Als ich vor zehn Jahren damit begonnen habe, Probennotizen von Weinen hier im Blog zu veröffentlichen, schrieb ich bereits im fünften Beitrag über den Begriff Mineralität. Dort heißt es zu einem Saar-Riesling von van Volxem: „Am Gaumen ebenfalls Pfirsich, relativ fruchtsüß, adstringierend und sehr mineralisch. Intensiver, dichter Geschmack. Im Abgang dominiert die Mineralik.“ Ich habe damals wohl zu jenen gehört, die den Begriff früh benutzt haben, seit rund zehn Jahren werden die Begriffe Mineralik und Mineralität bei Weinbeschreibungen nahezu inflationär verwendet. Die Erwähnung von Mineralität im Wein begann durch englische und französische Weinkritiker ab den Achtzigerjahren. Mineralität geht oft einher mit einem zweiten immer noch populären und oft diskutierten Begriff, der sich ebenso als Schlagwort etabliert hat. Es ist der Begriff des Terroirs. Beide Begriffe sind nicht neu. Französische Benediktiner-Mönche haben das Wort terroir schon im 6. Jahrhundert eingesetzt und terroir bzw. die Umschreibung le goût du terroir sind fest im französischen Sprachgebrauch verankert. International populär wurde der Begriff jedoch erst, als man begonnen hat, eine bestimmte Sorte an Weinen von Industriewein abzugrenzen. Das Terroir wurde also erst dann wirklich wichtig, als vor allem amerikanische und australische Weinfirmen wie beispielsweise Gallo oder Penfolds im großen Stil damit begonnen hatten, Weine im Keller zu komponieren. Terroirwein, jenes artisane Produkt, das aus einem Zusammenspiel von einem spezifischen Boden, dem Mikroklima, der oder den Rebsorten und der Hand des Winzern entsteht, grenzt sich deutlich von Weinen ab, die aus Trauben unterschiedlichster Gegenden und mit Hilfe von ausgefeilter Kellertechnik entstehen.
Doch ebenso, wie Terroir im Mainstream der Weinbeschreibungen angekommen ist, macht nun auch der Begriff Mineralität in diesem Kopfbahnhof seinen Halt. Und das, obwohl noch zu klären wäre, was der Begriff überhaupt bedeutet. Und was jene, die ihn verwenden, damit meinen. Was assoziieren wir, wenn wir etwas als mineralisch bezeichnen? Sind wir verkappte Bodenkundler? Oder vergleichen wir Wein gerne mit dem erfrischenden Aspekt von Mineralwasser? Reden wir alle überhaupt von der gleichen sensorischen Erfahrung, wenn wir den Begriff Mineralität mit Wein verbinden? Oder handelt es sich um eine babylonische Sprachverwirrung, weil in den letzten Jahren ein neuer Typ Wein populär geworden ist, dem wir mit dem üblichen Vokabular nicht beikommen? Es scheint an der Zeit, dem Phänomen Mineralität einmal näher auf den Grund zu gehen. Beginnen wir deshalb genau dort, wo wir Minerale finden. Im Boden.
Der Boden
Schon mit der Definition des Bodens beginnt die Ungenauigkeit. Was ist eigentlich Boden? Worin wurzelt die Weinrebe? Wo beginnt Boden? Und wo hört er auf? Im Deutschen nutzen wir den Begriff meist für die gesamte Tiefe des Bodens und wir unterscheiden kaum zwischen Mutterboden und Ausgangsgestein. Im englischen Sprachraum wird dagegen recht klar zwischen soil (Boden, Auflage) und bedrock (Untergrund, Muttergestein) differenziert. Schaut man wissenschaftlich auf den Boden, dann beginnt ein Bodenprofil mit dem Organischen Auflagehorizont (O-Horizont), also mit dem, was wir gerne als Grasnarbe bezeichnen; dann folgt der belebte, humusreiche Mutterboden (A-Horizont) und der geht recht schnell – nach etwa zehn bis 80 Zentimetern – in den B-Horizont, den verwitterten Unterboden über. Der B-Horizont ist das Zwischenreich voller Verwitterungs- und Verlagerungsvorgänge, in denen das unverwitterte Ausgangsgestein über lange Zeiträume hinweg zersetzt wird. Es ist der Bereich, in dem die Verwandlung passiert.
