“The same procedure as last year, Miss Sophie?”
“The same procedure as every year, James!”
Wer seit Jahren auf die Vorpremiere der Großen Gewächse des VDP eingeladen wird, könnte sich ein wenig so fühlen. Der Ort ist der selbe, das Ganze ist ein großes Klassentreffen der vergleichsweise ja kleinen Gemeinde aus Weinprofis, Schönwetterjournalisten, Sommeliers und Weinhändlern, die immer wieder durch vor allem neues internationales Publikum aufgewertet wird. Gleichzeitig ist die Vorpremiere aber auch immer gleich auf sehr hohem Niveau organisiert, was wichtig ist, wenn man drei Tage durchhalten will, um bis zu 470 GGs zu probieren.
Meine eigene, immer gleiche Prozedur ist die, mit Franken anzufangen. Da bin ich in diesem Jahr gut im Training, weil zusammen mit dem Sommelier Sebastian Russold schon für den Feinschmecker Wineguide in der letzten Woche ein paar Dutzend Weingüter verkostet habe.
Silvaner Flight 1
Es gibt vier Flights mit 19 Weinen von 2019 (Castell Schlossberg) bis 2023. Der Fürstlich Castell’sche Domaine 2019 Castell Schlossberg bildet einen perfekten Einstieg ins Geschehen. Der Wein wirkt jung und quicklebendig, duftig, floral mit saftigem Steinobst und einer gelungenen Cremigkeit am Gaumen. Die Reife des Weines drückt sich höchstens in der Komplexität aus, die aber nicht etwa anstrengend, sondern eher kurzweilig wirkt. Der Am Stein – Ludwig Knoll 2022 Stetten Stein wirkt dagegen etwas kühler, steiniger und etwas phenolischer. Es gibt mehr Textur am Gaumen, mehr Grip bei feiner Saftigkeit. Beim Rudolf May 2023 Retzstadt Himmelspfad gibt es in diesem Jahr deutlich mehr Holz als bisher, oder ist es aufgerührte Hefe, oder beides? Jedenfalls hat der Wein einen tropisch-exotischen Einschlag, den ich so von dem Wein nicht kenne. Das wirkt sich auf die gesamter Aromatik aus. Dabei besitzt der Wein durchaus eine schöne Tiefe, Länge und Festigkeit, aber das Tropische gefällt mir aktuell nicht so gut. Das kommt auf Wiedervorlage. Viel klarer und aktuell präziser wirkt dagegen der Rudolf May 2023 Thüngersheim Rothlauf mit einer hellen Frucht und dunklen Steinigkeit, ordentlichem Säuredruck und viel Energie, die er weit ins Finale trägt. Das ist die Art von May-Weinen, die ich besonders gerne mag. Ein Wein voller Spannung ohne Anspannung. Nummer 5 in diesem Flight ist der Bickel-Stumpf 2022 Thüngersheim Rothlauf, der sich wiederum ganz anders präsentiert. Dieser Wein ist brillant in seiner klaren Säurestruktur und seinem unverstellten Blick auf pures Gestein (so wirkt es), ohne uncharmant zu sein. Das ist ein sehr kräuterbetonter Wein mit Flechten auf nassem Gestein (Petrichor). Rothlauf mit Geradeauslauf. Insgesamt ein bärenstarker Flight.
Silvaner Flight 2
Der Bürgerspital zum Hl. Geist 2023 Würzburg Stein – Harfe ist nicht anders als klassisch zu bezeichnen. Weißfleischiges Steinobst, leichte Würze, am Gaumen sinnlich cremig mit feiner Säurestruktur. Das wird vielen sehr gefallen, zumal das angenehm trocken in einem leicht salzigen Finale ausläuft. Der Staatlicher Hofkeller Würzburg 2023 Würzburg Stein – Berg wirkt nicht ganz so sinnlich wie der von städtischen Konkurrenten, besitzt aber eine angenehme Festigkeit und recht viel Grip am Gaumen, was mir gefällt. Die Frucht wirkt etwas artifiziell und steht noch etwas daneben, aber die Textur am Gaumen gefällt mir gut. Auch der Bickel-Stumpf 2022 Frickenhausen Mönchshof ist ein Vorjahreswein, der sich anders präsentiert, als der diesjährige Jahrgang (allgemein gesagt). Der Silvaner wirkt kreidig, kalkig, früh aber nicht zu früh gelesen, mit Kräutern, Flechten und etwas weißer Johannisbeere. Am Gaumen ist er saftiger als das Pendant aus Thüngersheim, auskleidender, fruchtiger. Aber trotzdem präzise und klar in der Struktur. Vielleicht etwas weniger lang. Der Zehnthof Theo Luckert 2023 Sulzfeld Maustal gehört auch in 2023 wieder zu den großen deutschen Weinen. Die Balance dieses Weines ist umwerfend. Schon im Duft passt hier alles zusammen. Die feine Frucht, das Florale, das nur leicht Steinige und Würzige, die elegante Säure, die seidige Textur, in die sich die Säure schlängelt und die feine Energie der Mineralität im Schlepptau hat. Ihr merkt schon, das ist Weltklasse-Silvaner zum Schwärmen. Ich hatte den Wein drei Mal im Glas diese Woche und es war jedes Mal Gänsehaut.
