Es ist gute Tradition, dass Daniel Wagner und Oliver Müller zum Ende der Lesezeit einen ausführlichen Rückblick auf den Jahrgang halten und ich diesen Rückblick hier veröffentliche. Der Titel ist diesmal ein versöhnlicher. Nach zwei überaus schwierigen Jahren war 2015 Balsam für die Seele der Winzer:
Schon in biblischer Zeit waren die pflanzlichen Sekrete des Balsambaums und verschiedener anderer Sträucher wohlbekannt und hochgeschätzt. Ihre damalige Bedeutung als überaus kostbares Heilmittel zur Linderung von Schmerzen und zur Förderung von Ruhe und Entspanntheit hat sich wahrscheinlich bis in die heutige Zeit auch sprachlich niedergeschlagen in der bekannten Redewendung „Balsam für die Seele“. Das Weinjahr 2015 in Siefersheim und insbesondere die zurückliegende Herbstperiode kann in diesem Sinne ebenfalls als Balsam bezeichnet werden. Inwiefern genau darum soll es im Folgenden gehen.
Es gibt Jahrgänge im Weinbau, die man der Natur sprichwörtlich abringen muss. Die Bedingungen während der Lese aber auch schon vorher werden so schwierig für das angestrebte Ziel optimal ausgereifter Trauben, dass man ein sehr hohes Risiko eingehen muss und zuweilen Gefahr läuft, auch einen völligen Verlust einzelner Partien zu erleiden. So geschehen in den letzten beiden Weinjahren 2013 und 2014. Schmerzhafte Einbußen und eine alles andere als romantische Herbststimmung hinterlassen in solchen Jahrgängen auch beim Winzer „Narben“ und brennen sich zuweilen ins Gedächtnis ein. Der große Trost solcher Jahrgänge ist oft, dass sie entgegen den Erwartungen meist eine sehr positive Resonanz erfahren, und in verschiedenen Feldern durchaus absolute Spitzenqualitäten hervorbringen. Im Gegensatz zu den beiden Vorjahren war das Weinjahr 2015 Balsam für die geschlagenen Wunden der vergangenen Herbste.
Der Jahrgang 2015 begann, und das gilt es hier am Anfang einmal deutlich zu betonen, eigentlich ganz durchschnittlich. Ein für die hiesigen Breiten normaler und eher milder Winter wurde erst relativ spät mit den ersten frühlingshaften Tagen Mitte April wirklich beendet. Zwar zeigte sich im März bereits vielfach die Sonne und sehr freundliches Wetter begleitete uns bei den abschließenden Arbeiten des Schneidens und Biegens, aber die Tagesmittelwerte erreichten nur selten mehr als 8°C.
Im April setzte sich das freundliche, vielfach sonnige Wetter fort, und auch die Temperaturen zogen nun an und erreichten gegen Mitte des Monats deutlich die 10 Grad Marke. Trotz der vielen Sonnenstunden blieb es jedoch weitestgehend zu kühl für einen rekordverdächtig frühen Austrieb wie im Jahr zuvor. Die Niederschläge bewegten sich dabei wie in den Vormonaten mit gerade einmal 30 Liter pro Quadratmeter auf sehr niedrigem Niveau. Auch der Mai folgte diesem Trend nahtlos. Leicht wechselhaftes, aber vielfach sonniges Wetter bei eher kühleren Temperaturen begleitete das Wachstum der Reben.
