In der 12. Weinrunde Ottensen hatten wir das vorweihnachtliche Thema Lebkuchen und Stollen, aber auch Garnacha bzw. Grenache in allen seinen Varianten. Vornehmlich Grenache natürlich. Und tatsächlich hatten wir ein breites Spektrum, denn wir waren zu neunt und da kommt dann schon was zusammen.
Weil ich dachte, dass man bei so viel Rotwein vielleicht zunächst mit einem erfrischenden Schäumer starten sollte, habe ich einen Sekt auf den Tisch gestellt, den ich mir zugelegt hatte, weil mich interessierte, weshalb Stuart Pigott ihm wohl 100 Punkte gegeben hat. Zumal das Weingut Winter bisher zumindest meines Wissens nach nicht durch herausragende Schaumweine aufgefallen war. Der Sekt heißt pure Brut Nature 10 | 18 und ist eine Cuvée der klassischen Champagner-Rebsorten Chardonnay und Spätburgunder, ausgebaut in Tonneaux. Im Juni 2022 wurden 2.290 Flaschen degorgiert. Und was soll ich sagen? Wir waren alle begeistert von der Qualität dieses Weines. Die 94 Punkte von Stephan Reinhardt sind deutlich realistischer und fassen die Qualität des Sektes sehr gut zusammen. Es ist ein Schaumwein mit sehr klarer, präziser Säure, hell zitrischen Noten, charmanter Mandel-Nuss-Brioche-Noten, Länge und sehr guter Spannung und Balance zwischen Mineralik, Säure, leichtem Schmelz, heller Frucht und einem Hauch roter Beeren. Eine sehr positive Überraschung.
Die Weinrunde funktioniert ja so, dass alle Weine mitbringen und ich versuche, sie in eine passende Reihenfolge zu bringen, um sie blind einzuschenken. Begonnen haben wie mit einem 2014er Matassa Romanissa Casot, der auch einige kleine Anteile Carignan enthalten kann. Der Wein hat gerade einmal 11 % vol. Bis zum Ende des Abends hat sich der Grenache dann bis auf über 15% hochgeschraubt. Der Matassa ist ein feiner, tonischer, saftiger, einladender Wein mit einer Mischung aus roten Beeren, Blutorangen und Berberitzen, etwas Erde, etwas Süßholz und Kräutern. Er hat noch Jahre vor sich, ist lebendig, frisch und saftig, wurde meiner Ansicht nach zum perfekten Zeitpunkt gelesen, zeigt eine ganz feine Oxydation und sorgt für Trinkfluss.
Die nächsten beiden Weine kamen von Ochota Barrels. The Green Room 2019 stammt aus dem McLaren Vale, die Reben sind von 1946 und stehen in Böden von Kalk und Schiefer. Der Wein mit dem schwarzen Label ist der Fugazi 2020. Er ist der bekannteste Grenache des Weinguts und stammt aus einer 1947 gepflanzten Anlagen auf rund 400 Metern im McLaren Vale mit Eisenstein im Boden. Mit 12,5 % vol. und 12,8 % vol. sind dies ebenfalls im Vergleich echte Leichtgewichte, die jedoch eine unkomplizierte Komplexität in die Waagschale werfen. The Green Room präsentiert eine Mischung aus Wärme und Kühle mit reifer Erdbeer- und Himbeerfrucht in Verbindung mit Sauerkirschen und Kräutern. Ein feiner, fast zarter und transparenter Wein, der ein wenig mehr Länge hätte haben können. Der Fugaziwirkte heller in der Farbe aber dunkler in der Aromatik, fester im Kern und besaß auch mehr spürbares Holz oder Noten von Unterholz und etwas fermentiertem Kardamom. Dazu wirkt er transparent und klar in der reifen Säure, bringt rote und schwarze Früchte mit etwas Süßholz in Kontakt, erhält seine Struktur durch ein mittelkörniges Tannin und eine feine Säurespannung. Nicht hoch komplex aber sehr stimmig und trinkfreudig.
