Wo bitte geht es hier zum Terroir?

Einer der am häufigsten verwendeten Begriffe, wenn es um Qualitätswein geht, ist der des Terroirs. Um diese zentrale Definition des modernen Weinmachens ging es denn auch bei der dritten Ausgabe der Fachtagung Boden- und Weindiversität, die die Sommelière und Fachfrau Christina Fischer zusammen mit ihrem Namensvetter Prof. Dr. Ulrich Fischer vom Institut für Weinbau und Oenologie am Weincampus Neustadt organisiert haben. So wurden in zwei Tagen im Oppenheimer Dienstleistungszentrum Ländlicher Raum die möglichen sensorischen Ausprägungen des Terroirs auf den Wein von unterschiedlichster Seite beleuchtet.

Terroir – eine Definition
Terroir, dieser Begriff, der viele Jahre recht unterschiedlich erklärt wurde, hat derweil eine offizielle Umschreibung erhalten, an der diverse Wissenschaftler und Mitglieder der OIV, der Organisation Internationale de la Vigne et du Vin mehrere Jahre gefeilt haben: »Vitivinicultural »terroir« is a concept which refers to an area in which collective knowledge of  the interaction between the identifiable physical and biological environment and applied vitivinicultural practices develops, providing distinctive characteristics for the products originating from this area.« So weit so klar? Gerard Seguin hat dies in den 1980er Jahren deutlich einfacher formuliert: »Terroir can be defined as an interactive cultivated ecosystem (agrosystem) in a given place, including climate, soil and the vine.« Noch schöner finde ich die äußerst knappe Umschreibung, die man im englischsprachigen Raum immer häufiger findet, wonach terroir a sense of place sei, was im Deutschen gar nicht so einfach zu übersetzen ist.

Terroir und Klimawandel
Schon Prof. Dr. Hans Reiner Schultz’ Ausführungen über die »möglichen Einflüsse des Klimawandels« sowie Prof. Dr. Kees van Leeuwen, der auch Weinbergsmanager bei Cheval Blanc in St. Émilion ist, förderten ein paar Erkenntnisse zu Tage, die die ganze Komplexität des Terroirs-Begriffs deutlich machten. Schultz, Präsident der Hochschule Geisenheim, erläuterte in seinem Vortrag die Auswirkungen sich verändernder Temperaturen, Tag-Nacht-Amplituden und die unterschiedlichen Auswirkungen der Lichtreflexionsspektren unterschiedlicher Böden. So haben intensivere Sonneneinstrahlung inklusive UV-Licht natürlich nicht nur direkte Auswirkungen von oben auf die Rebe sondern ebenso von unten. Bodentypen reflektieren Licht sehr unterschiedlich, heizen aber auch ganz unterschiedlich auf. So gab es einen Feldversuch wo Rebstockreihen mit einem Zentimeter Schiefer, Bims und Kalkstein ausgekleidet wurden und parallel Temperaturen zwischen 20 °C und 40 °C aufwiesen. Der schleichende Anstieg der Durchschnittstemperaturen führt laut Schultz auch zu einer steten Erwärmung des Bodens, der im Oberboden bei bis zu 3,2 °C liegt und in 12 Meter Tiefe noch 1,5 °C ausmachen kann. Damit verändern sich chemische Prozesse wie beispielsweise die Stickstoffproduktion deutlich. Ebenso hat die Erhöhung der Bodentemperatur Auswirkungen auf mikrobielles Leben, auf die Verdunstung und überhaupt auf die Viskosität von Wasser. Denn die wird geringer je wärmer der Boden wird und entsprechend schleppender geht der Wassertransport vonstatten. All dies hat Auswirkungen auf die Bildung der Thiole, Terpene, Ethlyester, Phenole und also all jener Faktoren, die zur Bildung der rund 400 wichtigsten, im Weinberg entstehenden Aromastoffe beitragen (die weiteren 400 wichtigsten entstehen bei der Vergärung im Keller).