Das Ausgangsgestein besteht aus Kristallen, deren chemische Verbindungen unterschiedlichste Minerale bilden. Auch wenn es knapp 100 vorkommende Elemente gibt, so findet man im Ausgangsgestein fast ausschließlich nur acht davon: Sauerstoff, Silizium, Aluminium, Eisen, Magnesium, Calcium, Kalium und Natrium. Dabei dominieren der Sauerstoff mit durchschnittlich 46 % und das Silizium mit 28 %. Was darüber hinaus im Ausgangsgestein vorkommt, macht meist das Spezifische eines Bodens aus. So finden sich in manchen Böden der Weststeiermark größere Vorkommen von Karbon bzw. Graphit. In manchen Lagen der Appellation Moulin-à-Vent im Beaujolais findet sich Mangan. Am Etna und Vesuv gibt es hohe Schwefelvorkommen. Berühmt sind die roten, eisenhaltigen, Terra Rossa genannten Böden Coonawarras, Apuliens oder der La Mancha. Bekannt ist auch die Eisenader Crasse de Fer im Pomerol oder das Aluminiumerz Bauxit, das seinen Namen von der Ortschaft Les-Beaux-de-Provence hat. All diese chemischen Elemente, die sich zu Kristallen gruppiert haben, wurden irgendwann mit großem Druck zu etwas zusammengepresst, was wir Gestein nennen. Dabei streiten sich Geologen bis heute darüber, wie man Gestein überhaupt klassifizieren kann. Denn Gestein, das im Prinzip aus den gleichen Mineralen besteht, kann unterschiedlich aussehen und unterschiedliche Eigenschaften besitzen. Schon kleinste Einflüsse von Aluminium beispielsweise können den glasklaren Quarz rauchig machen, Titanium macht ihn rosig, Eisen macht ihn violett. Manche kristallinen Strukturen können okkupiert werden. So kann im Calcit, das aus Calcium, Karbon und Sauerstoff besteht, Magnesium an die Stelle von Calcium treten, weil es fast identisch aufgebaut ist. Wenn sich Calcium und Magnesium die Waage halten, nennt man das Mineral Dolomit. Überwiegt der Magnesium-Anteil, nennt man das Mineral Magnesit. Egal, welche Minerale vorkommen, sie haben sich aus Elementen gebildet, deren Elektronen starke Bindungen eingegangen sind, und zwar in Form von kristallinen Strukturen. Diese kristallinen, festen Strukturen dienen zwar der Bestimmung von Weinbergsböden, sie tauchen auch gerne auf den Etiketten von Weinen auf und geben ihnen Namen, doch sind sie zunächst einmal auf Grund ihrer Struktur und Größe nicht geeignet, Pflanzen mit Nährstoffen zu versorgen.
Die Metamorphose vom Mineral zum Nährstoff
Es bedarf der Kräfte von außen, die Minerale des Ausgangsgesteins in etwas zu verwandeln, das von den Pflanzen aufgenommen werden kann. So wurde und wird solider Fels über Jahrmillionen hinweg chemisch, biologisch und auch physisch attackiert. Sobald das Gestein dem Wasser, der Hitze, dem Wind, dem Eis, der Schwerkraft oder auch Wurzeln ausgesetzt ist, entstehen durch Verwitterung Sedimente, zunächst Kiesel, dann Sand, Schluff und Tonerde bzw. Lehm als Mischung der drei Komponenten. Diese Sedimente sind meist irgendwann aus höheren Lagen herab gerutscht, wurden von Flüssen angeschwemmt, von Gletschern transportiert oder sind angeweht worden. Mit diesen Sedimenten vermischt sich im Laufe der Zeit verrottendes biologisches Material, denn auf einer verwitternden Gesteinsoberfläche bilden sich Moose und Flechten, die von Pilzen, Bakterien und anderen Lebewesen zur Nahrungsaufnahme genutzt werden. Irgendwann folgt eine Schicht Humus voller Leben. Man schätzt, dass in einer Schaufel Erde mehr Mikroorganismen existieren als Menschen auf der Erde und in einem Hektar Weinberg leben drei bis vier Milliarden Insekten. All diese Lebewesen leisten eine Arbeit, die dem Rebstock zu Gute kommt. Verrottendes Material wird durch Tiere, Pilze und Mikroorganismen in organische Verbindungen wie Zucker, Zellulose und Proteine und dann in makromolekulare Strukturen zersetzt und – auch in einfache anorganische Verbindungen. Sie werden mineralisiert. Minerale entstehen also schon durch Verrottung.
