Cool Climate & Consorten: Ein Chardonnay-Tasting rund um den Globus, Teil 1

Früher war die Welt noch in Ordnung. Der eiserne Vorhang teilte die Politik in zwei Lager, aus Neuseeland kamen Kiwi, Äpfel und Lammfleisch und Chardonnay war in Frankreich fein und elegant während er in Übersee komplett verholzt wurde. So einfach war das damals, als noch Helmut Kohl regierte und wir uns kaum einen anderen Kanzler vorstellen konnten. Aber Kohl ist Geschichte und der Rest hat sich auch ganz wesentlich verändert.

Als ich vor zwei Jahren in Neuseeland war, fiel mir der durchgängige Neuseeland-Chardonnay-Stil zum ersten Mal auf. Dieser Stil, der hauptsächlich dadurch hervorgerufen wird, dass die meisten Weingüter den Mendoza-Klon verwenden, war ein frischer und säurebetonter, der mir außerordentlich gut gefiel. Als der australische Weinbauverband mich zu Beginn des Jahres 2016 nach London zum Australia Day Tasting einlud, wurde schnell klar, dass sich auch in Australien einiges tut und die Chardonnays kühleren Stils überwogen. Das hat mich durchaus überrascht und ich dachte mir, man müsse diese Weine doch mal in eine Reihe stellen und noch zwei Länder mit dazu nehmen in denen sich in den letzten Jahren ebenfalls einiges getan hat – zumindest in der Nische. So habe ich beim ersten Cool Climate & Consorten Tasting Weine aus Australien und Neuseeland, Südafrika, Kalifornien, dem Burgund und ein paar weiteren Ländern zusammengebracht um mal einen kleinen Überblick darüber zu bekommen, wie es um die Chardonnay-Welt heute steht und wie es wirklich ist mit Burgund und den anderen Ländern. Sind die Weine in Übersee dort wirklich Epigonen, wie es manchmal kolportiert wird? Werden die großen Übersee-Chardonnay so gemacht, als wären es Burgunder oder sind sie doch in hohem Maß eigenständige Weine?

Natürlich sind bei einem solchen Tasting die Burgunder immer die Referenz. Man bekommt das gar nicht aus dem Kopf, und muss es auch nicht. So, wie wir als Weintrinker jeden Chardonnay immer irgendwie an Chablis, Meursault oder Montrachet abklopfen, tun das auch die Weinmacher. Natürlich trinkt Jasmin Hirsch aus Kalifornien Referenz-Burgunder. Und ebenso Michael Brajkovitch von den Kumeu River Estates und natürlich auch die Weinmacher von Penfolds oder Glen Carlou. Entsprechend standen bei mir am Anfang ein Chablis, ein Chassagne-Montrachet, ein Puligny-Montrachet, ein Meursault und ein Corton-Charlemagne auf gehobenem Premier Cru bzw. Grand-Cru-Niveau auf dem Tisch. Zu diesen Weinen der wichtigsten weißen Appellationen im Burgund haben wir dann am Abend vor der Probe die anderen Weine platziert. Sie sollten von der Struktur her zusammen passen und sich, wenn möglich, von der Frucht, vom Holzeinsatz und der Kraft her ähneln.

Obwohl die burgundischen Lagen im Vergleich zu dem, was es im weltweiten Vergleich gab, sehr nah beieinander liegen, sind es unterschiedliche Archetypen von Burgundern. Am deutlichsten wird das, wenn man Chablis und Meursault miteinander vergleicht. Weine aus diesen beiden Bereichen sind Welten voneinander entfernt. Der erste immer karg, pur, extrem mineralisch, oft salzig und mit kühler Frucht, letzterer normalerweise viel opulenter, reifer, gelber oder orangefarbener in der Frucht mit zusätzlichen Dimensionen von Butter, gerösteten Haselnüssen und und und. Corton ist dann schon wieder etwas anderes und die Montrachet-Bereiche ebenso. Gibt es etwas, woran man Burgund trotzdem erkennt? Etwas Übergeordnetes? Eleganz, Finesse, vielleicht Druck und Trinkfluss? Und wie verhalten sich die Weine im Vergleich mit Weinen, die in Übersee entstanden sind?