All diese Faktoren (und noch mehr) werden in Zukunft nicht nur die Auswahl des Ortes beeinflussen, wenn man denn eine Auswahl hat. Sie werden vor allem auch die Auswahl der Rebsorten beeinflussen, wie Kees van Leuwen erläuterte. Wer den steten Anstieg der Alkoholgerade jenes Châteaus verfolgt, für dessen Weinberge er verantwortlich ist, wird dies nachvollziehen können. So werden bei Cheval Blanc die Bodenkarten immer detaillierter, die Messungen immer genauer und die Zukunft in den Neuanpflanzungen geht deutlich weg vom Merlot, dem es zu warm wird auf dem Plateau von St. Émilion hin zu Cabernet Sauvignon, der schon angepflanzt wurde. Überlegungen zu Malbec und Carmènere und damit zu zwei Rebsorten, die vor der Reblauskatastrophe zu den typischen Bordeaux-Rebsorten gehörten, gibt es ebenfalls. Die Sorten, die früher Schwierigkeiten hatten, in Bordeaux reif zu werden, findet man zunehmend wieder in den Weingärten – wenn auch noch nicht bei Cheval Blanc.

Im ersten Block: Ulrich Fischer, Jean-Claude Hofstetter, Kees van Leeuwen, Hans Rainer Schultz

Drei gleiche Pinots von unterschiedlichem Terroir
Die ersten Probeflaschen brachte der Schweizer Geologe Jean-Claude Hofstetter mit. Anhand dreier Pinots vom selben Winzer, vom fast gleichen Clon und der gleichen Unterlagsreben sowie der gleichen Verarbeitung im Keller jedoch unterschiedlicher Entstehungsorte, gab es einen ersten konkreten Geschmack, wie sich ein Teil der rund 3.000 unterschiedlichen Tone und Mineralien im Wein zusammen mit all den anderen Komponenten auf den späteren Wein auswirken. Die Rede ist vom Pinot Noir Monolith des Weingurts Obrecht in Jenins, Graubünden. Francisca und Christian Obrecht führen normalerweise die Weine drei Lagen zusammen in den Monolith, in diesem Fall haben sie sie zu Verkostungszwecken getrennt auf Flaschen gezogen. Der Eichholz stammt aus der Gemeinde Jenins, das Gestein ist ein Ruchbergsandstein (Arkosesandsteine, Sandkalke und Kalkbrezien), der Boden besteht aus Flysch-Schuttfächer mit meist tafeligen Gesteinsbruchstücken (sandige und tonige Kalkschiefer sowie Sandsteine) in einer lehmigen Grundmasse (Tonanteil gering bis mittel), mittel- bis tiefgründig. Der Selvi stammt aus der Gemeinde Malans, Das Gestein ist ein Gandawaldflysch (dunkle Kalke, Tonschiefer, untergeordnet Sandsteine und Konglomeratbänke), der Boden besteht aus Flysch-Schuttfächer mit meist tafeligen Gesteinsbruchstücken (sandige und tonige Kalkschiefer sowie Sandsteine) in einer lehmigen Grundmasse (Tonanteil mittel), mittel- bis tiefgründig. Schließlich stammt der Bovel ebenfalls aus Malans, das Gestein ist ein Sandkalk samt Phyllite unbestimmten Alters, der Boden besteht aus Flysch-Schuttfächer mit meist tafeligen Gesteinsbruchstücken (sandige und tonige Kalkschiefer sowie Sandsteine) in einer lehmigen Grundmasse (Tonanteil mittel bis hoch), mittel- bis tiefgründig. Alle drei Weine wurden nach biodynamischen Methoden erzeugt, spontan vergoren mit 20% Ganztrauben im 15 HL Holzgärbottich, Ausbau 12 Monate im Barrique (diverse Hersteller Burgund/ Schweiz), 30% Neuholz, unfiltriert.

Kurz gesagt hatten wir also einen Pinot Noir vom Sandstein und Sandkalk und geringem Tonanteil, dann einen Pinot Noir vom dunklen Kalk, Tonschiefer und untergeordneten Sandsteinen mit mittlerem Tongehalt sowie einen Pinot Noir vom Sandkalk mit Phylliten mit hohem Tongehalt. Wenn man nun davon ausgeht, und das ist der Stand der Wissenschaft, dass die Minerale mit Hilfe des Tons gelöst werden und mit dem Ton an die feinen Wurzelhaare der Pflanzen gelangen und vor allem auch an die Mykorrhiza, jener Pilze, die wohl als Mittler zwischen Erdreich und Pflanze auftreten und Minerale in die Pflanzen einschleusen um dafür Energie aus den Pflanzen zu erhalten, dann könnte man davon ausgehen, dass der hochtonige Pinot Noir mineralischer schmecken könnte.

