Für viele hört die Côte des Blancs bereits knapp hinter Vertus auf. Das liegt natürlich daran, dass es hier kaum mehr berühmte Lagen und Winzer gibt. Insgesamt aber finden sich rund um Congy, Villesvenard und Sézanne im so genannten Sézannay ca. 2.500 Hektar Flächen, die vor allem von den großen Häusern bewirtschaftet oder eingekauft werden. In diesem Bereich, der lange frei von bekannten Namen war, haben sich jedoch mindestens zwei Winzer etabliert, die man im Winzer-Champagne-Fokus haben sollte. Der Name des ersten erinnert ein wenig an alpenländische Feinmechanik-Manufakturen. Olivier Collins Champagne Ulysse Collin findet man in Congy.
Olivier zählt sich ganz klar zu Adepten des großen Anselme Selosse. Dessen Champagne hat bei Oliver für den Entschluss gesorgt, nicht mehr den gesamten Ertrag seines acht Hektar großen Besitzes an den Négo zu verkaufen, sondern nur noch einen Teil. 2004 hat er dann seinen ersten Wein gemacht, und zwar aus der Lage Les Pierrières im Nachbarort Vert La Gravelle. Es ist ein Blanc de Blancs von Chardonnay, der hier auf einer Decklage aus Kreide und einem Untergrund aus Kalk und Feuerstein steht. Diesen Silex findet man auch ein wenig am Mont Aimée und entsprechend in den Champagne von Pascal Doquet (siehe dort). Olivier Collin hat die ersten beiden Jahrgänge einzeln ausgebaut, ab 2006 dann aber begonnen, immer ein wenig Resèrve-Weine aus den beiden Vorgängerjahren mit dazu zu geben. Ab 2006 hat er zusätzlich einen Blanc de Noirs vinifiziert, den Blanc de Noirs Les Maillons, der aus dem Ort Barbonne-Fayel stammt. Seit 2008 ist ein dritter Champagne hinzugekommen. Les Roises Extra Brut Blanc de Blancs stammt aus einer alten Chardonnay-Lage in Congy, deren Rebstöcke an court-noué leiden, einer Rebkrankheit, die für deutlich kleinere, etwas gekräuselte Blätter sorgt.
Oliviers Champagne haben einen sehr eigenen Charakter, abgesehen davon, dass sie in den ersten Jahren sehr uneinheitlich waren, was daran lag, dass er noch viel experimentiert hat. Seine Weinberge werden biologisch bewirtschaftet und zwar sehr strikt, weshalb er die beiden letzteren Champagne auch erst später vinifiziert hat. Er war der Meinung, dass die Weinberge noch nicht dem Standard entsprachen, den er sich vorstellte. Seine Grundweine sind teils außerordentlich reif, werden spontan vergoren und durchlaufen die erste und die malolaktische Gärung in alten Barriques. Die aktuellen Weine sind ziemlich genial. Was vor allem daran liegt, dass Olivier das mit dem richtigen Lesezeitpunkt jetzt im Griff zu haben scheint. Les Pierrières Extra Brut Blanc de Blancs (2009 mit 10% 2008)zum Beispiel ist reif, voll, dicht aber nicht over the top, wie es schon mal vorgekommen ist. Dafür ist er extrem komplex und energiegeladen und vor allem balanciert. wenn das bei Ulysse Collin so weitergeht, wird man ihn bald zur Spitze zählen können, da bin ich mir sicher. Beim aktuellen Les Maillons Extra Brut Blanc de Noirs und beim Les Roises Extra Brut Blanc de Blancs zeigt sich ein ähnliches Bild. Viel Boden, viel Mineralität, sehr fokussiert, voll aber nicht schwer und wunderbar balanciert. Großes Kino!
In Talus-Saint-Prix treffen wir auf Champagne Jeaunaux-Robin. In diesem beschaulichen Ort im Vallée du Petit-Morin bewirtschaftet Cyril Jeaunaux 5.5 Hektar Reben in biologischem und versuchsweise biodynamischem Anbau. Cyrils Weine sind nicht mehr Côte des Blancs like. Sie sind meist von Pinot geprägt und auch der Boden ist hier schon nicht mehr so stark kreidehaltig. Zudem befindet sich ein Teil der Weinberge im mehr als anderthalb Stunden entfernten Montier en l’Isle unweit Bar sur Aube. Cyril macht sehr unterschiedliche Weine, wobei außer dem fast obligatorischen Brut alle ohne Dosage auskommen. Am Großartigsten ist definitiv der Extra-Brut Les Grands Nots, der zu gleichen Teilen aus den drei Hauptrebsorten besteht und im Barrique ausgebaut wird.