Gleichzeitig werden die fein zerstäubten Minerale der Sedimente in Wasser gelöst. Sie müssen nun in die extrem feinen Membrane der Wurzelhärchen gelangen. Diese können jedoch lediglich Wassermoleküle aufzunehmen, Mineralnährstoffe bleiben zunächst außen vor. Sie benötigen so etwas wie einen Fürsprecher und einen Begleiter. Dieser Funktion haben Tonminerale, weil sie über eine hohe Kationenaustauschkapazität verfügen. Und Pilze, die mit etwa 80 % aller Landpflanzen eine Symbiose eingehen. Pilze umhüllen die Wurzelhärchen der Pflanzen und bilden so etwas wie einen gleitenden Übergang in die umgebende Ton- und Humusschicht. Pilze geben Nährstoff-Ionen in die Pflanze und erhalten dafür einen Teil der aus der Photosynthese entstandenen Energie. Über diese Absorption gelangen Magnesium, Kalzium, Eisen, Zink oder Natrium und zusätzlich Anionen wie Chloride, Fluoride und Sulfate in den Stoffwechsel der Pflanze. Die Bedeutung dieser Symbiose ist erst ansatzweise erforscht, scheint aber höchst bedeutsam zu sein. Denn über die feinsten, teils Kilometer weiten Verästelungen der Symbiose, werden die Pflanzen nicht nur versorgt, sondern auch zum Informationsaustausch angeregt.
Die Rebe weiß natürlich sehr genau, was sie braucht. Sie braucht rund 17 verschiedene Nährstoffe, die sie zum Wachsen benötigt, und jede Rebsorte braucht wiederum spezifische Dosen diverser Elemente. Man ist sich in der Oenologie heute weitgehend darüber einig, dass ein vom Terroir geprägter Wein nur dann entsteht, wenn die Rebe die Chance hat, dieses Terroir auch zu nutzen. Das heißt, sie muss sich mit ihren Reben durch den Boden, den Unterboden und durch das Gestein kämpfen, um an all die Nährstoffe zu gelangen, die sie braucht. Je lebendiger der Boden, desto eher findet die Rebe diese Nährstoffe. Führt man die Nährstoffe nur mit Hilfe von Mineraldüngern oder Mineralsalzlösungen zu, entsteht keinen mineralischer Wein. Mehrere Jahrzehnte modernen Weinbaus mit starker Düngung der Oberböden haben dies eindeutig bewiesen. Die Rebe muss tief durch den Boden, um Charakter in den Wein zu bekommen. Dieser wird dabei ganz eindeutig von den unterschiedlichen Vorkommen von Gesteinen und den in ihnen verbundenen Mineralien beeinflusst. Wie das genau funktioniert, kann man naturwissenschaftlich bisher nicht erklären. Man weiß allerdings sehr wohl, dass in dem komplexen Gefüge zwischen Rebe, Pilzen, Insekten, Humus, Mikroorganismen und Mineralen eine weitere Komponente für die spätere Textur und Struktur des Weins wichtig ist:. der pH-Wert des Bodens. Er bestimmt die Ausprägung der Säure.