Um das herauszufinden, hatte ich eine Gruppe von Interessierten in den Hamburger Witwenball eingeladen. Ich wurde bei diesem Tasting sowohl von vielen Winzern, Händlern als auch Anbauverbänden unterstützt. Der besondere Dank gilt außerdem dem österreichischen Glashersteller Riedel, deren Veritas Oaked Chardonnay Gläser wir nutzen konnten und die die perfekte Grundlage für dieses Tasting waren. Anhand von 30 Chardonnay aus kühlen oder kühleren Lagen startete das Tasting mit …

 

Flight 1: Fèvre – Wohlmuth – Closson Chase – Hirsch – Penfolds

Domaine Fèvre, Chablis »Vaulorent« Premier Cru 2013, Chablis, Burgund
Zum Einstieg in das Tasting schien uns der 2013er Vaulorent Chablis der Domaine William Fèvre der richtige Wein zu sein. Vaulorent ist zwar kein Grand Cru doch unter der Premier-Cru-Lagen gilt er als die beste und einem Grand Cru ebenbürtig. Der Bereich liegt oberhalb des Grand Cru Preuses und ist erst seit 2008 als eigenständiger Weinberg klassifiziert. Mergel und dichter, kompakter Lehm liegen hier auf einem Kimmeridge- und Portland-Kalkunterboden mit einem hohen pH-Wert. Bei Fèvre wird unzertifiziert biologisch-organisch gearbeitet. Didier Séguier baut die Weine mit Spontanvergärung aus. Sie entwickeln sich über 12 Monate im ein- bis dreijährigen Barrique, von denen maximal 2 % neu sind. Dabei wird keine Bâtonnage eingesetzt.

Wie zu erwarten, weckt der Chablis die Sinne mit einer leichten, tanzenden Frucht, die deutlich ins Zitrische geht, aber auch grünes Kernobst umfasst. Der Wein zeigt sehr das karge, kalkige Terroir, etwas Lemond Curd am Gaumen und einen Hauch von nasser Wolle und Wachs, wie man ihn auch gerne mal in Chenin blancs findet. Am Gaumen ist der Fèvre präzise und klar, unbändig frisch und fein, etwas salin und dabei mit einer deutlichen inneren Spannung und einem deutlichen Druck ausgestattet. »Ein präziser Chardonnay ohne Allüren und schmückendes Beiwerk.« Zur Verfügung gestellt von Bertel Bruun. Anbieter: www.lepinotnoir.de, www.gute-weine.de  et al. ca. € 50,-

 

Wohlmuth Ried Edelschuh Chardonnay 2012, Südsteiermark, Österreich
Der 2012er Ried Edelschuh Chardonnay aus der Südsteiermark stammt von alten Terrassenlagen, die von rotem und blauschwarzem Schiefer geprägt sind. Der Weinberg steht auf bis zu 560 Meter Höhe in Südlage mit Hangneigung bis zu 90 %. In diesem Extremum, das an die Terrassenmosel erinnert, entsteht bei Gerhard Wohlmuth ein duftiger Wein, der es in seiner Runde sehr schwer hatte. Der spontanvergorene, über 26 Monate in Barrique-Fässern ausgebaute Wein war schon in der Vorauswahl schwer zuzuordnen. Er ist aktuell sehr Cassis-lastig und blütenduftig und erinnerte die Runde eher an Sauvignon blanc oder Riesling. Tatsächlich stehen Riesling und Sauvignon blanc von Wolmuth neben dem Chardonnay im Ried und sind in der Tat aromatisch eng miteinander verwandt. Das hilft aber dem Chardonnay, auch wenn er ganz klar seinen einzigartiges Terroir widerspiegelt, in der Runde nicht weiter. Der Wein wirkt aktuell ein wenig zu süß, strahlt etwas Hitze aus und wirkt in seiner Aromatik zu plakativ. Zur Verfügung gestellt vom Winzer Gerhard Wolmuth. Anbieter: Ab Hof oder Weinfurore, ca. € 34,-

 

Closson Chase South Clos 2013, Prince Edward County, Ontario, Kanada
Mit dem Chardonnay  aus Ontario, Kanada, kam ein weiterer Exot auf den Tisch. Im Gegensatz zum Schiefer-Chardonnay fügt sich der Closson Chase South Clos deutlich stärker ins gelernte Chardonnay-Profil ein. Er stammt von Kalksteinböden mit einem tonig-lehmigen und kalkmergeligen Oberboden. Den South Clos gibt es seit 1998. Er ist nach Süden hin ausgerichtet, dicht bepflanzt und hat mit 7.9 einen hohen pH-Wert. Der Weinberg liegt gerade einmal 5 Kilometer vom großen Ontario-See entfernt. Die durchschnittliche Sommertemperatur liegt bei 22°C im Sommer, der Durchschnitt im ganzen Jahr beträgt 7,8 °C, das ist also durchaus kühles Klima. Der Weinmacher Keith Tyers vergärt mit Reinzuchthefe und baut den Wein über 17 Monate im französischen Holz aus, von dem ein Fünftel neu sind.