Direkte Vergleiche unterschiedlicher rheinhessischer Bodenformationen in Weinen aus 2015 und 2009.

Mineralität – die Säure machts
Damit sind wir beim zweiten Buzzword der Weinszene angelangt, die nach der Suche des Terroirs im Wein vor Jahren noch eins draufgelegt hat, indem sie zur Suche nach der Mineralität übergegangen ist. Mit dem »Versuch einer sensorischen Definition von Mineralität« griff Prof. Fischer jenes Thema auf, das ich für mich vor einiger Zeit mal in der Schluck beleuchtet und hier veröffentlicht habe. Die drei monolithischen Pinots waren sehr schöne Beispiele dafür, wie deutlich sich vor allem der Boden in den unterschiedlichen Weinen ausdrücken konnte. Bei allen drei Weinen konnte man den Einfluss des Winzers erkennen und doch zeugten sie von dem, was man den drei Bodentypen aus der Erfahrung wahrscheinlich auch tatsächlich zuschreiben würde. Erst die eher fruchtigere, rotbeerige Variante, dann wurde es dunkelbeeriger und dichter, schließlich steiniger, noch dunkler und tatsächlich mineralischer, zumindest in dem Sinne, wie ich es verstehe.

Was verstehen Menschen überhaupt unter Mineralik? Das hat sich bis heute nicht wirklich eingrenzen lassen und lässt jede Menge Möglichkeiten zu. Welche Einflussfaktoren können das Gefühl eines mineralischen Weines erzeugen? Das spielt vielleicht ein mineralstoffreicher, ionengesättigter Boden eine Rolle, wahrscheinlich auch eine gesunde Mikroorganismen- und Mykorrhiza-Flora. Hinzu kommen möglicherweise geringe Erträge, tiefe Verwurzelung, der Verzicht auf Bewässerung, und die Stabilität eines Weines gegenüber Reduktion. Es kommen jedoch sicher auch kellerspezifische Möglichkeiten wie Brettanomyces (der Geruch von Pferdeschweiss und Landwirtschaft), die Verarbeitung von Stengeln und Stilen (grünreife Noten) und die Mengen an Thiolen, Sulfiden (Reduktionsnoten wie Knallplättchen etc.) und Phenolen hinzu. Fischer hatte bei unserem Versuch den identischen Grundwein mit Stoffen versetzt, die in Weinen vorkommen.

Der erste Wein war der Grundwein und wirkte nicht mineralisch. Der zweite war mit 250 mg/L MgSO3 (Magnesiumsulfit) versetzt, der nächste mit 1,2 g/L K2SO4 (Kaliumsulfat), dann ging es weiter mit zusätzlichen 2g/L Weinsäure, 150 mg/L NaCl (Natriumchlorid) sowie 20 mg/L Catechin. Das Ergebnis im Publikum war recht eindeutig. Ganz vorne lag beim Gefühl der Mineralität die Weinsäure, die den Wein deutlich lebendiger und fast ein wenig prickelnd gemacht hat. Die Lebendigkeit des Weines spielt, davon bin ich überzeugt, eine wesentliche Rolle. Das wird von Versuchen mit Probanden, die Prof. Fischer vorgestellt hat ebenso untermauert, wie eine, die mir vorliegt und von dem Aromaforscher Prof. Erich Leitner von der TU Graz stammt. Während Noten von Holz, Karamell oder Vanille ganz eindeutig nicht als mineralisch wahrgenommen werden, verbinden Probanden Zitrus, nassen Stein, Frische und Säure immer mit Mineralität. Zudem werden sehr trockene Weine eher mit Mineralität in Verbindung gebracht als restsüße Weine. All das hat mit Mineralen im Boden allerdings recht wenig zu tun.

Direkte Vergleiche unterschiedlicher rheinhessischer Bodenformationen in Weinen aus 2015 und 2009.