Eine chemische Übersetzung von Mineralität
Die Rebe übersetzt das Spezifische des Bodens in den Saft der Trauben. Mineralsalze helfen dabei. Doch wie kommen die Minerale, die wir zu schmecken glauben, in den Geruch und den Geschmack von Wein? Fragt man Bodenkundler wie Alex Maltman (Professor for Geography and Earth Sciences, Aberystwyth University, Wales) oder Sensoriker wie Erich Leitner (Professor für Analytische Chemie und Lebensmittelchemie, TU Graz), dann ist eines klar: Minerale riechen nicht und sie schmecken auch nur sehr bedingt. Kalium, Natrium und Calcium, jene Nährstoffe, die am stärksten aufgenommen werden, können in höheren Konzentrationen salzig schmecken. Diese Salzigkeit, die tatsächlich gerne als Ausdruck von Mineralität gesehen wird, hat jedoch nur sehr wenig mit dem Terroir zu tun – so die Bodenkundler. Doch jeder, der gerne und enthusiastisch kocht, weiß, wie unterschiedlich Salze schmecken können und welche Wirkung sie als Geschmacksverstärker haben. Obwohl es sich bei allen Salzen zunächst einmal nur um simples Natriumchlorid handelt, gibt es sensorisch doch deutliche Unterschiede zwischen einem Meersalz, einem sogenannten Himalaya-Salz (auch wenn es aus Polen stammt), einem Steinsalz oder einem hoch verarbeiteten Speisesalz. Dieser Unterschied kann ähnlich groß sein wie der zwischen einem handgemachten Jura-Chardonnay und einem Industrie-Chardonnay aus dem Pays d’Oc. Man kann daraus folgern, dass die Rebe ebenfalls qualitativ unterschiedliche Salze aufnehmen kann, wie wir es bei der Nahrungsaufnahme tun. Und weil die Salze mit anderen Stoffen interagieren, prägen sich Geschmacksunterschiede aus.
Der Rebstock entwickelt seine Trauben zu 98 % aus Wasser, Luft und der Photosynthese. In den restlichen zwei Prozent finden sich bis zu 8.000 verschiedene Substanzen, die oft nur im Nanogramm-Bereich abgebildet werden können. Wie stark die Auswirkungen dieser Nano-Substanzen sein können, zeigt sich beispielsweise an einem Stoff, der Weine deutlich in die Richtung von gefühlter Mineralität beeinflusst. Es ist das Benzylthiol. Es sorgt für einen Geruch von Feuerstein, Rauch oder verbrannten Zündplättchen. Es kommt vor allem im Chardonnay oder reifen Champagner vor und findet sich auch in Weinen aus dem Chablis, oder in einem Sancerre und einem Pouilly-Fumé. Natürlich liegt es auf der Hand, dass man bei Sauvignons oder Chardonnays, die betont handwerklich gemacht sind, direkt an Feuerstein im Boden denkt – vor allem, wenn man ihn auch zu riechen glaubt. De facto aber stammt der Geruch zunächst einmal von einer chemischen Verbindung, die während des Gärprozesses entsteht. Laut Professor Erich Leitner würden 8 Milligramm Benzylthiol ausreichen, um die gesamte Weltweinproduktion von 260 Millionen Hektolitern nach Feuerstein duften zu lassen.
Von den 8.000 Substanzen sind nur etwa 50 näher erforscht – ein sehr geringer Bruchteil. Dabei handelt es sich vor allem um Zucker und nichtflüchtige Säuren wie Apfelsäure oder Milchsäure. Verdampft man nun den wässrig alkoholischen Anteil des Weins, bleiben Trockenstoffe von 17 bis 30 Gramm pro Liter übrig. Man findet in diesen vor allem Phenole, Thiole, Eiweiße, Stickstoffverbindungen, Spurenelemente, Vitamine, nicht flüchtige Alkohole und Mineralstoffe. Je nach Rebsorte und je nach Boden unterscheidet sich diese Zusammensetzung erheblich. Analysiert man die Asche — so nennt man die Gesamtheit der Mineralstoffe und Spurenelemente im Wein —, dann spricht ein höherer Anteil an Spurenelementen im Wein für eine erhöht wahrnehmbare Mineralität. Doch wie wird diese überhaupt empfunden?