Der kanadische Chardonnay hat beim Öffnen eine präsente, flintige Reduktionsnote, die sich bis zum Tasting hält. Dazu kommen Butterblumen und Kurkuma sowie etwas Kamille. Am Gaumen wirkt der Wein zunächst etwas süß und holzbetont, dann schlägt die Frucht und eine feine mineralische Note durch. Er ist schwer einzuordnen und am Tisch konnte man sich nicht klar darüber werden, ob das jetzt Europa oder Übersee sein könnte. Tatsächlich ist in solcher Wein schwer einzuordnen. Er hat eine gewisse Eleganz und eine gute Länge, ihm fehlt aber der Druck, den der Chablis in sich trägt. Dass der Wein aus Kanada kommt, hat den Teilnehmern allerdings viel Respekt abgenötigt. Erworben beim Anbieter: Wine & Waters, ca. € 26,-

 

Hirsch Vineyards »Estate Chardonnay« 2013, Fort Ross Seaview, Sonoma Coast, Kalifornien
Einhellige Begeisterung gab es beim Estate Chardonnay 2013 von Hirsch Vineyards. Die Chardonnay-Reben des Richioli-Klons wurden zwischen 1994 und 2002 gepflanzt und gehören zu den ersten, die überhaupt am Fort Ross Seaview in Sonoma County gepflanzt wurden. Der Weinberg liegt auf 450 Meter Höhe drei Meilen vom Ozean entfernt auf Tonschiefer und Sandstein. Seit 2008 wird bei Hirsch Vineyards biologisch-organisch gearbeitet. Jasmine Hirsch baut den spontan vergorenen Wein in französischem Holz aus, von dem 10 % neu ist.

Man findet hier einen tiefen, eigenständigen Charakter. Die Frage, ob das Übersee sein könnte, wurde überwiegend positiv beantwortet, doch sicher war man sich hier nicht. Zumindest hat der Wein nichts von irgendwelchen Platitüden. Er ist elegant und leicht reduktiv mit einer leicht flintigen Nase, die aber gleichzeitig eine saline Frische und Zitursnoten mit sich bringt. Am Gaumen ist der Wein sehr balanciert und schlüssig mit einer leicht seidigen Textur und Druck. Auch hier gibt es den salinen Ton und die mineralische Lebendigkeit. Die Kraft und der Körperreichtum sprechen ein bisschen für Kalifornien. Hinten raus könnte der Wein noch ein wenig mehr Frische vertragen. »Sehr stark, ich muss mir ’ne Kiste bestellen.« Zur Vrfügung gestellt vom Anbieter: www.weinhalle.de, ca. € 70,-

 

Penfolds Bin 311 Tumbarumba 2013, New South Wales, Australien
Penfolds Bin 311 Chardonnay aus dem Gebiet Tumbaruma auf halbem Weg zwischen Sydney und Melbourne ist die Cool-climate-Variante des ikonischen Weinguts. Ich fand es wichtig, auch ein paar Weine dieser großen und omnipräsenten Weingtüer mit im Lineup zu haben um zu schauen, wie sie auf Veränderungen im Markt reagieren, die ja meist eher von den kleinen Gütern angestoßen werden. Tumbarumba liegt auf 500 bis 800 Meter Höhe und wird geprägt durch roten Basalt, Schiefer sowie weißen und roten Granit. Kym Schroeter baut die Weine ausschließlich im gebrauchten, französischen Barrique aus.

Während die Chardonnay von Penfolds früher zu den stark eichenholzlastigen Weinen gehörten, hat sich das Holzmanagement deutlich verändert. Bei diesem Cool-Climate-Chardonnay wird es ganz zurück genommen. Der Wein ist überzeugend, wenn auch nicht herausragend. Er öffnete sich bei der Vorauswahl mit einem Litchi- und Grapefruitton, der bei m Tasting allerdings nicht mehr präsent war. Da überwog eher der minzig duftige, an Kamille erinnernde Ton. Am Gaumen ist der Bin 311 fein cremig, angenehm schlank und balanciert und von einer feinen Säure durchzogen. Ein gekonnt gemachter Wein. Zur Verfügung gestellt von Wine Australia, Anbieter: Treasury Wine Estates, ca. € 33.-

 

Resumée
Schon beim ersten Flight zeigte sich das heterogne Geschmacksbild dieser Rebsorte. Im Extremum lehnt sich der Chardonnay an den Sauvignon blanc an, so wie es bei Wolmuth der Fall war, und wie wir es noch mehrfach schmecken werden. Fèvre und Hirsch überzeugten in diesem Flight mit Präzision und Klarheit, der Hirschhatte noch mehr Tiefe und der eigene Charakter des Weines machte Lust auf mehr, während die pure Kargheit des Fèvre nicht überall auf Gegenliebe stieß.