Mit Beginn des Juni und der einsetzenden Rebblüte am Höllberg gab es die ersten hochsommerlichen Tage des Jahres mit Tagesmittelwerten über 20°C. Hinzu kamen die ersten kräftigen Niederschläge des gesamten ersten Halbjahres, die die vorangegangene, sehr trockene Periode und Wasserknappheit des Frühjahrs etwas entspannte. In der Summe waren es am Monatsende immerhin 80 Liter pro Quadratmeter und das weitere Wachstum der Reben gedieh prächtig. Die Wetterkonstellation Ende Juni mit Beginn des Julis war von einer äußerst stabilen Hochdruckzone über Mitteleuropa geprägt, die auf Wochen mit hochsommerlichen Bedingungen einherging. Im gesamten Juli fielen keine 15 Liter Regen und bei mehr als 280 Sonnenstunden im Monat machte das Wort vom „Jahrhundertsommer“ in den Medien die Runde. Beim Winzer werden dann sehr schnell Erinnerungen an die Jahre 2003 oder auch 2005 wachgerufen und man machte sich zusehends Gedanken, wie man die Wasserversorgung insbesondere der Junganlagen auf den felsigen Standorten sicherstellen konnte.
In dieser Situation Mitte Juli und mit dem Ausblick auf anhaltende hochsommerliche Witterung bis weit in den August hinein fielen verschiedene weinbauliche Entscheidungen anders aus als in den Vorjahren. Allzu starkes Freistellen der Trauben wurde tunlichst vermieden, genauso wie die weitreichenden Ertragsminimierungen unserer Rebanlagen auf einige wenige Parzellen beschränkt wurden. Alle Maßnahmen liefen eher auf Zielvorgaben wie Säureerhalt und Wasserstabilisierung hinaus, um möglichst „unbeschadet“ aus dieser hitzigen Periode zu kommen.
Gegen Mitte August gab es vorübergehend eine etwas kühlere Periode mit leichten Niederschlägen und im Übergang zum September dann auch eine insgesamt deutliche Abkühlung. Beste Voraussetzung für die nun langsam beginnende Reifung der Trauben. Die einhergehenden Niederschläge des Septembers fielen in Siefersheim weit weniger stark aus als in anderen Regionen und hatten auf die Gesundheit der Anlagen so gut wie keine Auswirkungen. Auch die Reifeentwicklung insgesamt war bei weitem noch nicht so weit fortgeschritten wie es zum selben Zeitpunkt in südlicheren Anbaugebieten der Fall war. Ein wirkliches Kuriosum dieses Jahrgangs. Zeitliche Unterschiede im Reifeverlauf gibt es alljährlich zwischen den Regionen. Aber dieses Jahr waren die Differenzen immens. Wir planten den Lesebeginn auf den 28. September. Da war für verschiedene Kollegen die Weinlese bereits beendet.
Der wohl bemerkenswerteste Abschnitt des 2015er Weinjahres begann am 20.September, wobei sich für ein Zeitfenster von beinahe 14 Tagen eine Wetterlage wiederholte, wie sie in den Sommermonaten zu so großer Hitze geführt hatte. Stabiles, sonniges Hochdruckwetter mit kühlen trockenen Winden aus östlicher Richtung. Der Einfluss dieser Konstellation auf die Trauben und den Reifeprozess hier bei uns in Siefersheim war schlichtweg außergewöhnlich. Nur in ganz wenigen Ausnahmejahren der letzten Jahrzehnte konnte man einen ähnlichen Prozess beobachten. Der hauptsächliche Effekt war eine Form des „Eintrocknens gesunder Beeren am Stock“. Bildlich gesprochen ein leichtes „Rosinieren“ ohne jegliche Botrytis.
Was auf diese Entwicklung folgte, war eine der spannendsten und gleichzeitig entspanntesten Weinlesen der letzten Jahre. In den folgenden 4 Wochen bis zum 28. Oktober konnten nach und nach alle Weinberge von Hand gelesen werden. Zeitweise musste immer wieder eine kurze Pause eingelegt werden, um die weitere Ausreifung noch abzuwarten. Besonders beim Riesling, der von der vorangegangen Entwicklung am meisten profitierte, konnte aufgrund der so konstanten Säurewerte der Lesezeitpunkt immer wieder nach hinten korrigiert werden. Das Wetter im Oktober spielte ebenfalls mit. Die vielfach kühle aber trockene Witterung hat an der so optimalen Traubengesundheit nichts mehr verändert und gerade die kalten Nächte Mitte Oktober, die für die aromatische Reifung und Feinheit des Rieslings so entscheidend sind, waren wie ein großes Geschenk für den Herbstablauf.