Der Duft der Minerale
Fragt man Probanden, geschulte Verkoster wie Weinliebhaber, womit sie Mineralität im Geruch von Wein verbinden, dann sprechen diese zunächst über eine Handvoll olfaktorischer Eindrücke. Genannt wurde schon der Geruch von Feuerstein bzw. Schießpulver. Oft wird auch ein kalkiger Geruch im Wein wahrgenommen, der Rückschlüsse auf den Ursprungsboden suggeriert. Auch der Duft von trockenem Stein, der mit Wasser begossen wird, taucht häufig auf. Dazu kommen Noten von Zitrus, einer Säure, die schon in der Nase wahrgenommen werden will, sowie leichte Schwefelnoten. Auch die weitgehende Abwesenheit von Frucht wird mit Mineralität in Verbindung gebracht. All diese Verbindungen kann man zwar chemisch erklären, sie basieren aber nicht auf dem eigentlichen Mineralgehalt der Weine. Man kann jedoch davon ausgehen, dass die chemischen Verbindungen – die vor allem während des Gärprozesses entstehen und insofern vor allem auch mit den verwendeten Hefen in Zusammenhang stehen – mit dem Weinbergsboden korrelieren. Zwar kann man beispielsweise den Feuerstein-Ton eines Weines durch eine bestimmte Ausbauart deutlich fördern, es gibt aber auch Weinbergslagen, für deren Weine genau diese Note – die ja von der Verbindung Benzylthiol herrührt – typisch ist. Pouilly-Fumé trägt die Andeutung schon im Namen. Doch auch im Riesling Grand Cru Kastelberg aus Andlau im Elsass findet man den Feuerstein. Und auch in Rieslingen aus dem Batterieberg in Enkirch an der Mosel. Und zwar nicht nur in aktuellen Jahrgängen, sondern auch in Auslesen aus den frühen Siebzigerjahren. Das liegt jedoch nicht an einem etwaigen Feuerstein-Anteil im Boden, denn den gibt es im Batterieberg ebenso wenig wie im elsässischen Andlau.
Auch für den Geruch nach nassem Stein gibt es eine Erklärung, die völlig unabhängig von etwaigen Mineralvorkommen ist. Eigentlich wird der Duft von nassem Stein von Pflanzen ausgelöst, die sich am Stein angesiedelt haben. Solche Flechten besitzen einen Keimungsverzögerer in Form einer leicht öligen organischen Substanz, die man Petrichor nennt. Da diese Substanz von den Pflanzen aber weder eingelagert noch transportiert wird, kann sie im Wein nicht vorkommen. Das Gehirn bildet also – wie bei vielem – eine Assoziation, die durch eine der vielen tausend Verbindungen im Wein hervorgerufen werden kann.
Der Geschmack der Minerale
Die schon erwähnte Salzigkeit ist der einzige bisher nachweisbare direkte Geschmack, den Minerale erzeugen können. Was aber wird noch als geschmacklich mineralisch erkannt? Die Texturen am Gaumen, im Wesentlichen hervorgerufen durch Säuren, erzeugen eine Spannung im Mund, die wir als erfrischend mineralisch und steinig übersetzen. Diese Spannung bezeichnet der elsässische Winzer und Master of Wine Olivier Humbrecht als „eine osmotische Erfahrung“. Der Weinautor Clark Smith bezeichnet sie in seinem Buch „Postmodern Winemaking“ als taktile Erfahrung im oberen Teil des hinteren Mundraums. Als Grund dafür nimmt er die Abgabe von Elektronen durch metallische Elemente an, die umso wahrnehmbarer wird, je höher der Mineralgehalt im Wein ist, je deutlicher die Apfelsäure ausgeprägt und je reduktiver der Wein ausgebaut sei. Wird der Wein länger gelagert, so Clark, schleiche sich Sauerstoff ein, der Wein oxydiere langsam und die taktile Spannung gehe verloren.
Die These unterstützt zum Beispiel auch der Weinmacher Tyler Thomas, der in Höhenlagen von Sonoma vom Lesematerial alter Rebstöcke so genannte Cool-Climate-Weine herstellt, die genau in das Bild von mineralischen Weinen passen. Für ihn ist das „Mundgefühl“ seiner Chardonnays etwa so, als würde man an einer 9-Volt-Batterie lutschen. Thomas erklärt dieses Mundgefühl vor allem durch die Art der Säure, die seine alten Reben liefern würden. Denn der Säuregehalt sei beim Erreichen der Reife anderthalb- bis zweimal höher als bei jungen Reben. Auch für Olivier Humbrecht sind neben dem aktiven Bodenleben in der Humusschicht vor allem die tiefen Wurzeln der alten Rebstöcke ein entscheidendes Kriterium für Mineralität. Das unterirdische Geäst würden neben der veränderten Säure auch mehr Minerale in den Wein bringen. Gerade in leichteren Böden mit höheren Anteilen von Ton-Sedimenten und einer stärkeren Erosion würden die Reben davon profitieren. Und genau das ließe sich später im höheren „Ascheanteil“ des Weins nachweisen.