Aus Wasser mach Wein
Dass Wasser ein Mineralträger ist, steht schon samt genauer Analysewerte auf den Etiketten der Mineralwässer. Entsprechend unterschiedlich schmecken die Wässer und entsprechend unterschiedlich wirken sie auch am Gaumen. Eine interessante Idee, die Korrelation von Wasser und Wein zu verdeutlichen, hatte Hermann Mengler, der seit fast vierzig Jahren viele Betriebe in Franken berät (ich habe mal einen Podcast mit ihm aufgenommen). Mengler hat uns neben drei Weinen auch das Wasser eingeschenkt, dass man in oder in der Nähe der Lagen aus Brunnen abzapfen kann. Beim Schlossberg Silvaner des Castellschen Domänenamtes ist das Wasser sulfat- und kalkhaltig, beim Hüttenheimer Tannenberg des Weinguts Hillabrandt war das Wasser eher neutral, bei der AB-Cuvée des Weinguts Burrlein erschien das Wasser wie auch der Wein sehr weich. Das konnte man durchaus nachvollziehen. Menglers Verdienst bei seinem Vortrag bezüglich der Frage, welcher Einflussfaktor einen Wein wohl am stärksten prägt war es, den Einfluss der Kellerwirtschaft in den Mittelpunkt zu stellen und zu verdeutlichen. So stellte er drei Weine vor, die zwar vom gleichen Traubenmaterial abstammten, dann aber unterschiedlich vorgeklärt, unterschiedlichen Gärtemperaturen unterzogen, die mal spontan, mal mit Reinzuchthefe vergoren, die im Edelstahl oder im Holz mit frühem Abstich oder mit langer Lagerung auf der Vollhefe mit und ohne Bâttonage verarbeitet wurden. Diese Einflüsse sind so immens, dass sich ein gemeinsamer Ursprung dieser drei Weine zumindest für den Moment nicht mehr nachvollziehen ließ.

Sind die Unterschiede in den Ausbauarten weniger extrem, geht das schon besser, wie Mengler anhand verschiedenster Silvaner erklären konnte. Ein Beispiel? Die 2008er Silvaner Spätlese Escherndorfer Lump von Rainer Sauer, wo einmal mit und einmal ohne Maischegärung gearbeitet wurde. Auch hier boten sich sehr unterschiedliche Weine, die aber trotzdem ein gemeinsames Terroir in sich trugen, das man vielleicht auch auf Grund des fortgeschrittenen Alters deutlicher erkenn konnte. Überhaupt, Alter des Weines und Terroir … ist das nicht sowieso das Entscheidende? Verlieren die handwerklichen Einflüsse nicht zunehmend mit dem Alter ihre Bedeutung zugunsten der äußeren Einflüsse? Wenn man die ganze Reihe von Weinen probierte, die uns im jungen und gereiften Alter entgegengestellt wurden, konnte man schon das Gefühl bekommen, dass sich der sens of place in den gereiften Weinen doch stärker formulierte als in den jungen, noch kellertechnisch geprägten. Egal ob beim Fief de Breil Muscadet von Landron, den der Weinhändler Bern Kreis einmal aus 2014 und einmal aus 2003 präsentiert oder bei den Top-Rieslingen von Stefan Sander, Gunderloch, Philipp Wittmann und Daniel Wagner, die jeweils aus 2015 und 2009 ins Glas geschenkt wurden. Nicht nur wurden im direkten Vergleich die Bodeneinflüsse und deren markante Auswirkungen sehr deutlich: Löss, verwitterter roter Tonschiefer, Quarzporphyr und Ryolith sowie schwere Tonmergelböden mit Kalksteinablagerungen bringen mit unterschiedlichen Säuren und pH-Werten per se unterschiedliche Weine ins Glas. Das konnte man übrigens bei der Premiere des Vergleichs des Scharlachbergs und des Heerkretz vom Weingut Bischel sehr gut nachvollziehen. Beide Weine wurden so ziemlich exakt gleich ausgebaut doch auch hier dringen schon im ganz jungen Wein der Quarz und der Porphyr/Ryolith ganz deutlich an die Oberfläche des Weins vor und erzeugen nicht nur eine ganz andere Frucht sondern eben auch eine andere Spannung und damit – wenn man so will – Mineralität. Bei den Weinen von Sander, Hasselbach (Gunderloch), Wagner-Stempel und Wittmann wurde die Verstärkung dieser Komponenten durch den Faktor Zeit offensichtlich.