Silvaner Flight 3
Der Flight umfasst 4 x 2023er Am Lumpen 1655. Es beginnt mit Max Müller I 2023 Escherndorf Am Lumpen 1655. Der Silvaner wirkt leicht phenolisch, leicht steinig und zitrisch, hell in der Frucht, dunkel in der Steinigkeit. Am Gaumen ist der Wein brillant und klar ohne Schnörkel. Er besitzt den für 2023 typischen offenen Charme. Es wird leicht exotisch (Ananas) vom Holz wahrscheinlich, sonst zitrisch wie ausgepresste Zitrone auf Gestein. Dazu kommt eine leicht cremige Textur. Das ist ein ganz geradliniger, druckvoller Wein mit wunderbarem Geradeauslauf, Steinigkeit und Kühle, dabei aber über die Textur her mit sinnlichen Charme. Gefällt mir sehr gut. Der Horst Sauer 2023 Escherndorf Am Lumpen 1655 ist das, was man von diesem Weingut erwartet. Es ist ein aromatischer Wein, der in der Nase über viel reifes Steinobst in Form von Weingummi und eine feine Silvaner-Würze verfügt. Am Gaumen wirkt auch dieser Wein sinnlich und charmant, aber stoffiger und cremiger. Das ist gut gemacht und ist ein Wein, der ganz vielen Leuten gefallen wird. Mir hat er zu wenig Kanten, ist eher ein Frucht-, denn ein Strukturwein. Der Rainer Sauer 2023 Escherndorf Am Lumpen 1655 wirkt noch gehemmt. Ich finde zunächst eine leicht dropsig-exotische Note und etwas Gesteinswürze im Duft. Am Gaumen fehlen noch Spannung und Klarheit in der Aromatik. ER hat noch Zeit zur Entwicklung. Auch beim Schwane 2023 Escherndorf Am Lumpen 1655 vermisse ich etwas von der Spannung, die Max Müller I bietet. Auch dieser Wein ist zunächst ein wenig wässrig. Dafür aber finde ich eine hier eine sehr gute Länge, die dunkel-aromatisch und steinig ausläuft. Ganz anders als bei der Frucht-Pracht eines Horst Sauer Lumpen, wird hier Wert auf Steinigkeit gelegt. Der Max Müller I 2023 Volkach Ratsherr bildet den wiederum sinnlichen, aber etwas exotischer duftenden Gegenpol zum Lumpen. Am Gaumen zeigt auch aber dieser Silvaner sehr präzise, saftig und ganz klar in der Frucht. Er ist nicht so zwingend wie Max Müller I’s Lumpen, etwas weniger tief, aber angenehm feinwürzig im Finale. Der Schwane 2023 Volkach Ratsherr ist im Duft noch etwas schwer zu greifen und auch am Gaumen kriege ich ihn nicht wirklich zu packen. Da ist wenig Aromatik neben einer leicht vegetabilen Würze, einer ganz leichten Ananas-Exotik und etwas Rauch. Es gibt einen leicht Schmelz am Gaumen, aber mir fehlt ein wenig die Tiefe in diesem Silvaner.
Silvaner Flight 4
Der Paul Weltner 2023 Rödelsee Hoheleite wirkt hell, klar, gestein- und kräuterwürzig im Duft, aber auch so, als wäre das Traubenmaterial sehr früh gelesen worden. Der Wein wirkt auch am Gaumen sehr hell, noch reduziert, vibrierend in der Säure, aber auch ein wenig mager. Der Wein hat Zug, besitzt eine helle Kräuterwürze, aber besitzt noch keinen Charme. Ähnlich geht es mir mit dem Paul Weltner 2023 Iphofen Julius-Echter-Berg, der steiniger wirkt. Stein, Flechten, wenig Fruchtaromatik. Am Gaumen kommt die Frucht und verbindet sich mit der Gesteinskräutrigkeit. Aber der Wein wirkt auf mich aktuell noch etwas leer. Das fehlt eine Dimension an Tiefe und Struktur. Wer Weltners Weine kennt, der weiß, dass sich das alles noch verändert und die Weine Langstreckenläufer sind. Aktuell haben sie es in einem Vergleich schwer. Der Hans Wirsching 2023 Iphofen Julius-Echter-Berg gehört ja eindeutig zu den Klassikern der Region. Normalerweise wirken die Weine von Wirsching etwas üppiger als in diesem Jahr. Dieser hier wirkt eher kräuterwürzig, hell, frisch und subtil, am Gaumen recht straight, aber noch nicht mit besonderer Tiefe. Aber das Kräuter- und Gesteinswürzige mag ich. Der Hans Wirsching 2023 Iphofen Kammer wirkt etwas tiefer,dunkler, komplexer im Duft, am Gaumen recht seidig und saftig. Da fehlt mir ein wenig der Druck, den der Echter-Berg hatte. Trotzdem zwei schöne GGs.
Diese vier Flights waren ein guter Einstieg ins Geschehen mit einigen sehr schönen Weinen und einem Wein, der aktuell ein Stück weit herausragt.
[…] Platz von Hofschuster noch frei, in der Reihe vor mir finden sich Mr. Originalverkorkt Raffelt (der hier auch live berichtet) und das Vinum Dream Team Scholl und Mangold. Alle gemeinsam konnten wir […]