Ein amüsantes Experiment dazu, gibt es vom US-Winzer Randall Grahm zu berichten. Er hat mehrere Tanks mit demselben Wein, aber zusätzlich mit verschiedenartigem Gestein befüllt: „Wir waren in der Lage, signifikante Unterschiede festzustellen. Es gab große Unterschiede in der Textur und entsprechend im Mundgefühl und darüber hinaus dramatische Unterschiede in Bezug auf die Aromatik, die Länge und die Beständigkeit der Aromen. Wäre das eine Möglichkeit für die Weinindustrie, Mineralität vorzugaukeln? Will die Weinindustrie dieses Mineralische überhaupt forcieren? Die weitgehende Abwesenheit von Primärfrucht in einem als mineralisch empfundenen Wein passt nicht in das Bild eines kommerziell gemachten Weins. Ebenfalls nicht die starke Betonung der Säure und der weitgehende Verzicht auf Süße. Auch der nasse Stein sowie der Geruch eines aufflammenden Streichholzes hat eigentlich in einem Massenwein nichts zu suchen und wird eher als Fehler denn als Gewinn betrachtet.
Begriffsklärung und der geosensorische Blick auf den Wein
So schlagworthaft der Begriff Mineralität auch genutzt werden mag, so unterschiedliche Ideen viele Weintrinker dazu haben mögen, so wichtig eine exaktere Definition auch sein mag, so wird doch klar, dass die Verwendung des Begriffs Mineralität einem bestimmten Typus Wein zugeordnet werden kann. Die Quintessenz aller sensorischen Studien könnte also diese sein: Der Einfluss des Bodens auf den Geruch eines Weines kann nach heutiger Erkenntnis nur indirekt sein. Sämtliche mit Mineralität und Boden verbundenen Sinneseindrücke entstehen im Keller und dort vor allem während der Gärung. Mineralität ist also eine geschmackliche Wahrnehmung. Diese bildet sich dadurch, dass sich mineralische Weine nicht primär über Frucht definieren. Phenole, Thiole und vor allem Säuren charakterisieren den Wein viel stärker. Da Säuren, vor allem Apfelsäuren bei Weißweinen stärker im Vordergrund stehen als bei Rotweinen, werden Weißweine auch viel häufiger als mineralisch bezeichnet. Bei Rotweinen ist es vor allem dann der Fall, wenn beim Rotwein ebenfalls die Säure eine stärkere Rolle spielt. Ein typischer Rotwein definiert sich vor allem durch seine Frucht und das Tannin. Ein mineralischer Rotwein ist säurebetonter, wirkt frischer und das Holz ist nicht dominant sondern wirkt unterstützend. Bei Rot- wie bei Weißwein schaffen die Säuren einen vibrierend energiegeladenen Eindruck am Gaumen.
Der mineralische Wein ist also vor allem ein Charakterwein, auch wenn in Ausnahmefällen ganz einfache, aber vibrierend frische Weine wie Vinho Verde oder Picpoul de Pinet mineralisch wirken können. Der mineralische Wein spiegelt sein Terroir wider und ist vornehmlich ein handgemachter Wein. Und zwar in einer Weise, die direkt auf den Charakter und die Typizität des Bodens setzt. Mineralität ist der Begriff, der einem Wein entgegensetzt wird, der vor allem mit Hilfe technischer Maßnahmen entstanden ist. Und vielleicht ist deshalb der Begriff Mineralität tatsächlich passend, auch wenn er irreführend sein mag. In den Augen jener, die ihn gerne benutzen, ist Mineralität etwas, das eben doch stark mit dem Ursprungsboden in Verbindung steht und nicht aus dem Zutatenregal stammt. Es ist etwas, das mit dem Revival des Terroirs zu tun hat, so wie die großen französischen Weinmacher Jules Chauvet, Henri Jayer, Michel Lafarge oder Pierre Overnoy das Terroir begriffen haben. Auch sie haben Mineralität vornehmlich als ein Phänomen der Salzbildung und einer Lebhaftigkeit durch Säurebetonung begriffen. Das, was diese Weine ausmacht, ist letztlich eine besondere Textur. Und auch wenn das, was als mineralisch begriffen wird, durch organische Chemie beeinflusst werden kann, sind sich die meisten Önologen einig, dass Weine, die als mineralisch angesehen werden, Übersetzer eines spezifischen Bodens sind. Sie tun das laut Claude Bourguignon – dem bekannten französischen Mikrobiologen, der so gut wie alle namhaften Weinberge dieser Welt kennt – mit Hilfe von Enzymen, die auf die Mineralstoffe angewiesen sind, um ihr Werk als Katalysatoren der Aromabildung überhaupt durchführen zu können. Dafür benötigt die Rebe eine tiefe Verwurzelung, ein aktives Bodenleben in der Humusschicht, gemäßigte Erträge, gemäßigte Eingriffe ins Bodenleben und dabei vor allem Substanzen, die unterstützen und nicht abtöten. Ist dies gegeben, wird laut Jacky Ribeaux – Weinjournalist und Dozent an der Université de Bourgogne – so etwas wie ein geosensorischer Blick auf den Wein möglich, der trotz aller Komplexität, die den Entstehungsprozess von Wein ausmacht, seine Herkunft klar offenlegt.