Der Blick aus dem Fenster lenkt den Blick auf die Weinberge von Oppenheim.

Prof. Monika Christmann sprach bei dieser Veranstaltung zum Thema Kellerwirtschaftliche Akzentuierung von Terroir – Maischestandzeiten | Maischegärung | Natural wines | Orange Wines | Quevris. Sie hatte genau das Gleiche zusagen wie schon bei diversen anderen Vorträgen zum Thema, wo selbst die Witze über maischevergorene Weine exakt dieselben waren. Da kann man sich schon fragen, ob einer Professorin und Institutsleiterin der renommierten Hochschule Geisenheim, die gleichzeitig auch noch dem oben erwähnten OIV vorsitzt, nicht auch mal was Neues einfallen mag als ein redundantes Hochloben weinindustrieller Maßnahmen auf Kosten der alternativen Weinszene. Schließlich saß im Plenum Fachpublikum, dem man ja meist mehr als einmal über den Weg läuft.

Mikroorganismen und Terroir
Doch zurück zum Interessanten. Der Einfluss von Mikroorganismen auf den Boden, in dem Weinreben wurzeln ist heute noch recht wenig erforscht, könnte aber eines der interessantesten Themen der nächsten Jahre werden. Entsprechend spannend war der Vortrag zum Thema Impact of different terroirs on the dynamics of microorganisms during spontaneous fermentation, welches der bei Prof. Fischer arbeitende Kimmo Sirén vorgestellt hat. Er beschäftige sich mit der Ausprägung von Hefevorkommen im Weinberg und im Keller. Das EU-Microwine-Project hat

Terroir auch im Schaumwein? Diese Frage beantwortete Volker Raumland mit einer Auswahl seiner Sekte eindrücklich positiv.

dabei mehrere Weinberge analysiert, die ganz unterschiedlich bewirtschaftet wurden. Von stark gespritzten bis zu biodynamisch bewirtschafteten Weinbergen war alles dabei. Die Untersuchungen gaben dann auch ein recht eindeutiges Ergebnis, in welchen Weinbergen sich mehr Hefen und überhaupt mehr Mikroorganismen angesammelt hatten. Während in den stark und auch spät gespritzten Weinbergen so wenig mikrobielles Leben stattfand, dass eine Spontangärung gar nicht möglich gewesen wäre, wurde das Leben umso reicher, je natürlicher die Reben bewirtschaftet wurden. Dieses mikrobielle Leben wird in den Kellern natürlich noch durch die Kellerflora ergänzt, die einen eigenen Einfluss auf den Most hat. Das konnte man sehr gut anhand einer Probe feststellen, wo Trauben bei den pfälzischen Betrieben Rebholz und Bassermann-Jordan in sterilen Behältnissen aus dem Weinberg geholt wurden um dann sowohl ganz klassisch im Keller vergoren zu werden, als auch außerhalb des Kellers. Diese Weine wiesen durchaus einen unterschiedlichen Charakter auf, ohne jetzt konkret sagen zu können, ob es einen tatsächlich qualitativen Unterschied gegeben hätte.

Allein der erste Tag der zweitägigen Veranstaltung hat vor Augen geführt, wie komplex und vielfältig die Einflussfaktoren auf den Wein sind. Sowohl was im Weinberg passiert als auch im Keller trägt Stück für Stück zum Charakter des späteren Weines bei. Da mutet es fast schon absurd an, was Prof. Fischer nebenbei über das Rothschild-Mondavi-Projekt Opus One erzählte. Dort hat der langjährige Weinbergsmanager und Weinmacher Michael Silacci genau die Regenfälle und Regenmengen des großen Bordeaux-Jahrgangs 1982 analysiert und die Bewässerung der eigenen Flächen exakt diesen Mengen und Zeitpunkten angepasst um in Kalifornien so etwas wie große 1982er Bordeaux zu erzeugen. Tatsächlich haben die Weine von Opus One in den letzten Jahren wieder deutlich zugelegt. Ob das Bordeaux 1982 zu verdanken ist?