Der 2017er Alter Ego InStabile No. 11 stammt aus der Serie VinsNus von Alfredo Arribas, einem katalanischen Architekten, der längst als Winzer einen höheren Bekanntheitsgrad erreicht hat und verschiedene Projekte im Priorat verfolgt. Die VinsNus sind Experimentalweine mit möglichst wenig Intervention. Der Wein stammt von uralten wurzelechten Garnacha-Reben im Montsant. Ausgebaut wurde in Punchons, also Tonneaux und in Tongefäßen. Der Wein schien zu Beginn ein bisschen Bret zu haben, dann wurde es leicht floral, leicht würzig mit obligatorischen Süßholz, rotfruchtig und leicht erdig. Am Gaumen war das ein frischer, unkomplizierter, saftiger und lustvoller Wein, dem lediglich ein wenig den Alkoholangemerkt hat, obwohl der mit 13,5% eher im niedrig-mittleren Bereich lag.
Es folgte aus dem selben Jahr der 2017er Serrat de la Plane von Georg Meissner aus dem Côtes Catalanes. Dies war und ist Georg Meissners eigenes Weinprojekt, das er schon einige Jahre im Roussillon verfolgt. Serrat de la Planebedeutet im Katalanischen steinige Hochebene. Der Wein, der hier von uralten Reben entsteht, die in Gneiss-Verwitterungsböden wurzeln, hatte gerade mal 9 hl/ha Ertrag. Den Weinen hat man immer mal wieder angemerkt, dass sie immer noch besser sein könnten, wenn Georg sich ihnen ganz widmen könnte. Aber zu dem Zeitpunkt der Entstehung des Weines hat er noch den Keller bei Alois Lageder betreut und war zudem Lehrbeauftragter in Geisenheim für Biodynamie. Mittlerweile hat er in Flo Busch einen Freund, der im Languedoc Weine erzeugte uns eine gleich mit betreut, was dem ganzen Projekt mehr Konstanz verleihen sollte. Denn eigentlich sind das wunderbare Weine aus fantastischen uralten Weinbergen. Der 2017er hat immer noch ein wenig Gärkohlensäure. In diesem Jahrgang hat Georg nach Jahren ohne Eingriffen, erstmals wieder eine ganz leichte Filtrierung und Schwefelung durchgeführt. Wir fanden hier süße Brombeeren, schwarze Kirschen, etwas Bittermandel und einen leichten Klebstoff, der aber genauso verfliegt wie die Gärkohlensäure. Dazu gibt’s Unterholz, Garrigue und ein wenig Bleistiftabrieb. Das Tannin ist wunderbar fein und elegant, der Wein besitzt eine angenehme Kühle und gleichzeitige Fülle. Sehr schön!
Weniger schön haben sich die sonst so guten Carril del Rey von Bernabeleva aus der DO Madrid. Der 2019er dürfte einen Flaschenfehler gehabt haben. Er wirkte hart, verschlossen, uncharmant und unharmonisch. Da hat gar nicht zusammengepasst. Der 2018er Carril del Rey hatte Kork.
In sich stimmig, aber für uns etwas zu glattgebügelt und international ausgerichtet wirkte der 2010er Els Escurcons von Mas Martinet aus dem Priorat. Das war ein Wein mit Kraft und machtvollem Körper, Alkohol und immer noch viel Holz. Gleichzeitig aber war daran eigentlich nichts auszusetzen für Menschen, die einen solchen Stil mögen, wozu wir in der Runde nicht gehören. Denn das hat alles zusammengepasst: die tiefe, dunkle Frucht, die seidige Textur, die Kraft, das gut gewählte Holz, das Finale, durch das sich ein kühler, mineralischer Zug schlängelte.
Weiter ging es mit dem 2022er La Dula der Bodega Sierra de Toloño aus der Rioja Alavesa. Der Wein stammt von 1944 gepflanzten Garnacha-Reben in 700 Metern Höhe, die Sandra Bravo teils in der Amphore ausgebaut hat. Der Wein wirkte noch sehr jung, zu jung, um harmonisch zu sein. Möglicherweise ist er auch etwas zu früh gelesen worden, auch wenn er schon 14% vol. in sich getragen hat. Auf jeden Fall wirkte der Wein noch kantig, eher herb mit einem ungewohnt kräftigen, trocknenden Tannin und einer noch daneben stehenden Säure. Das muss noch mal auf Wiedervorlage, immerhin war der 2020er Jahrgang die Weinoffenbarung bei Tim Atkin MW. Davon war der 22er Jahrgang weit entfernt.