Dieser Artikel erschien als Original in der dritten Ausgabe des Weinmagazins SCHLUCK.
Hallo Christoph,
einen interessanten Beitrag im Geist des aufklärenden Rationalismus hast Du da geschrieben. Ich finde es prima, dass Du systematisch zu beschreiben versuchst, was man zur Frage der Mineralität schon weiß und (ansatzweise) erklären kann und was eben auch nicht. Mich stört es, dass viele Weinautoren fortwährend Mythen reproduzieren und das Geschriebene nie hinterfragen.
Da könnten die auch gleich die Jungfrauengeburt propagieren.
Ich selber hatte vor einigen Jahren mit Prof. Ulrich Fischer aus Neustadt diskutiert, ob Mineralität schmeckbar oder nur riechbar oder beides ist und was dafür Trägersubstanzen sein können. Damals hatte Prof. Fischer einen Text in der Weinwelt veröffentlicht.
Damals habe ich auch versucht, das mal für mich zusammenzuschreiben. Wirklich schwierig, zumal immer auch die Hefen ins Spiel kommen: Ist Terroirausprägung überhaupt möglich ohne Spontanvergärung? Und was ist das überhaupt – Spontangärung?
Neu für mich waren jetzt das Benzylthiol und Petrichor. Hast Du dazu Quellen?
Und kennst Du die Dissertation von Andrea Bauer: “Terroirausprägung bei der Rebsorte Riesling: Korrelation sensorischer, chemischer, klimatischer und bodenkundlicher Parameter”? Findest Du als Volltext im Netz.
Die Kurzzusammenfassung des dahinter stehenden Versuches findest Du hier: http://www.dlr-rnh.rlp.de/Internet/global/themen.nsf/0/B1F116CF60B0E0F8C1257282003EF391?OpenDocument
Schönen Gruß und bis bald mal!
Hallo Thomas,
Prof. Fischer werde ich kommenden Monat bei der Fachveranstaltung “Boden und Weindiversität #3” in Oppenheim treffen, worauf ich mich schon freue. Da wird auch Jean-Claude Hofstetter sein, ein Schweizer Geologe, der sich ebenfalls intensiv mit dem Thema beschäftigt. Die Literatur, die ich verwendet habe (und auch in der Printversion angegeben habe, hier hatte ich es vergessen) ist Folgende, wobei Leitner über Benzylthiole schreibt und Schneider über Petrichor.