Terroir im Marketing
Der zweite Tag der Tagung stand mehr im Zeichen des Terroir-Marketings. Wie sieht ein Weinjournalist das Thema Terroir? Wie wichtig ist die Notwendigkeit einer herkunftsbezogenen Differenzierung als Erweiterung des Terroirsbegriffs? Wie sieht eine wertige Umsetzung des Terroirs-Begriffs in der weltweiten Vermarktung aus? All das waren Themen, die neben Verkostungen von Terroirweinen behandelt wurden.

Terroir alleine trägt nicht
So hat der niederländische Journalist Lars Daniëls den Terroirwein in eine Reihe gestellt neben den Markenwein, der für eine größere Käufermenge attraktiv sein soll und bei der die Rebsorte

Lars Daniels und Ulrich Fischer

wertig über der Herkunft stehe. Daneben stehe der Designerwein, bei dem möglichst große Weine nachgeahmt werden sollen und das vor allem mit Hilfe von Kellertechnik. Naturweine seien als Terroirweine nicht geeignet, weil auch bei ihnen das Konzept im Normalfall über der Herkunft stehen würde, was eine Ansicht ist, die ich nur bedingt teilen kann und nur dann, wenn man lange Maischestandzeiten, Ausbau in Amphoren usw. unter dem Begriff subsumiert. Ich glaube kaum, dass man Weinen von Jayer, von Overnoy oder bekannten Naturweinverfechtern von Loire oder Beaujolais den sense of place absprechen kann, den Daniëls eben vor allem dem Terroirwein zubilligt. Da gibt es also mit Sicherheit Schnittmengen. Terroir müsse man riechen und schmecken können, sagte der Niederländer. Da stimme ich mit ihm überein. Doch wann riecht man das Terroir denn wirklich? Diese Frage ist für mich weiterhin gar nicht so einfach zu beantworten. Terroir müsste ja unterm Strich eigentlich jeder halbwegs zurückhaltend vinifizierte Wein in sich tragen doch ab wann nehme ich wirklich ein spezifisches Terroir wahr?

Maxime Herkunft
Diese Frage hat sich auch Bernd Wechsler gestellt, der beim DLR Rheinhessen-Hunsrück-Nahe das Kompetenzzentrum Weinmarkt und Weinmarketing leitet und im Rahmen dessen ein Projekt begleitet hat, welches in diesem Jahr das Licht der Welt erblickt hat. Die Rede ist von der Maxime Herkunft, einem Verein, der von einer großen Gruppe rheinhessischer Winzer gegründet wurde um die Idee von einer klaren Herkunft ihrer Weine weiter zu untermauern. Wechsler sprach direkt am Anfang genau das Problem an, das ich auch ständig bei der Verwendung des Terroirbegriffes habe. Wie soll ich ihn, wenn ich ihn auch theoretisch verstanden habe, auf einen Wein anwenden, wenn es doch Millionen mögliche Varianten bei der Weinwerdung gibt? Wie erkläre ich das einem Kunden? Viele Weingüter tun das gar nicht. In Rheinland-Pfalz ist es so, dass 20 % der Weingüter überhaupt keine Einzellagen auf ihre Etiketten drucken. 23 % der Betriebe dagegen drucken ihre Einzellagen zu 100 % auf die Etiketten. 60 % der Weine in dem Bundesland stammen aus Kellereien die wiederum bei 93 % ihrer Weine nur das Gebiet als Herkunft nutzen, 5,5 % der Weine mit einer Großlage betiteln und nur 1,5 % mit einer Einzellage. Hier stehen die brands, die Marken klar im Vordergrund. Demgegenüber versuchen sich vor allem ambitionierte junge Winzer zu positionieren, indem sie das burgundische Modell der Herkunftspyramide, welches ja auch der Verband der Prädikatsweingüter (VDP) nutzt, konsequent einsetzen. Dabei stellt sich heraus, dass bei diesen Betrieben die Brot- und Butterweine, die Gutsweine also 60 % des Umsatzes ausmachen und die Lagenweine 30 % während die eigentlich wichtigen Botschafter des Terroirs, die Ortsweine, nur Stiefkinder in der Produktpalette darstellen. Während im Burgund der Ortswein mit rund 30 % im Umsatz sehr stark ist, sind es hier nur 10 %. Das war für mich eine neue und fast erschreckende Erkenntnis. Denn allein, wer mal in die rheinhessischen Betriebe schaut, und eine Flasche Möhlsheim und Hohen-Sülzen von H.O. Spanier öffnet, den Siefersheimer Riesling vom Porphyr von Wagner-Stempel, Knewitz’ Appenheimer Riesling Kalkstein neben den Nieder-Hilbesheimer Riesling Eisenerz stellt oder Gunderlochs Nackenheimer Riesling mit deren Niersteiner Riesling vergleicht, hat nicht nur ein gutes Abbild der Herkunft sondern liegt auch qualitativ manchmal schon sehr nahe bei der Qualität der Einzellagen – und das bei einem eigentlich viel zu niedrigen Preis. Das konnte auch das Tasting unterfüttern, was einige Maxime Herkunft-Winzer wie Knewitz, Hoffmann und Bischel aus Appenheim, Gunderloch, Gröhl und Raddeck von Roten Hang, Hiestand und Sander von der Rheinterrasse, Meiser, Gysler und Espenhof aus Alzey sowie einige weitere Winzer am Abend des ersten Tages veranstaltet hatten. Die Aufmerksamkeit sollte also dringend stärker auf den Ortswein gelenkt werden. Auch um die Wertschöpfung in den einzelnen Betrieben zu erhöhen.

