Im Speiselokal

Ich kann mir kaum vorstellen, dass Billy Wagner ein begeisterter Freund des Polosports ist. Er wirkt nicht so. Trotzdem ist er vielleicht durch Zufall irgendwann einmal 2011 über eine Überschrift in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung gestolpert die da lautete: Nobel, hart & schmutzig. Dort ging es um den klassisch englischen Upperclass-Pferdesport Polo, der unter anderem auch unweit meiner eigenen Behausung in den Elbvororten Hamburgs gespielt wird.

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Das Speiselokal, das Billy Wagner zu Beginn dieses Jahres an einem festen Ort eröffnet hat, befindet sich nicht in den Elbvororten Hamburgs sondern in der Friedrichstraße in Berlin. Dort war ich am Samstag als Gast – genau ein Jahr, nachdem Billy Wagner das erste Mal mit dem ungewöhnlichen Namen in die Öffentlichkeit getreten ist um zusammen mit Micha Schäfer im Rahmen eines Supper Clubs die ersten Gäste zu bewirten. Was nach dieser ersten Verlautbarung passiert ist, war eine ungewöhnlich lang anhaltende Werbekampagne für ein Restaurant, das noch gar nicht existierte. Billy hat dabei alle Medien und vor allem die sozialen genutzt, um Nobelhart & Schmutzig in die Gehirne der Ess- und Trinksüchtigen zu pflanzen. Das hat gewirkt, denn seit dem ersten Tag ist das Restaurant, das sich, wie früher viele in Berlin, Speiselokal nennt, ausgebucht.

Neben der historischen dürfte der Begriff Speiselokal allerdings noch eine zweite Bedeutung besitzen. Denn Speiselokal kann ebenso als  Speisen lokal gedeutet werden und das ist genau der Ansatz für das, was einem bei Nobelhart & Schmutzig geboten wird. Alle Speisen, bzw. die Produkte, die für die Speisen verwendet werden kommen entweder aus Berlin oder aus dem Umfeld von Berlin. Da gibt es keine Ausnahmen. Deshalb wird man dort die Pfeffermühle vergeblich suchen und auch kaum missen. Denn die Würze, die wir so gerne beim Essen haben, wird anders erzeugt. Zum Beispiel mit Hilfe von Kräutern, von Suden und Aufgüssen, von Fermentationen und Kollaborationen. Zu diesen Kollaborationen zählt zum Beispiel die ausgezeichnete Abstimmung von Getränken (die nur in Teilen lokal erzeugt werden, in Berlin wächst kaum guter Wein) und den zehn Gängen, die uns gereicht werden. So empfehle ich, sich zumindest beim ersten Mal den Empfehlungen des Herrn Wagner anzuvertrauen, der sein Getränke- und Speisen-Kombinationswissen von Grund auf beherrscht.

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So schenkt er zu einem Viertel Kopfsalat, der mit Öl, Weizengras, Emmer-Crunch und Lammsoße kombiniert war ein Schönramer Pils mit hohem Bitterstoffanteil ein. Eine hervorragende Kombination und ein so einfacher wie gewitzter Gang. Das Viertel knackiger Salat ist in Weizengrasöl getränkt, zwischendrin liegt der crunchige Emmerweizen und darüber wird die warme umamilastige Soße gegossen, die dann im Mund auf das Bitterbier trifft und verschmilzt. Wunderbar auch die gereifte Riesling-Spätlese von J.B. Becker aus dem Rheingau, die ich pur gar nicht so begeisternd finde (etwas schwerfällig und auch nicht so lang), in der Kombination mit Schweinenacken, Zwiebeln und Holunderblüten aber strahlend aufgeht und das Essen perfekt ergänzt. Dies übrigens war der einzige Gang, wo ich spontan gedacht habe, ich könne einen Hauch Pfeffer vertragen. Doch wirklich vermisst, habe ich ihn nicht.

Die Küche bleibt immer leicht und schwebend. Fleisch wird nur in übersichtlichem Maße serviert. Hier ein Klecks Blutwurst, da eine Lammreduktion, schließlich der Schweinenacken. Lokalen Fisch von der Müritz (Saibling und Forelle) gibt es in zwei Gängen und hier, wie beim Fleisch sind es vor allem die Kombinationen mit Sprossen, Gräsern, Blättern, Blüten und Samen, die alles verbinden und heben. Entsprechend sind wir zur Menüfolge ohne ein Glas Rotwein ausgekommen, was ich durchaus angenehm fand, wird es doch schnell zu schwer, wenn man mindestens acht Getränke probiert. Geradezu sensationell gut wurde es bei den beiden ausklingenden Dessert-Gängen. Sauerampfer und Dillblüten treffen auf Traubenkernöl und einen Brand von der Chicorée-Wurzel, Grüner Hafer wird mit Rhabarber und Thymian kombiniert.

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Was diesen Ort neben dem außergewöhnlichem Speise- und Getränkeansatz aber so besonders macht, ist die Ruhe, in der hier die Kraft liegt. Der Raum ist dunkel und lediglich die tiefe Bar, an der in einem U mindestens Dreiviertel der möglichen 40 Gäste sitzen, wird über warmes Licht illuminiert. Dann natürlich die Küche, um die das U gebaut wurde: dort im Kraftzentrum, in das jeder Gast vollen Einblick hat, geht jeder ganz ruhig und konzentriert zu Werke. Das Meiste ist längst am Nachmittag geschehen, es wird noch aufgekocht und angewärmt, wenige Teile frisch geschnitten und natürlich angerichtet. Die Choreografie fasziniert und strahlt Ruhe aus. Neben dem Gastgeber Billy Wagner, lernen wir nach und nach alle Beteiligten einzeln kennen, denn die erklären uns, was sie im Einzelnen angerichtet haben und wo es herkommt. Sie sind dabei genauso umsichtig wie der Gastgeber selbst. Man fühlt sich richtig aufgehoben an diesem Ort, der das Lokale mit Ansätzen skandinavischer Küche und der Ruhe und Spiritualität des Zen-Buddhismus verbindet. Da haben Billy Wagner und Micha Schäfer etwas sehr Außergewöhnliches geschaffen, etwas, was tief im Inneren glücklich macht.

Die Mahlzeit kostet Euro 80 inklusive Wasser und exklusive weiterer Getränke, die wir noch bis in die Nacht genossen haben. Und auch wenn man dafür monatelang sparen muss, lohnt sich das ohne jeden Zweifel. Dass ich nicht völlig blank aus dem Laden rausgegangen bin, verdanke ich meinem Freund Holger, der sich drüben in der faz.net ebenfalls geäußert hat.

 

 

2 Kommentare

  1. Verena

    Dem ist nichts hinzuzufügen….wir waren bereits im März da und das Glück hält in der Erinnerung sehr lange an!

  2. Klingt wirklich gut. Das werden wir in absehbarer Zeit ausprobieren. Bin gespannt.

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