Clark Smith: Postmodern Winemaking, University of California Press, Berkley, 2013;
Jacky Rigaux: Geosensorial Tasting, Terre en vues, Clemency, 2015;
James E. Wilson: Terroir, Schlüssel zum Wein, Hallwag, Bern und Stuttgart 1999;
Robert E. White: Understanding Vineyard Soils, Oxford University Press 2015;
Alex Maltman: Between A Rock and a hard place – Vineyard Soils in The World of Fine Winr Issue 45/2014;
Alex Maltman: Minerality in Wine – a geological research in Journal of Wine research, 24:3, 2013;
Jamie Goode and Sam Harrop: Authetic Wine, University of California Press, Berkeley, 2011;
Volker Schneider, Mineralität: Fakten, Mythen und Spekulationen zu einem sensorischen Schlagwort, Die Winzer-Zeitschrift, April 2015;
Elaine Chukan Brown: Sensing Minerality, Wine Business Monthly, April 2013;
Erich Leitner: Mineralität aus Sicht der Aromaforschung, Vortrag gehalten im Weinforum Burgenland 18.03.2014;
Andrea Bauer: Terroirausprägung bei der Rebsorte Riesling: Korrelation sensorischer, chemischer, klimatischer und bodenkundlicher Parameter; Terroirausprägung bei der Rebsorte Riesling: Korrelation sensorischer, chemischer, klimatischer und bodenkundlicher Parameter, 2008
Olivier Humbrecht MW: Minerality in Wines – the biodynamic perspective;
Olivier Humbrecht MW: Minerals mean life in Tong Magazine No.2, 2009
liebe Grüße, Christoph
Danke für Deine Antwort, Christoph.
Die Quellen habe ich mal gesichtet und auf Wiedervorlage gespeichert. mein Text von 2011 braucht eine Überarbeitung!
Interessante Veranstaltung in Oppenheim. Mal schauen, ob noch Platz ist und ob ich das noch organisiert bekomme. Würde mich nämlich wirklich interessieren. Prof. Fischer ist übrigens sehr nett: Zugewandt, kommunikativ und natürlich sehr sachkundig. Mir gefällt besonders, dass er ganz sachlich an das Thema geht. Welche Kausalzusammenhänge kann man belegen und sensorisch nachvollziehbar machen und welche nicht? Und das ist doch die entscheidende Frage!
Diskutiert habe ich 2009 mal mit ihm, ob “Mineralität – mineralisch” nun ein Geruchs- oder ein Geschmackseindruck ist oder beides.
Ich persönliche verwende den Oberbegriff “Mineralität” assoziativ, wenn ich olfaktorisch bzw. retronasal Feuerstein, feuchte Tafelkreide oder “warmen Asphalt nach Gewitter” wahrnehme und den Wein als ätherisch-kühl wahrnehme. Geschmacklich zeigt sich “Mineralität”, wenn der Wein eine salzige Note an den vorderen Zungenrändern hervorruft und Speichelfluss auslöst. Letzteres zeigt sich meines Erachtens nicht nur bei Weinen ohne Frucht oder bei Weinen mit kräftiger Äpfelsäure, wie manche Kritiker meinen. Das erleichtert vielleicht manchmal die Wahrnehmung von “Mineralität”, bedingt sie aber m. E. nicht.
Insofern zeigt sich “Mineralität” geruchlich etwas vielfältiger als geschmacklich. Aber das ist ja logisch, weil wir mit unserer Zunge evolutiv bedingt nur 5 Geschmacksrichtungen wahrnehmen können, während unser Geruchssinn zigtausende von Gerüchen differenzieren kann.
Außerdem lehne ich eine inflationäre Verwendung des Begriffes “Mineralität” ab. Man sollte ihn nur verwenden, wenn es um die assoziative Benennung von sinnlichen Eindrücke geht, die “an was mit Steinen oder Erde” erinnern und die man nicht anders benennen kann.
Ich halte es daher z.B. für unsinnig, die geruchlichen Noten “Rauch” und “Speck” unter “Mineralität” zu verbuchen. Völlig unverständlich finde ich Wendungen wie “dunkle Mineralität” versus “helle Mineralität”. Das erachte ich als Geschwurbel, denn Dunkelheit bzw. Helligkeit kann der Mensch weder riechen noch schmecken. OK, ich bin kein Synästhetiker, muss ich einschränkend zugeben. Ich kenn aber jemanden, der sowas schreibt und auch keiner ist 😉
Bin gespannt auf andere Kommentare.
Dir eine gute Zeit
Thomas
[…] als beim Aussteiger die Zündplättchen, was, wie es heißt, vom beim Gärprozess entstandenen Benzylthiol stammt. Im Mund ist der Nierstein-Silvaner sehr floral, apfelig, erfrischend und erinnert mich […]