 

Flight 2: Bell Hill – Knewitz – Boillot – Catena Zapata – Rod McDonald

Im zweiten Flight haben die Weine mehr Fleisch auf den Knochen. Der Holzeinsatz ist prägender und ausgerichtet war der Flight ein wenig an Chassagne-Montrachet. Dieser Bereich ist der südlichste des Tripels nach Meursault und Puligny-Montrachet und in seiner Aromatik heller, weißer und dabei deutlich mineralisch.

 

Henri Boillot, Chassagne-Montrachet »Les Embrazées« 2012, Côtes de Beaune, Burgund
Leider hat der 2012er Chassagne-Montrachet von Henri Boillot aus der Lage Les Embrazées diese Typizität nicht so ganz transportieren können. Der Wein hat sich über Nacht nicht gut entwickelt. Er stammt aus einer Lage, die an der Grenze zu Santenay, also ganz im Süden der Appellation liegt und in etwa auf halber Höhe des Hügels. Der Boden wird durch Bathonischem Kalkstein geprägt, was dem der Côte de Nuits eher ähnelt als den übrigen Böden der Côte de Beaune. Der Oberboden hat einen hohen Kreideanteil und wird Terres blanches genannt. Boillot arbeitet biologisch, allerdings nicht zertifiziert. Der Wein wird bei 8° C kurz kalt mazeriert und dann spontan vergoren. Die Gärung findet im 350l-pièce statt, der abgepreßte jus vergärt nicht mit den Traubenhäuten und Kernen. Der Ausbau läuft über zwei Winter. In der Zeit gibt es eine natürliche malolaktische Gärung, Boillot wendet keine keine bâtonnage an.

Ob der Wein nun einen verdeckten Korkschmecker hatte, konnten wir nicht herausfinden. Er war zwar saftig und hatte einen schönen Zug, war aber sonst weit von seiner sonstigen Präsenz entfernt. »Ein Wein wie eine Hose, die drei Tage feucht in der Waschmachine gelegen hat«, hieß es am Tisch. Der Wein wirkte etwas müde und staubig. Schade. Zur Verfügung gestellt von Bertel Bruun. Anbieter: Le Pinot Noir, ca. € 60,-

 

Bell Hill Estate Chardonnay 2012, Weka Pass, North Canterbury, Neuseeland
Nicht müde aber auch nicht ganz auf der Höhe wirkte der 2012er Bell Hill von Marcel Giesen und Sherwyn Veldhuizen. Der Wein gehört eigentlich zu den großen Chardonnays Neuseeelands aber hier meinte auch der deutsche Importeur, Hendrik Thoma, dass diese Flasche zumindest das nicht widerspiegeln würde. Der Bell Hill steht im Bereich North Canterbury Weeka Pass und bildet dort mit dem benachbarten Pyramid Valley Weingut die Vorhut einer neuen Generation. Der Chardonnay wurde mit bis zu 11.900er Dichte gepflanzt und steht auf kristallisiertem Kalkstein, Kreide, Mergel, Sandstein, glauconischem Granit, Katzenglimmer und Eisen. Das Weingut arbeitet zertifiziert organisch seit 2007. Im Keller wird spontan vergoren, die malolaktische Gärung findet ebenfalls spontan statt, es wird nicht geschönt und nur minimal filtriert. Insgesamt gibt es vier Fässer, davon ist eines immer neu.