Jeder der TeilnehmerInnen hatte für den ersten Abend eine Flasche Terroirwein mitgebracht. Hier ein paar Highlights.

Herausforderungen im Handel mit deutschem Wein
Diese haben ja vor allem damit zu kämpfen, dass der Weinhandel fast nur noch über den Preis geht und selten über die Herkunft oder das Terroir. Da war denn auch zentrales Thema der kleinen Podiumdiskussion mit Steffen Schindler von Deutschen Weininstitut (DWI), dem Weinakademiker Thomas Curtius, der viel für den australischen Weinbauverband unterwegs ist sowie Martin Kössler, der hier als Weinhändler nicht weiter vorgestellt werden muss, zumal es zu dessen Thesen hier ebenfalls einen Podcast gibt. Den Wein in den Köpfen der Verbraucher vom »Wirkungsgetränk zum Kulturgetränk« werden zu lassen und sie damit für die Herkunft zu interessieren, ist bis heut die große Herausforderung in einem immer kämpferischer werdenden Markt. In manchen Märkten funktioniert das – auch mit deutschem Wein. Allerdings bisher nur vor allem dort, wo die Kompetenz der Verbraucher sehr hoch ist. Dies ist vor allem in den skandinavischen Ländern der Fall. Dort hat der Wein einen anderen Stellenwert. So beträgt der Marktanteil deutscher Weine in Norwegen unglaubliche 29 %. In den USA dagegen liegt der Anteil bei 1 %. In England hat man über Jahre hinweg viel Arbeit investiert, um diesen wichtigen Markt stärker zu erobern und schafft dies vor allem mit einer stärkeren Personalisierung von Wein. Die Generation Riesling des DWI ist dabei sehr erfolgreich. Sie verbindet den sonst schnell anonymen Wein mit jungen Gesichtern von jungen Winzer, schafft Dynamik und kann darüber auch Herkunft transportieren.

Prof. Ulrich Fischer, Thomas Curtius, Steffen Schindler (DWI), Martin Kössler (K&U Weinhalle)

Diese Diskussion könnte man noch lange weiterführen, denn die Herausforderungen im Handel sind groß. Gerade in Deutschland, wo der Markanteil des Kulturproduktes Wein eh sehr klein ist und Diskount- und LEH-Abfüllerweine den weit überwiegenden Teil ausmachen. Kössler hat sich weitgehend verabschiedet vom Handel mit Deutschem Wein. Nicht nur, weil er die französische Weinszene dynamischer findet sondern vor allem auch, weil sich zu viele Händler, die dieselben Weine verkaufen, den Markt kaputt machen und zu viele Winzerbetriebe bis heute nicht genug darauf achten, wen sie eigentlich beliefern.