Die Reifewerte gingen nirgendwo „durch die Decke“. Weder Riesling noch die Burgundersorten wurden jenseits der 100 Grad Oechsle geerntet, sondern pendelten sich zumeist zwischen 90 und maximal 97 Grad ein. Damit korrelierten geradezu fantastische Säurewerte zwischen 9 und 13 Gramm, die man nach dem so heißen Sommer in dieser Form nicht erwartet hätte. Es war wirklich eine Freude über alle Rebsorten hinweg in dieser Breite und Konstanz so hochwertige, gesunde und reife Trauben zu ernten.
An dieser Stelle muss auch wieder auf die Einleitung zurück verwiesen werden. Ein solcher Herbst wie 2015 ist wirklich Balsam für die Winzerseele und tut sehr gut. Es verwundert einen selbst natürlich Jahr für Jahr, dass alle winzerischen Tätigkeiten der vorangegangen neun Monate innerhalb einer relativ kurzen Leseperiode in einem so starken Spannungsfeld der Witterung stehen. Dass das Wetter wirklich das „Zünglein an der Waage“ ist und beinahe über Wohl und Wehe der vorangegangen Arbeit entscheidet. Dieser Umstand ist zwar durchaus ein Teil des handwerklichen und naturgegebenen Selbstverständnisses eines Winzers, aber in einem Jahr wie 2015 wirkt es einfach wie ein großes Geschenk. Einfach so. Ein reiches beschenkt werden.
Eine erste, grobe Einschätzung des Jahrgangs so kurz nach der Lese ist natürlich wie schon in den Jahren zuvor immer etwas vage und schwierig. Viele besonders hochwertige Moste der letzten Erntewoche haben noch nicht einmal begonnen zu gären. Aber ganz im Gegensatz zu den beiden Jahren 2013 und 2014 freuen wir uns vor allen Dingen über ein so homogenes, hochwertiges Ergebnis der Lese. Ob Scheurebe oder Silvaner, Riesling oder Spätburgunder es gab praktisch nur sehr gute bis teilweise hervorragende Trauben bei gleichzeitig auch sehr befriedigenden Erträgen.
Rein stilistisch hat der Jahrgang 2015 in Siefersheim wahrscheinlich das Potenzial völlig für sich zu stehen, denn die Kombination aus hochreifen, gesunden Trauben bei gleichzeitig sehr hohen Säurewerten gab es weder in den sehr reifen Jahren 2011 oder 2007 noch in den kühlen Jahren wie 2010 oder 2008. Vielleicht ist der Jahrgang 2012 noch am ehesten vergleichbar. Es werden ganz sicher sehr spannungsreiche, kraftvolle Weine, die aromatisch ausdrucksstark die späte, perfekte Lese wiederspiegeln und mit ihrer pikanten Säure den vollen Körper elegant und leichtfüßig machen. Ein Stil wie er unserer eigenen Idealvorstellung von Siefersheimer Weinen sehr nahe kommen kann. Insbesondere der enorme Spannungsbogen aus kraftvollem, komplexen Körper einerseits und der frischen, rassigen Säure andererseits gepaart mit dem salzigen, mineralischen Nachhall der porphyrischen Bodenstruktur kann vielleicht in den 2015er Qualitäten ganz außerordentlich gut zum Ausdruck kommen.
Wir sind selbst sehr gespannt auf die kommenden Monate und freuen uns schon jetzt auf einen hoffentlich fantastischen Jahrgang 2015.
Daniel Wagner & Oliver Müller
Siefersheim, 3.November 2015