Der Bell Hill wirkt reif und in der Aromatik eher rötlich als hell. Er erinnert ein wenig an Hagebutte und Granatapfel, dabei zeigt er reduktive Noten ist würzig und kraftvoll. Hendrik stand die malolaktische Gärung samt buttriger Noten etwas zu stark im Vordergrund, Gerhard Retter war er etwas zu agressiv in der Säure. Der Wein hat auf hohem Niveau polarisiert. Zur Verfügung gestellt vom Weingut via NZ Wine. Anbieter: Wein am Limit, ca. € 96,-

 

Knewitz Chardonnay Reserve 2015, Rheinhessen
Die Chardonnay Reserve von Tobias Knewitz dagegen hat alle in ihren Bann gezogen. Der Chardonnay stammt aus dem Hilbersheimer Steinacker, liegt auf 245 Höhenmeter in Nordausrichtung kühl direkt an der Waldkante. Neben dem Kalk und Kalkmergel, für den die Lagen in und um Appenheim bekannt sind, findet sich hier eine zusätzliche Eisenader. Tobias vergärt spontan in erst- und zweitbelegtem Barrique.

»Der hat eine Smokiness wie Bâtard, die Säure ist sehr schön. Der Holzeinsatz ist einfach toll« hieß es in der Runde. Der Wein wurde ohne groß zu zögern ins Burgund gesteckt und das zu Recht. Hier stimmen Druck und Präsenz, Feinheit, Frucht und die berühmte Mineralität. Die Röstnoten der Fässer sind subtil und schwingen eher mit, als dass sie dominieren würden. Im ersten Moment beim Öffnen am Vorabend war der Wein floral, duftete nach Wiesenblüten und bissfestem Steinobst. Am Gaumen geht die Reserve dann in die Tiefe und presst sich an den Daumen. Im Hintergrund schwingt Rauchsalz mit und verleiht dem Wein zusätzlichen Trinfluss: »Das ist fantastisch, das ist mein absoluter Favorit«, hieß es dann und, nachdem ich aufgedeckt hatte und der einzige Szenenapplaus des Nachmittags verklungen war: »Definitiv einer der geilsten Chardonnays in Deutschland, den ich kenne.« Hut ab für einen solchen deutschen Chardonnay. Erworben ab Weingut. Anbieter: ab Hof oder bei Riesling & Co., ca. € 23,-

 

White Bones Chardonnay 2012, Catena Zapata, Argentinien
Nach dem cassis-duftigen Ried Edelschuh zeigte der White Bones eine weitere, sehr florale Seite des Chardonnay, die wir sonst selten an den Gaumen bekommen. Der White Bones stammt aus dem extremen Anbau von Catena Zapata. Der Adrianna Vineyard liegt auf Muschelkalk-Ablagerungen und alluvialem Schwemmland im Oberboden, während der Unterboden von Kalk geprägt wird. Der Weinberg liegt auf 1.524 Meter Meereshöhe, die Durchschnittstemperatur liegt bei 12,5°C . Der Weinmacher Ernesto Bajda baut den Chardonnay in 500-Liter-Fässern spontan aus, es wird nicht gefiltert oder geschönt. De Wein bekommt seit seinem ersten Jahrgang immer über 95 Parker Punkte.

Was sich hier in der Nase tut, hätte einer der Beteiligten gerne als »Sauna-Aufguss« gehabt. Das soll allerdings nicht despektierlich klingen. Es ist halt nur anders. Der White Bones öffnet sich mit Anis und Eukalyptus, Fenchel, Cassis, Salbei und Earl Grey. Im Hintergrund schwingt etwas kalkig-steiniges mit. Der Wein ist komplex und zeigt auch am Gaumen eine sehr aromatische Frucht. Er hat Tiefe und Länge und ist dabei höchst eigenständig und verfügt über wenige bekannte Sortentypizität. Das zeigt allerdings wiederum, wie offen die Rebsorte Chardonnay für ihr umgebendes Terroir ist. Zur Verfügung gestellt vom Anbieter: CWD, ca. € 75,-

 

Rod McDonald Trademark 2015, Hawke’s Bay
Der fünfte Wein im Flight hatte es schwer. Der 2015er Trademark von Rod McDonald aus Neuseeland ist bepreist wie ein zukünftiger Icon-Chardonnay des Landes und da soll es sicher auch in gehen. Ob er das Potential hat, blieb unklar. Er entsteht 35 Kilometer inländisch in Hawke’s Bay auf einem alten Flussbett mit alluvialem Schwemmland und Kalksockel. Der Chardonnay wurde spontan in 500-Liter-Punchons vergoren und hat eine natürliche malolaktische Gärung durchgemacht.