Ebenfalls aus der Rioja, aber ein ganz anderer Schnack war der 2020er Cerro la Isa Viñedo Singular der Bodegas Juan Carlos Sancha. Der Juan Carlos Sancha? Genau! Der Mann gehört zu den versiertesten Önologen im spanischsprachigen Raum, ist schon lange Professor an der Universidad de la Rioja und hält Vorträge auf der ganzen Welt. Er ist Winzer und Professor in Wechselwirkung und hat es sich zur Aufgabe gemacht, bis zu 120 Jahre alten Garnacha-Reben am Rande der Rioja zu bewahren, die mit Hilfe von EU-Subventionen gerodet und durch Tempranillo-Klone ersetzt werden sollten. Er hat die Weinberge kaufen können und macht dort jetzt Wein. Unter anderem den Cerro la Isa Viñedo Singular, ausgebaut in gebrauchten Tonneaux. Spontan vergoren ohne jeden Eingriff oder Zusatz. Lange auf der Feinhefe gereift und ohne Schwefel abgefüllt. Das war ein großartiger Wein! Ätherisch kühl, mineralisch, profund, offen, geschliffen mit stimmiger Konzentration, Puresse, Energie und Länge. Das hat Klasse.
Das letzte Paar waren zwei Weine aus dem Hause Emmanuel Reynaud. Der 2019er Chateau de Tours Réserve aus den Côtes du Rhône konnte erst Anklänge dessen zeigen, wozu er später fähig sein wird. Der Wein ist nach fünf Jahren einfach noch viel zu jung, ließ aber seine Klasse aufblitzen. Der kleinere Bruder von Château Rayas und Fonsalette stammt aus dem rund 40 Hektar großen Château des Tours. Die Réserve ist kein reinsortiger Grenache sondern eine Cuvée aus rund zwei Dritteln Grenache sowie Cinsault und Syrah. Es war ein Wein mit Kraft und Tiefe, viel süßer leicht gekochter Erdbeere und Himbeere, Süßholz, Garrigue, Pfeffer, Rauchfleisch und Extraktsüße. Der kühle Zug verschwindet dahinter fast noch. Wer die Weine von Reynaud nicht kennt, würde aktuell wohl davon ausgehen, dass dieser Wein zu mächtig ist, aber wer die Weine kennt, weiß, dass man hier nur warten muss.
Schließlich hatten wir noch den 2011er Domaine de Tours. Offiziell ein Vin de Pays de Vaucluse und nominell der einfachste Wein von Emmanuel Reynaud. Ich kenne den Wein seit vielen Jahren und er befindet sich seit ca. sechs Jahren in einem idealen Trinkfenster. Die Cuvée aus viel Grenache und jeweils ein wenig Counoise, Syrah, Cinsault, Merlot und anderen Sorten hat alle Anlagen eines Rayas, nur dass der Wein natürlich nicht so komplex ist, wie ein 50 bis 100-fach teurerer Wein und einfach ein wenig bodenständiger wirkt, was dem Glück keinen Abbruch tut. Für mich hat er den perfekten Kreis gebildet zum Ausgangpunkt Cuvée Romanissa Casot. Der Domaine de Tours ist etwas wilder, ursprünglicher, auch etwas breiter, reifer, mit mehr Alkohol aber macht ebenso viel Freude in seiner Balance und Komplettheit in der Mischung uas zermatschter roter Beerenfrucht, Pfeffer, Lakritz, Erde, Süße und Säure.
Um den Abend abzurunden und ein perfektes Pendant zu den tollen Lebkuchen und Stollen zu finden, gab es noch einen Medium Dry Amontillado Contrabandista von Valdespino. Ein Sherry, der eine wunderbare Verbindung vor allem mit den Lebkuchen von Arnd Erbel eingegangen ist.