Bevor wir endgültig die Côtes des Bar erreichen, fahren wir eine gute Stunde nach Montgueux. Das lohnt sich, weil an diesem Flecken, an diesem markanten Hügel unweit von Troyes, einer der bemerkenswertesten Winzer seine Weine macht. Es ist Emmanuel Lassaigne, der hier wie bisher kein zweiter die Besonderheiten dieses von Kreide geprägten Hügels herausarbeitet. Montgueux ist besonders, schon deshalb, weil dieser Flecken eigentlich erst seit den Sechzigern Champagne-Status besitzt, während drum herum zwischen der Côte des Blancs und Côtes des Bar kein Champagne erzeugt wird. Das ist schon deshalb etwas erstaunlich, weil der Hügel früher als Montrachet der Champagne bezeichnet wurde. Emmanuel und sein Vater Jacques, nach dem das Haus Champagne Jacques Lassaigne auch benannt ist, vinifizieren hier einige der pursten und rassigsten Champagne des ganzes Gebietes. Die Weine zeichnen sich durch helle Fruchtaromen im Orangen-Zitrus- und tropischen Fruchtbereich aus, sind dabei immer kristallin und oft etwas salzig und man hat manchmal das Gefühl, man würde bei diesem Champagne auf einer Messerschneide tanzen. Lassaignes vier Hektar befinden sich an der Ostseite dieses kreidigen Hügels. Die Rebstöcke stammen zum großen Teil aus der Zeit, als die Appellation gegründet wurde, sie sind also oft um die 45 Jahre alt. Weil Lassaigne gerne noch ein wenig Traubenmaterial von der Südseite von Montreux verarbeiten wollte, hat er sich als Négociant-Manipulant registriert. Er darf also Trauben dazu kaufen, was auch bei kleinen Winzern nicht ungewöhnlich ist, denn direkt ganze Parzellen zu kaufen, ist nur ganz selten möglich, zu rar sind die Filetstücke und zu teuer. Lassaigne baut all seine Parzellen einzeln aus und benutzt zum Pressen eine klassische Conquard-Presse. Seine Weine werden spontan angegoren, manchmal auch vergoren, manchmal aber auch nachgeimpft. Hier wird nur leicht geschönt, aber nicht filtriert. Auch wenn Lassaigne einen obligatorischen Rosé macht, liegt der Fokus hier absolut auf Blanc de Blancs. Dabei ist der Les Vignes de Montgueux Brut Blanc de Blancs so etwas wie die Einstiegsdroge. Im Preisbereich (Deutschland) um die 30 Euro ist das unglaublich guter Stoff, der an sehr guten Chablis erinnert. Da ist nichts zu opulent, und doch gibt es hier vollen Stoff. Der Wein ist kreidig, kark, kräuterwürzig, mineralisch plus jener hellen, gelben und orangenen Fruchtnoten von Zitronen, Limetten, Bitterorangen und Grapefruit mit einem Hauch Mango vielleicht.
Diese leichte Kargheit, das Pure wird im Jahrgangschampagne Millésime fortgesetzt. Stammt Les Vignes aus acht Parzellen, stammt dieser aus dreien, die durchweg alte Reben tragen. Obwohl der Wein komplett im Edelstahl ausgebaut wird, meint man, Noten zu erkennen, die an Holz erinnern, an Mandeln und Karamell. Gleichzeitig ist da wieder diese straffe Säure, das Mineralisch-kreidige und die ganze Palette an Zitrusnoten, noch tiefer und substanzvoller als im Les Vignes. All das ist herausragend balanciert und bleibt trotzdem immer schwebend.
Wer die Leichtigkeit des Seins in einem Champagne sucht, findet diese hier. Wer Emmanuel Lassaigne selbst hören möchte, kann dies übrigens im Podcast des New Yorker Kollegen Levi Dalton tun, der Lassaigne letztes Jahr interviewt hat.
Die Artikel der Serie:
Teil 13: Epilog
Teil 12: Côte des Bar von Courteron nach Urville
Teil 11: Côte des Bar von Bar-sur-Seine nach Les Riceys
Teil 10: Von Vertus nach Montgueux
Teil 9: Côte des Blancs in Vertus
Teil 8: Côte des Blancs in Le-Mesnil-sur-Oger
Teil 7: Côte des Blancs in Avize
Teil 6: Côte des Blancs von Épernay nach Cramant
Teil 5: Vallée de la Marne, am linken Ufer zurück nach Épernay
Teil 4: Vallée de la Marne, am rechten Ufer von Dizy nach Crouttes
Teil 3 Vallée de la Marne, rund um Aӱ
Teil 2: Montagne de Reims
Teil 1: Auf der Suche nach einem Mythos
Im nächsten Teil geht es an die Côtes des Bar.
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Die Lage “les Roises” http://weinlagen-info.de/#lage_id=8314
Vielen Dank!