Sicher ist der Trademark schlich zu jung. Er ist nicht auf ein frühes Öffnen ausgelegt. Da es ihn aber erst seit diesem Jahrgang gibt und er einen hohen Anspruch fährt, wollte ich es mit ihm versuchen. Die zwei Flasche ist für ein Tasting in fünf Jahren zurück gelegt und es wird sicher interessant sein, wie sich der Wein dann präsentiert. So offen wie der Knewitz, der ja ebenfalls aus 2015 stammt, war er definitiv nicht. Und mit Bell Hills letztlich doch sehr komplexen Chardonnay ließ sich der Wein ebenfalls nicht vergleichen. Im Duft erinnerte der Trademark beim Öffnen vor allem an weiches Lakritzkonfekt. Am nächsten Tag waren es dann Noten von Gurkenwasser, Lauch, etwas Petrol und weißen Trüffel. Hier fehlt es aktuell an Frische, auch wenn das Zitrische durchaus durchscheint. Die Säure ist am Gaumen sehr mild, der Wein zwar präsent und  mundfüllend aber dann doch etwas warm. Zur Verfügung gestellt vom Anbieter: www.vinabonus.de (Fachhandel, Gastro) /www.neuseeland-weinboutique.de (Endkunde), € 56,99

 

Resumée
Im zweiten Flight gab es einen klaren Überflieger. Tobias’ Chardonnay hat mich ab dem ersten Schluck überzeugt. Als ich mit Tobias im Januar diesen Jahres gesprochen hatte, habe ich ihn spontan gefragt, ob er mir mal seinen Chardonnay schicken könnte. Ich hätte da so was vor, wo der Wein vielleicht passen könnte. Ab dem Öffnen der Flasche wusste ich, dass er in dieses Tasting passen würde und das hat sich bestätigt. Das freut mich. Bell Hill bleib auch bei mir ein bisschen hinter den Erwartungen zurück. Woran es liegt? Die Giesens haben mir den Wein im letzten direkt aus Neuseeland per Post geschickt. Manchmal tut das den Weinen nicht gut. Einen Tag nach dem Tasting haben wir den Wein noch mal in Anwesenheit der Winzer bei Wein am Limit probiert und da hatte er genau das, was ihm beim Tasting gefehlt hat. Dass ein Wein wie der von Boillot schwächelt, ist schade, doch nicht immer zu ändern. Leider war es nicht der einzige Burgunder, dem das passiert ist.

 

Flight 3: Glen Carlou – Kumeu River – Ataraxia – Hoddles Creek – Ramey – Kershaw

Der dritte Flight war der Sorgenkinder-Flight. Bertel Bruun und ich hatten die Weine ja am Abend probiert und bei all diesen Weinen waren wir uns überhaupt nicht sicher, wo wir sie platzieren sollten, bzw. wie sie sich entwickeln würden. Doch all diesen Weinen hat die Nacht mit etwas zusätzlicher Luft in der Flasche sehr gut getan.

 

Glen Carlou Quartz Stone Chardonnay 2012
Der 2012er Quartz Stone Chardonnay stammt aus einer Einzellage in Paarl, die direkt am Weingut in 1989 gepflanzt wurde. Der Weinberg verfügt über einen Boden aus zersetztem Granit mit hohem Quarzanteil. Der Weinmacher Johnnie Calitz von Glen Carlou baut den Wein zu 90 % im neuen Holz und zu 10 % im Betonei aus. Der Wein hat keine malolaktische Gärung durchlaufen.

Trotzdem wirkt er relativ säurearm und reif. Er erinnert im Duft ein wenig an Riesling aus warmen Jahren, ist relaitv opulent und etwas süß. Die Klebstoffnase stört ein wenig. Der Wein wirkt auf manche wie ein schwachbrüstiger Mâcon, andere bemerken das sei »das, wofür die Leute die neue Welt hassen«, also die Weine natürlich. Es vermischt sich eine leicht grüne unreife Frucht mit einer exotischen, süßen Frucht. Er hat deutlich mehr Muskeln und Speck als Skelett. Die schönste Zusammenfassung der Runde war die: »Wenn ich davon ne Flasche getrunken habe, geh ich schlafen danach.« Zur Verfügung gestellt von Südafrika Weininformation und dem Anbieter: www.klocke-online.de, ca. € 22,-

 

