Während wir bereits an der zweiten Auflage des Riesling SWAGs arbeiten – ja, es wird nächstes Jahr eine Fortsetzung geben – schaut Stephan noch mal zurück auf den ersten. Eine ganz persönliche Betrachtung:
Das war sie also, die große Riesling-Sause, bei der man ganz nebenbei noch den zehnten Geburtstag von Originalverkorkt feiern konnte. Der Riesling SWAG 2017 ist Geschichte. Unzählige Stunden Vorbereitung, viel Nervenkitzel, Freude und Enttäuschung, Überzeugungsarbeit, Hoffnung und Zweifel liegen hinter uns.
Das Wichtigste zuerst: Es hat sich gelohnt. Am Samstag den 1. April 2017 war schon zwei Stunden vor dem offiziellen Start klar, dass es ein lustiger Abend werden würde. Denn wenn Gerhard Retter, seines Zeichens Inhaber der Fischerklause am Lütjensee und einer der besten und kenntnisreichsten Sommeliers und Wein-Entertainer Deutschlands (und Österreichs) noch vor den Gastgebern da ist und einen mit bester Laune begrüßt, dann kann es nur gut werden. Peu à peu trudelten die weiteren Sommeliers und die Vertreter der Weingüter ein: Jens Pietzonka aus Dresden (Weinzentrale), Tom Schramm aus Heilbronn, Manu Rosier aus Berlin (Schwein), Sebastian Bordthäuser aus Köln, Rienne Marzo Bilz (MASH) und Toni Askitis aus Düsseldorf, Ralf Kawelke, Carsten Laade, Carine Patricio (Jellyfish) und Axel Bode (Witwenball) aus Hamburg als Sommeliers.
Und Thomas Haag für Schloss Lieser, Günther Jauch für von Othegraven, Philipp Wittmann, Dominik Sona für Koehler-Ruprecht, Steffen Brahner für Dr. Bürklin-Wolf, Veronika Lintner für Egon Müller, Petra Pahlings für Joh. Jos Prüm, Philipp Zilliken für Forstmeister Geltz-Zilliken, Peter-Bernhard Kühn, Oliver Müller für Wagner-Stempel und Tobias Fricke für Gut Hermannsberg.
Alle begrüßten sich überschwänglich, es hatte etwas von einem Familientreffen. Auch die ersten Gäste schauten vorbei, brachten ihre Weine mit, plauderten mit den Winzern und den Sommeliers, schauten sich die Schatzkammer aka den Chambrair in der Mitte des Restaurants VLET an, bewunderten die auf dem Boden stehenden Magnums, Doppelmagnums und Imperials und fragten sich, wer denn am Ende des Abends den ganzen Riesling trinken sollte, der im Kühlraum stand. Coravin, der Hersteller der einzigartigen Weinkonservierungs-Tools, hatte auch schon ein paar Schlücke eines 1999er Rauenthaler Nonnenbergs des Weinguts Georg Breuer in der 6-Liter-Flasche am Start.
Am Ende des Abends waren die einzigen Flaschen, in denen noch Wein drin war, die wenigen Korkflaschen. Der Rest war komplett weggeputzt. Dazwischen lief der Abend wie ein angenehmer Rausch ab: mit einer sehr kurzen Anschwellphase, einer relativ langen Ekstase der Extraklasse und dann am Ende mit etwas weniger Tempo und einem schön langen Abklingen.
Der eine oder andere mag sich an dieser Stelle fragen, was der Riesling SWAG eigentlich ist. Schon seit mehreren Jahren finden in New York und anderen Orten der Welt sogenannte La-Paulée-Abende statt, an denen Winzer, Sommeliers und Gäste zusammenkommen, um gemeinsam ein paar selbst mitgebrachte Flaschen zu leeren. Schon seit gut fünf Jahren veranstaltet Stephen Bitterolf in NYC die Rieslingfeier. Ein ähnliches Fest wollten wir in Deutschland auch auf die Beine stellen. Es sollte dabei vor allem ums Teilen besonderer Flaschen Riesling gehen. Und genau das passierte am 1. April 2017, und zwar besser als wir uns das in unseren kühnsten Träumen hätten ausmalen können.
In dem Zusammenhang geht der Dank nicht nur an die Winzer, die ein paar echte Schätzchen aus ihren Kellern entführten, sondern vor allem auch an die Gäste, die sich ebenfalls nicht lumpen ließen. Der Stolz und die Freude der Mitbringer, wenn die anderen Gäste am Tisch einen mitgebrachten Wein würdigen und er ihnen genauso gut schmeckt wie dem Mitbringer, ist priceless. Genau darum geht es. Natürlich ist es unmöglich, an einem Abend wie dem 1. April 2017 alle oder auch nur nahezu alle Weine zu probieren. Am Ende standen sicher 200 Flaschen in der Ahnengalerie. Die Winzer, die Sommeliers und die Gäste gaben sich aber von Anfang an die größte Mühe, mit ihren Flaschen durch den Raum zu gehen und schöne Erlebnisse mit anderen zu teilen.