Mit einer weiteren großen Terroirprobe endete die Tagung im Dienstleistungszentrum Ländlicher Raum (DLR) in Oppenheim am Rhein. Bevor es noch zu einer Exkursion mit Geologen in den Roten Hang ging, stellte Christina Fischer eine Reihe außergewöhnlicher Paare und Reihen von Weinen zusammen. Erwähnt werden sollten vor allem die Sauvignon Blancs von Goisot, die wiederum Bernd Kreis mitgebracht hatte und die zeigen, wie anders doch Sauvignon Blanc auf den Böden des Auxerrois im Burgund sich präsentiert gegenüber allen anderen Bodenformationen, auf denen er sonst vor allem an der Loire wächst. Bemerkenswert auch die beiden sehr unterschiedlichen Nebbiolo von Sandrone Luciano, die aus Alba und aus der Langhe stammen. Blutjung aber großartig die Artadi Rioja – zwei Einzellagen namens Valdeginés und La Poza de Ballestros, die sich im Wesentlichen nur durch ihre Sonnenausrichtung unterscheiden und durch entsprechende Temperaturen im Weinberg und dabei ein sehr unterschiedliches Profil herausbilden. Schließlich als Pendant zur vorabendlichen Chardonnay-Probe ein Blindtasting von Pinots rund um die Welt, das ich noch mal als weitaus schwieriger empfand als bei den Chardonnay. Simone Adams, Kai Schubert, Benedikt Baltes, Tom Litwan, Giant Steps, Radio-Coteau und Adeneuer hießen die Macher und Weingüter dieser bemerkenswerten Pinot-Probe. Herausfinden, aus welchem Land welcher Wein stammt? Das ist mir hier nur bei dem Wein von Giant Steps und Kai Schubert und länderspezifisch bei Baltes und Adeneuer gelungen.

Abschließende Exkursion mit Christina Fischer und Winzern vom Roten Hang.

Kann man ein Fazit aus diesen intensiven zwei Tagen ziehen? Wir wissen, dass wir wenig wissen ist ein sicherer Schluss, den man ziehen kann. Die komplexen Vorgänge im Weinberg sind erst zu einem kleinen Teil erforscht. Im Keller ist man da schon weiter. Die Klimaveränderungen sorgen für erhebliche Veränderungen und Herausforderungen vor allem für jene Gebiete, wo man nicht einfach mal noch ein wenig mehr in die Höhe gehen kann. Da hat es Kalifornien momentan noch ein wenig einfacher als Bordeaux. Doch auch in Kalifornien sind die in Frage kommenden Hügel nicht so hoch wie in Südtirol. Ich weiß nicht, wie oft ich in den zwei Tagen den Begriff des Terroirs gehört habe. Und doch ist er mir nicht näher gerückt. Eher im Gegenteil. Das Terroir ist der Spongebob der Weinwelt. Er ist schwammig, kann alles Mögliche aufsaugen und wirkt andererseits oft ausgelaugt und vertrocknet. Es sind zu viele Variablen für einen einzigen Begriff im Spiel. Doch parallel dazu bleibt es natürlich spannend, den sense of place im Wein zu suchen und das Geosensorische im Wein zu finden, das zweifelsohne vorhanden ist. Da helfen Probe, wie sie hier organisiert wurden sehr viel weiter, um die Blick bzw. die Geschmacksknospen zu schärfen und einen dann auch wieder demütig werden zu lassen, wie wenig man dann doch trotz einer gewissen Verkostungserfahrung erkennt. Und wie ungewöhnlich sich manche Rebsorten an bestimmten Orten präsentieren können. Ich denke da an den Pinot Noir aus dem Applejack Vineyard von Giant Steps aus dem Yarra Valley und an den White Bones Chardonnay von Catena Zapata aus 1.500 Metern Höhe. Insofern war diese kochkarätig besetzte Tagung eine persönliche Bereicherung, inklusive all der Gespräche mit gleich Interessierten natürlich. Die beiden Fischers und ihre Teams haben da ganze Arbeit geleistet und ich freue mich auf Veranstaltung Nummer vier.

Blick auf Nierstein vom Roten Hang.

Einen genauen Überblick über das Programm und die verkosteten Weine gibt es hier.

http://www.genuss-werkstatt.net/die-werkstatt/veranstaltungen/boden-und-weindiversitaet-3-0/download-verkostungslisten/

 

 

 

 

1 Kommentare

  1. Der Klimawandel wird also die Auswahl der Rebsorten beeinflussen. Ich bin wirklich mal gespannt, inwiefern das die Weinauswahl in den nächsten 50 beeinflussen wird. Hoffentlich darf ich das noch miterleben 🙂

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