Kumeu River Estate »Hunting Hill« 2014, Auckland, Neuseeland
Kumeu River Estate liegt rund 20 Kilometer entfernt von der Tasmanischen See und 30 Kilometer entfernt vom Pazifik am nördlichen Teil der Nordinsel Neuseelands. Der Hunting Hill wurde 1982 gepflanzt und 2009 teils neu bepflanzt. Er gehört ursprünglich zu den ältesten Weingärten Neuseelands. Der Weinberg wird von Lehm auf Sandstein mit Eisenanteil sowie durch das Meeresklima geprägt. Es kann dort schon recht warm werden, die Temperaturunterschiede sind hoch. Wer durch die Weinberge geht, wird überrascht sein, denn hier wird die seltene Lyra-Erziehung angewandt. Michael Brajkovitch, Neuseelands erster Master of Wine vergärt spontan. Es findet eine 100 prozentige Ganztraubenpressung statt. Direkt nach der Fermentation wird abgestochen. Die Hefen werden separat mit einer Pumpe und einer Dosis Sauerstoff aufgeschäumt bis die reduktiven Noten verschwunden sind. Danach werden die Hefen dem Wein wieder zugegeben und der Wein reift im Holz. Kumeu River ist das bekannteste Chardonnay-Weingut Neuseelands und immer wieder Sieger in englischen Vergleichsproben mit burgundischen Weinen.

Der Wein hat sich am Sonntagabend bei der Vorprobe von einer exotischen und warmen Seite gezeigt. Ich war etwas schockiert, denn so extrem hatte ich die Kumeu-Weine bisher nicht kennengelernt. Was vor allem verstörte war die fast kaum wahrnehmbare Säure. Doch das hat sich über Nacht grundlegend gewandelt. Über Nacht ist aus dem Hunting Hill ein präziser Wein geworden der im Auftakt mit einigen Reduktionsnoten und einem Hauch von Champignons neben der satten Frucht spielt. Am Gaumen ist das »Fein. Schöne Frische, toll, ja eigentlich grandios!« »Gestern so plakativ und weich und erhat sich richtig erholt.« Von der Abwesenheit von Säure keine Spur mehr, die ist jetzt präzise und strukturierend vorhanden, das Holz zurückhaltend gut eingebunden. Zur Verfügung gestellt vom Weingut via NZ Wine. Anbieter: www.gute-weine.de, www.weinart.de, ca. € 34,-

 

Ataraxia Estate Chardonnay 2014, Hemel-en-Aarde, Walker Bay, Südafrika
Wie Glen Carlou gehört auch Ataraxia immer wieder zu den Top 5 oder Top 10 Weinen, wenn es um südafrikanische Chardonnay geht. Der ehemalige Weinmacher von Hamilton-Russell, Kevin Grant hat seine Weinberg ein Traumlage im Bereich Hemel-en-Aarde an der Walker Bay. Der Chardonnay liegt auf 300 Meter Höhe und wird vom Bokkeveld Schiefertonboden geprägt.

Der Ataraxia 2014er Chardonnay kommt mit dem Ried Edelschuh und dem White Bones in die florale und durch Cassis beeinflusste Aromatik-Abteilung. Der Chardonnay präsentiert neben Cassis auch Stachelbeere und erinnert ein wenig an Scheurebe. Hinzu kommen Noten von Müsli und Getreide, Mais und Butter. Am Gaumen wirkt der Wein auch durch die Art des Holzeinsatzes zu süßlich und zu unpräzise. Wie es der Wein in eine Top 5 schaffen kann, bleibt unklar. Zur Verfügung gestellt von Südafrika Weininformation und dem Anbieter: www.interwinedepot.de, € 24,50

 

Hoddles Creek Estate, Hoddles Creek »Chardonnay 1er« 2012, Upper Yarra Valley, Victoria, Australien
Das Upper Yarra Valley gehört zu den relativ neuen, angesagten Cool-Climate-Regionen in Australien. Doch es ist hierzulande gar nicht so einfach, etwas zu finden. Mit Hoddles Creek habe ich ein mir völlig unbekanntes Weingut angestellt. Hier steht der Chardonnay auf einer sechs Hektar Steillage aud roter Vulkanerde, auf Ton und Kalkmergel. Verwendet wird der auch in Neuseeland übliche, kleinbeeriger und säurestarke Mendoza-Klon. Weinmacher Franco d’Anna nutzt keine Enzyme, keine Säurezugabe, weder Filtration noch Schönung. Der Wein wird im Holz, über den Winter aber im Edelstahl ausgebaut.