Von vielen Tischen habe ich mittlerweile gehört, dass ihr Tisch der beste war. Das ist das größte Lob, das es geben kann. Ich persönlich bin natürlich der Meinung, dass der Koehler-Ruprecht Tisch, an dem ich saß, der beste war. Ist doch klar. Dominik Sona hatte eine 1988er Spätlese aus dem Kallstadter Saumagen, eine 1970er Auslese aus dem Kallstadter Kobnert und eine Magnum 2009er Auslese Trocken R aus dem Kallstadter Saumagen mit. Den Weg an unseren Tisch fanden auch noch die außerweltlich gute 2004er Auslese Trocken R, die 2007er Auslese Trocken RR und eine wirklich spannende 1986er Saumagen Trockenbeerenauslese.
Unser Sommelier Sebastian Bordthäuser war nicht nur ein phänomenaler Gute-Laune-Garant, sondern auch ein höchst kompetenter und vor Experimenten nicht zurückschreckender Gastgeber am Tisch. Wir starteten mit einer wunderbar mittelmoseligen 1993er Kestener Paulinsberg Spätlese von Gunther Steinmetz aus den Zeiten, als das Weingut noch völlig unbekannt war, und einer leider schon weitgehend oxidierten 1964er Nackenheimer Rothenberg Spätlese von Müller-Fiape. Zum ersten Gang (Beten und Rüben) hatten wir ein sehr spannendes Duo im Glas, nämlich eine 1993er Eitelsbacher Karthäuserhof Auslese Goldkapsel Nr. 43 vom Karthäuserhof und den einzigen Sachsen des Abends, nämlich ein 2009er Riesling & Traminer von Martin Schwarz. Beide Weine waren so unterschiedlich wie Weine aus (fast) derselben Rebsorte nur sein können, der Karthäuserhöfer sehr typisch und süffig ohne Ende, der Schwarz eher burgundisch, cremig, stoffig und knalltrocken.
Beim nächsten Gang, Fördegarnelen mit Birne, Haselnuss und Schwarzwurzel, war das Weinpärchen wieder sehr unterschiedlich. Die 2007er Kröver Paradies Spätlese „Deare“ von Martin Müllen war eher ein Wein, für den man sich den ganzen Abend nehmen muss, zunächst etwas unscheinbar, aber sehr delikat für sich genommen. Die Show stahl dem Müllen eine phänomenale 1975er Lieserer Schlossberg Auslese von Meyer-Horn, der mit Luft immer mehr aufdrehte und die besten Charaktereigenschaften des Jahrgangs und der Mittelmosel zeigte: grüne Frühlingskräuter, etwas luftiges und tänzelndes, feine Frucht im Hintergrund. Nebenher kamen gefühlt im Minutentakt weitere Weine vorbei, unter anderem ein sehr gutstypischer und vor Spannung berstender 2007 Lieser Niederberg-Helden Kabinett von Schloss Lieser und ein mächtiger 2007 Riesling Schlehdorn von Peter-Jakob Kühn, beide aus Magnum-Flaschen. Gerade mit dem Schlehdorn hätte ich mich gerne für ein paar Stunden verzogen, so komplex, sich immer verändernd und tiefgründig war er.
Es ging aber mit mehr Essen und Wein weiter. Zu mit dem besten Gang des Abends, einem confierten Saibling mit Kapern-Beurre Blanc, Pastinake und verschiedenen Wurzeln kam ein sensationelles Paar 1988er Spätlesen ins Glas, das unterschiedlicher nicht hätte sein können: die 1988er Maximin Grünhäuser Herrenberg Spätlese war jung, ruwertypisch, kräutrig, minzig und frisch; die 1988er Kallstadter Saumagen Spätlese von Koehler-Ruprecht hingegen war auf der einen Seite pfälzisch barock, dabei aber weder sonderlich süß noch schwerfällig, sondern ebenfalls sehr frisch und trinkanimierend. Zusammen mit dem Saibling, der Sauce und den erdigen Wurzeln ergab das eine außerweltliche Harmonie, die einem noch einmal die Versatilität gereifter restsüßer Rieslinge zum Essen vor Augen führte.
Jetzt war die Zeit für die trockenen Geschosse gekommen. Und hier zündeten Sebastian Bordthäuser an unserem Tisch und einige Gäste und Sommeliers von anderen Tischen ein regelrechtes Feuerwerk ab. Zu einem in Milch geschmorten Frischling wurden in kurzer Reihenfolge hintereinander ein 2002er Forster Jesuitengarten GC von Bürklin-Wolf, ein 2008er Rangen de Thann Clos St. Urbain von Zind-Humbrecht, ein 2000er Unendlich von FX Pichler, eine 2008er Abtserde von Keller, ein 2008er Rüdesheimer Berg Schlossberg von Georg Breuer, eine 2007er Kallstadter Saumagen Auslese Trocken RR von Koehler-Ruprecht, ein 2007er Niersteiner Pettenthal GG von Kühling-Gillot, ein 2007er Westhofener Morstein GG von Wittmann und ein 2009er Schlehdorn von Peter-Jakob Kühn eingeschenkt. In so kurzer Zeit kann man so tollen Weinen natürlich nicht vollends gerecht werden, Spaß gemacht hat jeder einzelne trotzdem.
