz ausgebauten, jedoch nicht zu schweren Nero d’Avola aus dem Valle di Noto, unweit von Avola gelegen, einen Namen gemacht hat.
Bemerkenswert ist Salvo Fotis Engagement jedoch vor allem bei der Winzervereinigung I Vigneri, die man vor allem an der immer gleichen Burgunderflaschenform mit geprägter Buschrebe erkennt. Hier spielt Foti sein ganzen Können aus, zum einen bei den Weinen der Tenuta di Castellaro, die auf der kleinen westlich gelegenen Insel Lipardi Weine aus so seltenen Sorten wie Malvasia di Lipardi oder Corintho erzeugen, zum anderen jedoch vor allem in den alten terrassierten Steillagen an den Hängen des Ätna. Hier, wo der immer wieder Feuer speiende, alles dominierende Vulkan für eine ungewöhnliche Fruchtbarkeit der Landschaft sorgt, finden sich bis zu 250 Jahre alte Rebbüsche, eingefasst von alten Trockenmauern. Der Weinbau, der lange Zeit brachlag, zieht sich bis in knapp 1.000 Meter Höhe. Die Schwankung von Tag- und Nachttemperaturen ist selten so extrem wie hier. Diese äußeren Umstände und die mühevolle Bearbeitung der Rebstöcke haben einen wirtschaftlich erfolgreichen Weinbau lange Zeit fast unmöglich gemacht. Dies funktioniert erst wieder, seit es Weinliebhaber gibt, die solch ungewöhnliche Weine schätzen und bereit sind, dafür zu zahlen. Auch hier beschäftigen sich die Winzer mit Rebsorten, die man praktisch ausschließlich vor Ort findet und die sich dort den extremen Klimabedingungen angepasst haben: Nerello Mascalese und Nerello Capuccio für die roten, Carricante, Cataratto und Minella für die weißen Weine. Die Rotweine beeindrucken mit einem Wechselspiel aus Kirschen und dunklen Früchten, in die sich viele Kräuter und Gewürze mischen: Nelke, Zimt, Orangenschalen, Rosmarin, Thymian oder Lavendel. Faszinierend ist die tiefgründige Mineralität, die sich in den roten genauso wie in den weißen Weinen findet. Diese haben mit dem, was wir sonst unter Weißwein kennen, wenig zu tun und sind höchstens mit denen aus der französisch-spanischen Grenzregion vergleichbar. Hier wie dort findet sich in den Weinen vergleichsweise wenig Frucht (Quitte und Birne, weil die Weine gerne oxidativ ausgebaut werden), stattdessen dominieren Rauch und Stein, Trockenkräuter, Karamell und Orangenschale. Gerade die Weißeine der I Custodi delle Vigne dell’Etna, der Bewahrer der Weingärten des Ätna und des voll engagierten Nebenerwerbswinzers Ciro Bondi, der sich ebenfalls auf die Kompetenz Salvo Fotis stützt, sollte man unbedingt einmal probieren. Diese Weine sind so markant und charaktervoll, so expressiv und auch seltsam, dass man sie über mehrere Tage hinweg ergründen kann und das auch sollte, weil sie sich von Tag zu Tag verändern.
Neben Salvo Foti verdient zumindest eine weitere prägende Gestalt unter den Winzern des Ätna erwähnt zu werden. Es ist der Belgier Frank Cornelissen, der im Norden des Ätna ganz ähnlich arbeitet wie Foti: natürliche, aufwendige Weinbergsarbeit im Albarello-Anbau, die Trauben werden noch mit den Füßen gestampft, der Saft fließt in alte Zisternen und ausgebaut wird in Amphoren. Schwefel wird hier nicht zugesetzt und es wird nicht geschönt. Das ist zugegebenermaßen speziell und es ist ziemlich genau das Gegenteil von dem, was man bei Planeta et al. findet. Die benannten Weine bieten ausgeprägtes Regionalkolorit. Es sind lebendige Charakterköpfe, die den Reichtum dieser Mittelmeerinsel auf eine ganz eigene Weise widerspiegeln.
Dieser Artikel ist ursprünglich in gekürzter Form im Blog Stützen der Gesellschaft, faz.net erschienen.
Weine, die ich besonders charakteristisch und empfehlenswert finde:
Weißweine
Lipardi
Bianco Pomice 2011, I Vigneri di Tenuta di Castellaro, Malvasia di Lipardi, Sicilia IGT (Lipardi), 13,5%, bei Vinaturel
Etna
Chianta 2011, Azienda Agricola Ciro Biondi, Carricante – Cataratto – Minella, Sicilia IGT (Etna), 13,5%, bei K&U Weinhalle Vigna di Milo 2011, I Vigneri di Salvo Foti, Carricante, Sicilia IGT (Etna), 12%, bei Vinaturel
MunJebel Bianco 8, 2011, Frank Cornelissen, Coda di Volpe – Carricante – Grecanico Dorato, Sicilia IGT
Rotweine
Vittoria
Il Frappato 2011, Arianna Occhipinti, Frappato, Sicilia IGT, 12,5% bei Vinaturel
Frappato 2011, COS, Frappato, Sicilia IGT, 12,5%, bei Vinaturel, K&U Weinhalle, Lobenberg
Cerasuolo di Vittoria 2011, Azienda Agricola Manenti, Nero d’Avola – Frappato, DOCG, 13,5%, bei Baglio Antica Sicilia
Etna
Aetneus 2007, I Vigneri I Custodi delle Vigne dell’ Etna, Nerello Mascallese – Nerello Cappuccino – Alicante, Etna Rosso DOC, 14%, bei Vinaturel
MunJebel Rosso 6 VA, 2008, Frank Cornelissen, Nerello Mascallese, Etna Rosso DOC, bei Walter und Benjamin
Vigneri di Salvo Foti 2011, Nerello Mascallese – Nerello Capuccio, Etna Rosso DOC, 14%, bei Vinaturel
Süden
Contrada 2008, Azienda Agricola COS, Nero d’Avola, Sicilia IGT, 12,5%, z.B. bei Vinaturel, K&U Weinhalle, Lobenberg
Nerojbleo 2009, Azienda Agricola Gulfi, Nero d’ Avola, Sicilia Rosso IGT (Val di Noto), 14% bei Superiore
Zentrum
Rosso del Conde, am besten gereift, z.B. 1997, Tasca Conti d’Almerita, Nero d’Avola – Perricone – Andre Sorten, Contea di Sclafani DOC (Palermo)
Süßwein
Donnafugata Ben Ryè, Moscato di Pantelleria, z.B. bei Superiore
Die Weine von Occhipinti, COS und den I Vigneri wurden mir freundlicherweise von Vinaturel zur Verfügung gestellt. Die Weine von Ciro Bondi erhielt ich freundlicherweise von der K&U Weinhalle und die Weine von Gulfi hat mir der Erzeuger direkt geschickt.