Die erste geöffnete Flasche des Chardonnay 1er schien schon fehlerhaft zu sein, die zweite war jedoch ebenfalls nicht viel besser. Im Auftakt ist es ein floraler Wein, wie ich es bei Yarra Valley Chardonnay schon häufiger erfahren habe. Doch dann werden die massiven Böckser-Noten allzu penetrant. Am Gaumen wirkt der Wein allzu käsig. Zur Verfügung gestellt von Wine Australia. Anbieter: www.cb-weinhandel.de, € 26,90

 

Ramey Wine Cellar »Platt Vineyard« 2012, Sonoma Coast, Kalifornien
Nein, Cool Climate kann man hier nicht erkennen, auch wenn der Platt Vineyard auf 240 Meter Höhe wie der Hirsch Vineyard in Sonoma Coast liegt und ebenfalls nur wenige Meilen vom Meer entfernt liegt. Der Chardonnay steht auf sandigem Lehm und bröseligem Sandstein und unterscheidet sich schon dadurch erheblich vom Hirsch. David Ramey und Davis Greene bauen den Wein mit Spontangärung aus, es erfolgte eine Ganztraubenpressung. Die Malolaktische Gärung verläuft ebenfalls spontan, hier wird im 18monatigen ausbau kräftig aufgerührt, nicht filtriert und nicht geschönt.

Bei diesem Wein gab es die extremsten Reaktionen, die man kurz unter dem Begriff »Silicon-Valley-Wein« zusammenfassen könnte oder ausgeprägter: »Alles dick und prall. Du musst halt wissen, dass es nicht echt ist – aber trotzdem geil« – Männerrunde halt. Hier sind viel Brioche und gebrannte Mandeln im Spiel, eine satte Steinobstfrucht, etwas Banane aber vor allem jede Menge Popcorn, aus dem die Butter nur so raus läuft. Das ist ein Wein, der einem alles, was er hat mit Freude um die Ohren haut. Und man nimmt es gerne hin. Es ist einfach gut gemacht. Zur Verfügung gestellt vom Anbieter: www.gute-weine.de, € 91,-

 

Richard Kershaw Clonal Selection 2014, Elgin, Südafrika
Wie Michael Brajkovitch von Kumeu River ist auch Richard Kershaw Master of Wine. Er verfügt in Elgin über einen Weingarten, der rund 10 Kilometer vom Meer entfernt liegt und von Kies, Ton, Lehm und Sand geprägt ist. Auf dem 300 Meter hoch gelegenen Weinberg  stehen die Dijon-Klone 76, 95  und 96. Kershaw baut den Wein im französischen Barrique aus.

Was Gerd Rindchen hier importiert, hat alle in der Runde beeindruckt. Der Clonal Selectionkein sonderlich romantischer Name für den Wein – ist sehr elegant, dabei kräftig und reif. Die Frucht wirkt allerdings weder überreif noch matschig sondern genau auf den Punkt. Sie ist gelb, hat aber noch herbe Aspekte, die von Grapefruit und Bitterorangen unterstützt werden. Unterm Strich ist es dann doch ein echtes Lob wenn jemand sagt: »Das find ich super. Klassisch, typisch. Kräftig, komplexes, tiefes Burgund. Mâcon-Style.« Dabei ist der Wein nicht so komplex, wie man es jetzt vom besten Côtes de Beaune erwarten würde. Er ist also etwas weniger vielschichtig, besteht eher aus einem kräftigen Akkord, doch darin ist er absolut stimmig. Zur Verfügung gestellt von Südafrika Weininformation und dem Anbieter: www.rindchen.de, € 36,80

Es war ein »sehr cooler Flight mit viel rauf und runter. Es sind alles Weine, die beschäftigen.«  Kumeu hatte ursprünglich weit vorne erwartet und in diesem Flight war es dann letztendlich auch so. Kershaw wird international immer sehr gut bewertet doch hierzulande ist der Wein weitgehend unbekannt. Das darf sich gerne ändern, auch wenn ihm vielleicht das eigenständige, das der Hunting Hill von Kumeu hat, etwas abgeht. Hoddles Creek würde ich mal als weiteren Ausfall bezeichnet. Insgesamt war dieser Flight von der Aromatik her der am wärmsten wirkende im Feld.

 

Hier geht es weiter mit Teil 2.

Anwesend waren am 12.6. im Hamburger Witwenball:

Christoph Raffelt, Gastgeber
Axel Bode, Witwenball
Willi Schlögl, Cordobar
Gerhard Retter, Fischerklause Lütjensee
Marcel Ribis, Vier Jahreszeiten
Maximilian Wilm, Seven Seas
Markus Budai, Lobenberg
Bertel Bruun, Weinliebhaber
Christoph Niklas, Meininger Verlag
Hendrik Thoma, Mastersommelier, Wein am Limit
Paolo Ardente, CWD

 

 

 

 

 

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