Der 2008er Rangen de Thann war ganz besonders gut – kompakt, fest, komplex, würzig und ausgewogen. Der 2000er Unendlich zeigte alle Schwächen der Wachauer Geschosse aus der Zeit schonunglos auf – brandig, scharf, leicht faulig und unharmonisch, im Hintergrund war aber zu erkennen, dass das vielleicht mal ein guter Wein war. Der 2002er Jesuitengarten von Bürklin-Wolf war ein toller Wein, ging als ein sehr feiner und subtiler Vertreter seiner Art allerdings etwas unter. Die 2008er Abtserde von Keller war noch zu jung, sehr fest, leicht verschlossen und sehr typisch für die Abtserde Rieslinge mit feinen Bitternoten. Eine Schippe drauf legte da der 2008er Schlossberg von Breuer, der genauso tänzelnd, elegant und balanciert daherkam, wie es nur die Breuer Schlossberge können. Die 2007er Kallstadter Saumagen Auslese trocken RR war noch brutal jung, zeigte bei weitem nicht, was in dem Wein steckt, aber schon mal seine großartigen Anlagen. Das 2007er Pettenthal GG war sehr typisch für die Kühling-Gillot Weine der Zeit – relativ opulent, grenzwertig mit Bitternoten spielend, sehr würzig, spannend, aber auch ein bisschen anstrengend. Ganz anders der 2007er Morstein von Wittmann mit seiner kühlen, schlanken, sehr fein ziselierten, zitronig-frischen Art. Großartig. Wie der 2007er Schlehdorn war der 2009er Schlehdorn auch ein Wein für die Insel – so komplex und tief, das er kaum zu fassen ist. Ein Meisterwerk.
Mit Schrecken mussten wir feststellen, dass unser Weinfach im Chambrair schon fast leer war, irgendwie hatte kaum jemand daran gedacht, Süßwein mitzubringen. So mussten wir etwas mehr an den Nachbartischen schnorren. Zu einem Honigmousse mit Moosgranité und Hutzelbrot hatten wir eine ganz schöne, aber etwas unsaubere 1976er Brauneberger Juffer BA von Gunther Steinmetz und eine sehr extreme 1998 Oestricher Lenchen BA von Peter-Jakob Kühn, in die so viel Süße, Säure und Geschmack reingepresst war, dass es nur schwer zu glauben war, dass dieses Elixir aus Trauben hergestellt wurde. Und dann kamen die Extras, diverse Grünhäuser, Prüms, ein spannendes Duo aus Schloss Eltz Beerenauslesen – 1964 Rauenthaler Wieshell vs. 1971 Eltviller Sonnenberg, zwei Mal eine 1983er Saarburger Rausch Auslese von Geltz-Zilliken, die so klar wie ein Gebirgsbach war, und am Ende noch (wenn ich mich entscheiden müsste) der Wein des Abends.
Für Weine wie die 1971er Scharzhofberger Beerenauslese Eiswein von Egon Müller lohnt es, zu leben. Die Bernsteinfarbe täuschte. Der Wein war jung und frisch, kräutrig, voll von reifer frischer Frucht (weißer Pfirsich, knackiger Apfel, fein würzig und irre komplex. Seine aromatische Brillanz, Präzision und Klarheit, gepaart mit dem nicht zu beschreibenden Magic Touch der allerbesten Weine der Welt lohnte allein für sich schon den Abend.
Dann war tatsächlich, man mochte es am Anfang des Abends kaum glauben, der Wein alle und der Abend klang gemütlich aus. Der Riesling SWAG war – aus Gastperspektive – durchaus herausfordernd: so viele Gesichter, Leute, mit denen man noch in Ruhe reden wollte, so viel großartiger Wein, für den nur wenig Zeit zur Verfügung stand oder der an einem vorbei ging, so viele Eindrücke in nur ein paar Stunden. All das war aber egal, es ging an dem Abend darum, sich treiben zu lassen, sich zurückzulehnen und das zu genießen, was gerade vor der eigenen Nase passierte. Und das war ein Riesling Feuerwerk par excellence mit bestens aufgelegten Sommeliers und Vertretern der Weingüter, aufgeschlossenen und gut gelaunten Gästen und unvergesslichen Weinen.
Wir danken dem VLET, Coravin und effilee für die Unterstützung des SWAG. Das Copyright sämtlicher Fotos liegt bei Ralf Kaiser
Da wäre ich gern dabei gewesen
Seit ich als Oberschwabe bei der Hochzeit meiner Tante in Alf an der Mosel dabei war, schwenke ich zuerst den Riesling im Glas, begucke seine ‘Krallen’, und genieße so einen lebensfrohen Beitrag. Ja, auch ich wäre gerne mit von der Partie gewesen!