Plädoyer für den Mittagswein

Es gab Zeiten, da war der Wein vor allem eines: ein Nahrungsmittel. Es dürfte kaum geschmeckt haben aber es war – im Gegensatz zum Wasser – meist sauber. Vorausgesetzt, es hatte niemand Wasser in Wein geschüttet (ich meine wohlgemerkt nicht das Verwandeleln. Verwandeln durfte man, ist aber wohl nur einmal vorgekommen). Das Strecken des Weins mit Hilfe von Wasser war denn auch bei Strafe verboten und diese Strafen möchte man sich heute gar nicht mehr ausmalen. Sie hatten etwas mit großen Rädern und gebrochenen Knochen zu tun, mit dem Schleifen nackter Haut auf Erde und so weiter. Bestraft wurde damals nicht etwa das eigentliche Verlängern des Weins sondern die Tatsache, dass man damit die Verunreinigung des sauberen Nahrungsmittels billigend in Kauf genommen hat. Sauberes Wasser war knapp und auch beim Bier konnte man nicht unbedingt sicher sein, dass man auf der richtigen Seite war. Von der Gose, jenem Sauerbier aus Goslar, das mit Wasser aus gleichnamigen Fluss gebraut wurde beispielsweise sagt man, dass es gerne für Diarrhöe gesorgt hat.

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Wein dagegen, der vergorene Rebsaft, führte zu solchen Problemen nicht. Deshalb wurde er auch lange Zeit, wir reden hier mindestens vom Mittelalter bis in die Neuzeit, auch Kindern gegeben, zumindest wenn nichts anderes da war. Aufgeteilt war das Weinangebot in Zeiten der Unfreiheit grob gesagt in zwei Qualiätsstufen. Der hunnische Wein war der fürs Volk. Saurer Saft dürfte das gewesen sein, vor allem wenn man schaut, wo der überall angebaut wurde. In Köln standen Rebstöcke, in der Eifel standen Rebstöcke, in den Niederlanden ebenso (ok, da stehen heute auch wieder welche, aber die Reben haben es gern mollig warm in Gewächshäusern und auch sonst bekommen sie alles, was der moderne Weinbau zu bieten hat, dass aus ihnen auch ja ein vorzeigbares Produkt wird). Angebaut wurde im Gemischten Satz, wo jede Menge unterschiedlicher Sorten im Weinberg standen und immer dann geerntet wurde, wenn die Leitrebsorte leidlich reif wurde. Das war beim Wein fürs einfache Volk meist der Elbling. In diesem hunnischen oder auch heunischen gemischten Satz tauchte neben allerlei Sorten, die heute oft keine Bedeutung mehr haben, auch der Riesling auf, denn der wurde damals noch als niedere Rebsorte angesehen. Er war den Leuten schlicht zu sauer. Das änderte sich erst, als man das mit der Spätlese entdeckte. Der fränkische gemischte Satz dagegen war der den Herrschern vorbehaltene Wein, in dem vor allem die fränkischen, also burgundischen Sorten eine Rolle spielten, aber gerne auch Silvaner und Traminer.

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Im Laufe der Zeit hat man dann aber die Wasser- und auch die Bierqualität besser in den Griff bekommen. Arbeitsverträge, in denen den Handwerkern mehrere Liter Wein am Tag garantiert wurden, gehörten der Vergangenheit an und der Weinkonsum verringerte sich massiv. Das ging ein wenig einher mit der Reblauskatastrophe im 19. Jahrhundert, die ja flächendeckend die Rebflächen dezimiert hat. So ist es kein Wunder, dass Anbaugebiete manchmal um acht oder neun Zehntel geschrumpft sind.

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Waren bis in die Neuzeit große Teile der Bevölkerung also tendenziell ganztägig angeschickert, änderte sich dies im ausgehenden 19. Jahrhundert dramatisch. Der Wein wurde immer mehr Genuss- denn Nahrungsmittel. Vor allem in Deutschland hat sich der Wein im Laufe der Zeit von der Nahrung derart stark abgekoppelt, dass uns heute ein Speisekultur fehlt, die Essen und Wein untrennbar miteinander verbindet. Da wird dann lieber Wasser oder Bier (und zwar natürlich das einigermaßen geschmacksneutrale Fernsehbier) zum Essen konsumiert und der Wein für später aufgehoben. Ganz so, als wäre das Essen den Wein nicht wert – oder umgekehrt. Und was gerade in den südlichen Ländern Gang und Gäbe ist, ist hier bei den meisten komplett verpöhnt: Es ist der Wein zum Mittagessen. Für diesen wird man sofort schief angeschaut, wenn man sich nicht gerade unter Gleichgesinnten befindet. Natürlich wird schnell Alkoholismus unterstellt. Die Arbeitsfähigkeit wird in Frage gestellt oder auch gerne mal die Urteilskraft. Ich halte das alles für kompletten Unsinn. Denn wer ein Glas zum Mittagessen und ein Glas zum Abendessen konsumiert, dürfte kaum der Trunksucht anheimfallen. Das Essen schmeckt deutlich besser und der Wein zum Essen macht nicht etwa müde. Nein, er belebt, er verbessert die Laune und lässt die Gedanken weiter schweifen. Kurz gesagt, wer sich nicht gerade hoffnungslos dem calvinistischen Ethos verschrieben hat, sollte es einfach mal wagen. Der Mittagswein ist, ich bin fest davon überzeugt, eine große kulturelle und zivilisatorische Errungenschaft. Und er macht glücklich!

2 Kommentare

  1. Oh ja, den fand ich auch schön… Und muss gestehen: Den Mittagswein gönne ich mir auch fast ausschließlich im Urlaub – und das, obwohl ich ihn dort so sehr genieße, dass ich es zu Hause wirklich vermisse.

    Zu Hause hab ich schon ein schlechtes Gewissen wenn es nur ein Radler zum Mittagessen ist, weil: Ich muss ja noch arbeiten. Und das geht irgendwie im Kopf nicht….

    chrysophylax.

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